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Ausstellung im NS-DOK Köln„trotzdem da!“ erzählt von Kindern aus sogenannten verbotenen Beziehungen

Lesezeit 5 Minuten
Die Geschichte von Ton Maas (auf dem Foto rechts) und seiner Schwester Erika van Santen ist Teil der Ausstellung „trotzdem da!“.

Die Geschichte von Ton Maas (auf dem Foto rechts) und seiner Schwester Erika van Santen ist Teil der Ausstellung „trotzdem da!“. 

Die Wanderausstellung „trotzdem da!“ macht Station im Kölner NS-Dokumentationszentrum. Erzählt werden die Lebensgeschichten von Kindern, die im Zweiten Weltkrieg aus „verbotenen Beziehungen“ zwischen Deutschen und Kriegsgefangenen oder Zwangsarbeitern hervorgingen.

Wie viele es von ihnen gibt, weiß niemand. Kinder aus sogenannten „verbotenen Beziehungen“ zwischen Deutschen und Kriegsgefangenen oder Zwangsarbeitern während des Zweiten Weltkriegs oder in der frühen Nachkriegszeit. Solche Kontakte wurden stigmatisiert und mit Zuchthaus oder Schlimmeren bestraft. Auch in Köln wird es viele solcher Fälle gegeben haben, aber nicht ein einziger ist namentlich dokumentiert. Trotzdem sind sie da - die Kinder, die aus solchen Beziehungen hervorgingen.

Das Schicksal dieser Kinder, die inzwischen natürlich längst erwachsen sind, beleuchtet die Wanderausstellung „trotzdem da!“, die bis zum 14. September im NS-Dokumentationszentrum am Appellhofplatz zu sehen ist. Die Idee entstand, weil in der Gedenkstätte Lager Sandbostel nahe Bremen Kinder aus solchen „verbotenen Beziehungen“ nach ihren Vätern recherchierten. Also nahmen sich Kuratorin Lucy Debus und ihr Team des bislang nicht erforschten Themas an und starteten einen Aufruf. Mehr als 20 Menschen aus Deutschland, Österreich und den Niederlanden konnten für das Projekt gewonnen werden. „Viele wussten ganz lange nichts von ihrer Geschichte. Deswegen haben wir auch bewusst keine Menschen angeschrieben, von denen wir aus historischen Akten wussten, sondern nur mit denjenigen gesprochen, die sich bei uns gemeldet haben oder bereits zu ihrer Familiengeschichte veröffentlicht hatten“, erklärt Debus.

Lebensgeschichten erforscht

2023 und 2024 wurden dann deren Biografien erforscht, es gab Projektworkshops und Gruppentreffen. „Es war für uns sehr bewegend zu sehen, dass die Teilnehmenden bei den Workshops erstmals andere Menschen mit ähnlicher Biografie getroffen und sich als Gruppe erkannt haben, die dadurch endlich sichtbar wird“, erzählt Debus. Sie durften auch ihre Sorgen und Anregungen für die Ausstellung teilen. Debus: „Es war uns wichtig, die Ausstellung nicht nur über sie, sondern auch mit ihnen zu gestalten.“ Zudem gab es eine Kooperation mit dem Projekt „Multi-peRSPEKTif“ des Denkortes Bunker Valentin in Bremen, in dem junge Menschen mit internationaler Biografie Orte mit nationalsozialistischer Geschichte erkunden. Beim Zusammentreffen mit den Workshop-Teilnehmenden diskutierten die jungen und alten Menschen über ihre Erfahrungen von Rassismus und Sexismus und ihrer Suche nach Identität in ihren Herkunftsländern und in Deutschland.

Das Ergebnis „trotzdem da!“, nun im Kölner NS-DOK zu sehen, stellt die acht recherchierten Lebensgeschichten in den Vordergrund. „Die Biografien stehen inhaltlich und räumlich im Fokus“, erklärt Janne Grashoff vom NS-DOK, die die Kölner Station betreut. Es gebe keine Laufrichtung, sondern je nach Interesse können sich die Besucher die verschiedenen Video-Interviews ansehen. Ergänzend wird in jeder Biografie ein mit der Lebensgeschichte verbundenes historisches Thema vertiefend behandelt. Sie zeigen die Vielfältigkeit der Lebensläufe. Da aber viele solcher Lebensgeschichten gar nicht erzählt werden können, gibt es für diese stellvertretend eine zusätzliche „Biografie“ des „unbekannten Kindes“.

Zu Hause in den Niederlanden Deutsch gesprochen

Ton Maas, dessen Biografie ebenfalls Teil der Ausstellung ist, wuchs im Gegensatz zu den anderen Workshop-Teilnehmenden bei seinen leiblichen Eltern im niederländischen Eindhoven auf. „Wir waren eine glückliche Familie, aber es gab doch auch viel versteckte Trauer“, erinnert sich der 68-Jährige heute. „Wenn man klein ist, merkt man nicht, in was für eine Familie man hineingeboren worden ist.“ Nur dass zu Hause viel Deutsch gesprochen wurde und die Oma aus Deutschland zu Besuch kam, zu den niederländischen Großeltern väterlicherseits aber kaum Kontakt bestand, merkte er schon als kleiner Junge. Wenn andere Kinder ihn beschimpften, wischte seine Mutter das aber einfach weg mit den Worten: „Denk nicht weiter drüber nach!“

Ton und seine zehn Jahre ältere Schwester Erika wussten immer, dass ihr Vater Kees ihre Mutter Martha während des Zweiten Weltkrieges in Berlin kennengelernt hatte, doch das war selten ein Thema in der Familie. „Da wurde nicht drüber gesprochen“, erinnert sich Maas. Wenn zu den Gedenktagen an die Kriegsopfer und die Befreiung Anfang Mai im Fernsehen Dokumentationen über den Zweiten Weltkrieg liefen, schaltete ihre Mutter schnell aus. „Sie hatte ein Trauma“, sagt Maas.

Erst aus Tagebüchern des Vaters davon erfahren

Heute bereut er, dass er nicht mehr nachgefragt hat. Aber wie in vielen Familien trauten sich die Kinder nicht, weil sie merkten, dass die Eltern nicht über das Thema sprechen wollten. Erst als Mutter Martha 1995 plötzlich verstarb, konnte Vater Kees etwas freier erzählen. Doch die ganze Geschichte erfuhren Ton und Erika erst, als sie nach dem Tod des Vaters 2015 das Elternhaus ausräumten und im Keller eine Zigarettenkiste mit kleinen Tagebüchern entdeckten. „Unser Vater hat alles von 1943 bis 1945 aufgeschrieben“, erzählt Maas.

Sein Vater war 1943 als Zwangsarbeiter aus den Niederlanden nach Deutschland verschleppt worden und lernte seine Mutter in Berlin kennen. Trotz des „verbotenen Umgangs“ zwischen Deutschen und Zwangsarbeitern wurden sie heimlich ein Paar. Als Maas das alles erfuhr, dachte er sich: „Das gibt es doch gar nicht, das war ja so gefährlich.“ Dennoch war die Liebe seiner Eltern wohl stärker. „Man kann ja auch nicht sagen: ,Ich will mich nicht verlieben.'“ Als Kees Maas im Oktober 1945 zurück nach Hause kam, war er schon verheiratet und seine Frau erwartete ihr erstes gemeinsames Kind. Das kam bei der niederländischen Familie alles andere als gut an. Erst 1947 konnten Martha und Tochter Erika ihm dann folgen und sie bauten sich ein gemeinsames Leben auf.

Ausstellung soll Betroffene ermutigen

Die Geschichte seiner Eltern hat Ton Maas 2022 in einem Buch verewigt. Dank der kleinen Tagebücher wissen die längst erwachsenen Kinder nun um die Geschichte ihrer Eltern, die sonst vielleicht nie ans Licht gekommen wäre. Am Dienstag, 8. Juli, wird Maas um 18 Uhr im NS-DOK im Gespräch mit Kuratorin Debus vom Kennenlernen seiner Eltern, dem Aufwachsen in den Niederlanden und der Auseinandersetzung mit der eigenen Identität erzählen. Die Teilnahme ist kostenlos.

Das NS-DOK hofft darauf, dass die Ausstellung dazu ermutigt, dass auch andere Betroffene ihre Geschichte öffentlich machen. „Wir kennen keinen einzigen Kölner Fall“, sagt Grashoff, „aber man kann ganz sicher sein, dass es welche gibt.“ „Verbotenen Beziehungen“ sind zwar auch für Köln dokumentiert, ebenso verhängte Strafen gegen solche, aber es ist kein Name eines Kindes bekannt. Grashoff sagt: „Wir hoffen sehr, dass sich vielleicht auch der ein oder andere bei uns meldet.“