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Stiller FeiertagKöln erlebt einen Elften im Elften von historischer Nichtigkeit

Lesezeit 3 Minuten
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Auf den Straßen sind mehr Ordnungskräfte als Kostümierte unterwegs. 

Köln – Superman hat eine Mission. Mit rotem Umhang und Plastikschwert ist er auf der Zülpicher Straße auf der Suche nach Partystimmung. „Mal sehen, was geht“, lautet sein Auftrag für den Auftakt der Karnevalssession. Aber er muss schnell feststellen, dass nichts geht. Ordnungsamt und private Sicherheitsdienste haben die Straße fest im Griff, am Zülpicher Platz hat die Stadt ein stattliches Logistikzentrum aufgebaut, an den Straßenrändern stapeln sich Absperrgitter. An diesem Elften im Elften wirkt das alles reichlich überdimensioniert.

Die Sorge der Oberbürgermeisterin war groß, Köln könnte sich vor den Augen der ganzen Republik blamieren und am Sessionsauftakt zur „Corona-Hochburg statt zur Karnevalshochburg“ werden. Die Kampagne der Stadt glich einer virtuellen Abwehrschlacht, deren Leitspruch „Diesmal nicht“ das Potenzial zum inoffiziellen Sessionsmotto hat. Tatsächlich sind überall in der Stadt Kamerateams und Fotografen unterwegs, um das große Nichts zu dokumentieren. Keine Party, keine Feierwilligen, keine Ekstase. Der 11. November ist dieses Mal ein stiller Feiertag.

Dreigestirn präsentiert sich auf Dach des Dorint-Hotels

Als die Uhren auf 11.11 Uhr springen hat sich eine kleine Abordnung des Festkomitees samt Dreigestirn und Kinderdreigestirn auf einer Dachterrasse des Dorint-Hotels am Heumarkt versammelt. Sie wirken wie der Rest eines Bataillons, das sich noch nicht ergeben hat und die Fahne des Fastelovends wacker aufrecht hält. Alles fürs Fernsehen. „Da wird man wehmütig. So langsam ist erkennbar, was wir hier aufgeben müssen“, sagt er hinterher, als die Kameras aus sind.

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Christoph Kuckelkorn (l.) und Ralf Schlegelmilch (r)  stehen mit dem Dreigestirn bei einer TV-Aufzeichnung auf dem Dach des Dorint am Heumarkt.

Iris Herse aus Troisdorf musste den Heumarkt aufgeben. Normalerweise steht sie inmitten der 15 000 Jecken und singt kölsche Lieder. Dieses Mal ist sie mit einer Freundin für ein privates Fotoshooting zum Dom gekommen. Sie tragen rot-weiße Ringelshirts, Mottoschal und fotografieren sich gegenseitig mit ihren Handys. „Wir haben uns gesagt: Wir fahren trotzdem nach Köln. Nur um ein paar schöne Bilder zu machen“, erzählt sie. Ihr Fotoshooting fällt dann doch etwas größer aus, denn sofort ist sie von drei Fotografen umringt, die nach einem Hauch von Karneval in einer Stadt suchen, die sich im Kampf gegen die Corona-Pandemie ins künstliche Karnevalskoma versetzt hat. Dieser Mittwoch wirkt wie Aschermittwoch.

Einsame Jecke

Zwei einsame Jecken auf der Kölner Domplatte

Zwanzig Meter weiter geht das Dreigestirn unerkannt vorbei. Drei Männer in schwarzen Anzügen. Stadtdechant Robert Kleine hat im ansonsten leeren Dom eine Andacht für die Karnevalisten gehalten, sie haben Kerzen angezündet, ein „Vater unser“ gebetet, dann spielte der Organist die Hymne „Do bes Kölle“ von Tommy Engel. „Mehr Emotion geht nicht“, stellt Prinz Sven Oleff ergriffen fest.

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Auch aus der Luft gibt es Motivation für die Kölner.

Am grauen Himmel kreist pünktlich zum Sessionsbeginn über der Altstadt ein Zeppelin, den die Roten Funken gechartert und mit unmissverständlichen Botschaften versehen haben. Die von oben verordneten Aufforderungen lauten: „Bliev zohuss“ und „Bleibt gesund“. Mit an Bord sitzt Präsident Heinz-Günther Hunold. Irgendwann werden die Überflieger vom Nebel verschluckt – ein Bild mit Symbolcharakter für den Corona-Karneval.

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Gähnende Leere herrschte auf den Kölner Straßen.

Kostümierte wirken an diesem Tag wie Fremdkörper. Verkehrte Welt in der Karnevalshauptstadt. Am Neumarkt ist ein junger Mann mit auffälliger roter Pappnase unterwegs. Ein Unternehmensberater in der Mittagspause. „In der Videokonferenz hatte ich die Nase auch an, das hat alle gefreut, bis auf die Kollegen in München“, erzählt er gut gelaunt. In Sülz schleppen Dieter Keppeler und seine Frau Einkaufstaschen nach Hause.

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Trotzig tragen sie den Mottoschal und den Motto-Mundschutz. „Gefeiert wird nur zu Hause“, sagen sie. Der Mann gehört der Bürgergarde blau-gold an, einem Traditionskorps. Doch Uniformen und Vereinszugehörigkeiten sind in dieser Session egal.