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„Mit anderen Augen“Kunstführung zu 500 Jahren Streetart lüftet Geheimnisse auf den Straßen Kölns

3 min
Dagmar Lutz weiß, dass die Grinköpfe in der Altstadt nicht einfach nur grausig aussehen sollten, sondern auch eine praktische Funktion als Seilzug hatten.

Die Grinköpfe in der Altstadt sollten nicht einfach nur grausig aussehen, sondern hatten auch eine praktische Funktion als Flaschenzug, weiß Kunsthistorikerin Dagmar Lutz. 

Wieso hat das Reiterdenkmal Löcher? Und was bedeuten die Fratzen an den Hauswänden der Altstadt? Tourguide Dagmar Lutz kennt die Antworten. 

Mit siebzehn Teilnehmenden startete Dagmar Lutz ihre diesjährige Führung „500 Jahre Streetart in Köln“. Unter der „Pädsfott“ des Reiterdenkmals für den Preußenkönig Friedrich Wilhelm III. erzählte die Kunsthistorikern Interessantes über die wechselvolle Geschichte des 1878 eingeweihten Denkmals auf dem Heumarkt. Dabei zeigte sie Bilder einer spektakulären Kunstaktion von vor vierzig Jahren. 1985 hatte der Maler und Bildhauer Herbert Labusga auf dem damals freien Sockel in einer heimlichen Nacht- und Nebelaktion einen Reiter aus Styropor installiert.

Besondere Aufmerksamkeit erregten auch die Abbilder von 71 historischen Personen auf der Sockelzone. „Warum haben einige Figuren auf dem Sockel so viele Löcher in ihren Mänteln“, wollte ein Teilnehmer wissen. „Das sind Löcher von Einschüssen aus dem Zweiten Weltkrieg“, so Lutz. Direkt gegenüber, vor einem italienischen Restaurant am Heumarkt dann eine weitere Erinnerung an die Zeit des Terrors: Hier hatte Gunter Demnig zwei Stolpersteine verlegt, die an Irma und Hermann Voos erinnern. Das Ehepaar wurde 1941 deportiert und in Lodz ermordet.

Aufmerksame Teilnehmer der Führung bemerkten die Löcher, die der Krieg im Reiterdenkmal hinterlassen hat.

Aufmerksame Teilnehmer der Führung bemerkten die Löcher, die der Krieg im Reiterdenkmal hinterlassen hat.

An der Hauswand des Zims entdeckte die Gruppe eine der steinernen Fratzen mit gruselig-grimmigem Gesichtsausdruck, die in der Altstadt an einigen Stellen zu finden sind. Keine Augen, kein Unterkiefer, stattdessen ragen dolchstoßartige Hauer aus diesen Grimassen. Um die sogenannten Grinköpfe ranken sich einige Legenden. Die bekannteste: Erzbischof Anno ließ im 11. Jahrhundert korrupte Schöffen blenden und an ihren Häusern solche Schandmasken anbringen. Dagmar Lutz weiß um die tatsächliche Bedeutung: „Zwischen den wie ein V spitz zulaufenden Hauern steckte man eine Stange. Mithilfe eines Seils konnte man einen simplen Flaschenzug herrichten, über den Waren gezogen werden konnten.“

An der Fassade der gegenüber liegenden Kultkneipe Keule haben Außerirdische ihre Spuren hinterlassen. „Space Invaders“ heißen die kleinen bunten Mosaike eines französischen Streetart-Künstlers, der sich vom gleichnamigen japanischen Computerspiel aus dem Jahr 1978 inspirieren ließ. Überall auf der Welt bringt „Invader“ an stark frequentierten Stellen in Großstädten 20 bis 50 Mosaike an.

Mahnmal gedenkt HIV-Verstorbenen

Vor der Markmannsgasse lenkte Lutz die Blicke nach unten – auf ein Kopfsteinpflaster von ernster Bedeutung. Hier hat der Künstler Tom Fecht 285 Gedenksteine in 19 Reihen in den Boden gelassen, die an HIV-Verstorbene erinnern. Die Steine sind nicht zuletzt wegen ihrer einheitlichen Beschriftungsart sehr ähnlich gestaltet, zeigen aber auch ganz individuelle Charakteristika hinsichtlich Farbe und Form. Vor fast genau 30 Jahren wurde das „Rosa-Winkel-Mahnmal“ nahe der Hohenzollernbrücke eingeweiht.

Für homosexuelle Menschen war der Rosa Winkel das Kennzeichen in den Konzentrationslagern, wohin viele deportiert und ermordet wurden. Das Mahnmal steht an einem ehemaligen Treffpunkt schwuler Männer. „Bis zum Zweiten Weltkrieg stand hier ein Pissoir, das zur Kontaktaufnahme genutzt wurde“, wusste Lutz. 

Nur wenige Meter weiter konnten die Teilnehmenden das kleine Geheimnis unter der Hohenzollernbrücke entdecken: Unter der Brücke der Liebesschlösser „balanciert“ auf einem Radarmast eine skelettartige Figur. „Im November 1990 stand sie auf einmal da. Weder die Deutsche Bahn noch das Amt für Brückenbau wussten Bescheid.“ Die Figur über dem großen Strom soll nach Angaben des anonymen Künstlers den Balanceakt symbolisieren, der für ein Leben in Einklang mit der Natur geleistet werden muss.

Bei den Teilnehmenden kam die Führung gut an. „Ich wohne jetzt schon lange in Köln, doch nun geht man mit ganz anderen Augen durch die Stadt“, lobte beispielsweise Stephanie Neuhäuser.