Abo

Schulklasse erlebt Unfall-Medizin in Köln-Merheim„Hier kämpfen wir um jedes Leben“

4 min
Auf der Intensivstation wird dir Gruppe mit den Folgen von schweren Unfällen konfrontiert.

Auf der Intensivstation erlebt die Gruppe die Versorgung eines Patienten. 

Durch ein Präventionsprogramm sollen Jugendliche sehen, welche Folgen riskantes Verhalten im Straßenverkehr haben kann. 

Blaulicht flackert über die Gesichter der Zehntklässler. Hinter ihnen fällt die schwere Tür des Rettungswagens ins Schloss. Drinnen wird es eng, die Luft riecht nach Metall und Desinfektionsmittel. Ein Schüler liegt fixiert auf einer Trage. „Beweg dich nicht“, sagt der Sanitäter mit ernstem Ton. Dann heult die Sirene auf. Für einen Moment wirkt alles wie ein echter Notfall, doch die Jugendlichen vom Elisabeth-von-Thüringen-Gymnasium sind freiwillig hier.

Sie besuchen an diesem Morgen das Krankenhaus Merheim im Rahmen des Unfallpräventionsprogramms „P.A.R.T.Y. – Prevent Alcohol and Risk-related Trauma in Youth“. Das Konzept wurde 1986 in Kanada entwickelt, um Jugendliche durch realitätsnahe Begegnungen für die Folgen riskanten Verhaltens im Straßenverkehr zu sensibilisieren. In Deutschland wurde es 2012 erstmals im Krankenhaus Merheim eingeführt, mittlerweile beteiligen sich bundesweit 38 Kliniken. Koordiniert wird das Programm von der Deutschen Gesellschaft für Unfallchirurgie.

Echte Eindrücke aus dem Krankenhaus

Ziel ist, Verantwortung und Risikobewusstsein zu fördern, nicht durch Belehrung, sondern durch unmittelbare Eindrücke aus dem Klinikalltag. Der Ablauf des Tages folgt der realen Kette medizinischer Versorgung: vom Eintreffen im Rettungswagen über die Erstversorgung im Schockraum bis hin zur Intensiv- und schließlich zur Tagesstation.

Unfallchirurg Hanno Brinkema, der den Tag für die Zehntklässler eröffnet, findet klare Worte: „Fast jeden dritten Tag stirbt in Deutschland ein junger Mensch im Straßenverkehr. Alkohol am Steuer und Ablenkung durch Smartphones sind oft die Ursache für Unfälle.“ Die Zahlen untermauern seine Aussage: Laut der Unfallforschung der Versicherer verursachten 2023 18- bis 24-Jährige rund 1.300 Alkoholunfälle.

Schüler aus sülz bekamen ungewöhnliche Einblicke in den Klinikalltag

Den Schockraum lernen die Schülerinnen und Schüler auch aus der Perspektive von Verunfallten kennen.

Im Rettungswagen dürfen die Schüler ausprobieren, was im Ernstfall passiert. Der Sanitäter zeigt, wie Verletzte gesichert, Puls und Atmung überprüft und Infusionen vorbereitet werden. Die Stimmung ist gelöst, zwischendurch wird gelacht. Doch als er über die Realität seines Berufs spricht, wird es still. „Die meisten schweren Unfälle von jungen Menschen, die wir nachts reinbekommen, haben mit Alkohol zu tun. Macht das nicht, denn ein Moment kann alles verändern.“

Lehrerin Fatiha El Moussaoui hofft, dass diese Botschaft bei ihren Schülern ankommt: „Gerade mit 15 machen viele ihre ersten Erfahrungen mit Alkohol“, sagt die Suchtpräventionsbeauftragte des Elisabeth-von-Thüringen-Gymnasiums. „Ich möchte, dass sie begreifen, was das im Straßenverkehr bedeuten kann.“

Was passiert nach einem Unfall genau?

Im Schockraum erleben die Jugendlichen hautnah, was nach einem Unfall geschieht. Als sie den roten Knopf neben der Tür drücken, beginnt ein Timer zu laufen. Neonlicht blendet, Geräte piepen, Bildschirme flackern. Eine Schülerin liegt auf der Trage, ihr wird eine Halskrause angelegt, ein Mitschüler misst den Blutdruck.

Die Stimmung der Gruppe wird noch einmal ernster, als sie auf der Intensivstation ankommen. Der Geruch von Desinfektionsmitteln liegt in der Luft, Schritte hallen über den Linoleumboden. An einem Bett liegt ein Patient, Schläuche führen zu Infusionsbeuteln, Maschinen überwachen seine Vitalfunktionen. Der Pfleger, seit fast 30 Jahren im Dienst, berichtet von seiner Arbeit. „Hier kämpfen wir um jedes Leben“, sagt er.

Schülerin Carla fragt, ob er oft Sterbende betreue. „Ja“, lautet die Antwort. „Das gehört dazu.“ Bedrückt blicken die Schülerinnen und Schüler auf den zusammengesunkenen Patienten. „Das war wirklich beeindruckend“, erklärt Carla im Nachhinein, „hier möchte man wirklich nicht sein müssen.“

Der Patient Stefan Schmitz (39) berichtete der Gruppe von seinem schweren Unfall mit dem Rennrad.

Der Patient Stefan Schmitz (39) berichtete der Gruppe von seinem schweren Unfall mit dem Rennrad.

Am Nachmittag treffen die Jugendlichen Jakob Vernail. Der 49-Jährige sitzt vorne im Raum, Krücken lehnen neben ihm. Vor einem Jahr verlor er auf dem Heimweg die Kontrolle über sein Auto und prallte gegen einen Baum. „Ich habe gedacht, ich bin im falschen Film. Mein ganzer Brustkorb war gebrochen, die Lunge kollabiert“, erinnert er sich. Vier Tage lag er im Koma, 17 Operationen folgten. Die Jugendlichen hören aufmerksam zu, einige stellen Fragen. „Fahren Sie wieder Auto?“ „Ja“, sagt Vernail. „Aber mit Respekt. Ich habe keine Angst, aber ich fahre bewusster.“

Nach dem Programm reflektieren die Schüler: „Das war wie eine Erinnerung, einfach dankbar zu sein und aufzupassen“, sagt Carla. Ihre Mitschüler stimmen ihr zu. „Jakobs Geschichte hat mich wirklich beeindruckt, ich werde im Verkehr auf jeden Fall mehr aufpassen“, erklärt eine andere. „Und immer einen Helm tragen“, fügt Timo hinzu, der morgens im Rettungswagen auf die Trage geschnallt wurde.

Unfallchirurg Hanno Brinkema richtet noch einmal das Wort an die Gruppe: „Ihr dürft und sollt eigenständige Entscheidungen treffen. Wir wollen euch nur mitgeben, welche Verantwortung ihr im Straßenverkehr für euch und andere habt.“