Konzert in KölnMelissa Etheridge im Palladium - ein Song für ihren Edel-Fan

Melissa Etheridge im Palladium.
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Leigh, Kristi, Andrea, Jessica und Cierra waren nicht dabei. Aber das, was die fünf Frauen über Melissa Etheridge gesagt haben – wie bodenständig sie rüber kommt, kein Stück abgehoben, und dass sie eine ist, die dir das Gefühl gibt, dass du nicht egal bist, dass du geliebt und verstanden wirst – können 2200 Fans am Samstagabend im Palladium nur unterstreichen.
Nicht erst dann, wenn die 64-Jährige um kurz nach 21 Uhr „a very special song“, einen ganz besonderen Song, ankündigt: „A Burning Woman“. Das Lied, dass sie für Leigh, Kristi, Andrea, Jessica, Cierra und die anderen im Staatsgefängnis für Frauen in Topeka (Kansas) geschrieben hat. Basierend auf Briefen, die ihr die fünf geschickt haben und den Gesprächen, die sie mit ihnen geführt hat, im Vorfeld ihres Auftritts am 28. Mai 2023, als sie für zwei Stunden in Topeka in den Knast ging, um für 500 Frauen Musik zu machen.
„Früher habe ich viel in Gefängnissen gesungen“, sagt sie, „und ich wollte das wieder tun.“ Mit „A Burning Woman“ habe sie etwas schaffen wollen, was die Frauen hinter Gittern stärkt. Wenn im Palladium „I’m not broken“, „I am worth it“ von Tausenden gesungen und wiederholt wird, dann klingt das so wie eine Solidaritätsbekundung, die zum machtvollen Mantra wird.
Ein Chor seelenvoller Seufzer
Machtvoll kann auch die Liebe sein, besonders bei „I’m the Only One“, wenn Etheridge sich klaftertief und seelenwund in den Blues hinein gräbt, der dich erfasst, wenn deine Frau dir erklärt, dass da eine andere da ist, mit der sich das vielversprechend anlässt. Schon bevor die Sängerin zur Mundharmonika greift, glaubt man, durch literweise Herzblut zu waten. „Oh-oh, oh-oh, oh-oh“, echot das Publikum. Ein Chor seelenvoller Seufzer und seeliger Schauer. Letztere verursacht diese einzigartige, unverwechselbare Stimme. Die weder ihre Kraft noch ihre Magie verloren hat.
Und jetzt eher noch besser klingt, lebensreifer und leiderfahrener, als damals, 1995, als dieser Song herauskam. „Remember the Nineties? We were babies“, wird Etheridge an anderer Stelle sage, „Erinnert ihr euch an die 1990er? Da waren wir Babys.“ Einer, der an diesem Abend im Publikum ist, wird darüber nur lachen können. Ihr deutscher „Super-Fan“, der von Anfang an dabei war: „Er hat über 300 Shows gesehen!“ An diesem Abend im Palladium bekommt er, was er immer wollte, dass Etheridge einen ganz bestimmten Song singt: „Ich habe diesen Song nie aufgenommen, er hat jedes Mal danach gefragt, ich habe jedes Mal ,Nein’ gesagt. Heute Abend spiele ich ihn für ihn“. Der Song heißt „Ready to love“: „Als ich ihn geschrieben habe, war ich 17, ich habe nachts die Bäume und die Sterne in Kansas betrachtet und mir ausgemalt, wie es sein würde, auf der Bühne zu singen.“
Es sind auch Geschichten wie diese, die die Sängerin und Songschreiberin, so nah rücken lassen. Fast so, als würde sie mit guten Freunden plaudern. Oder mit guten Freundinnen. Wie bei all ihren Konzerten gibt es davon auffallend viele. Etheridge, die sich 1993 öffentlich dazu bekannte, lesbisch zu leben und seit 2014 mit einer Frau verheiratet ist, ist eine Ikone der LGBT-Gemeinschaft. Da ist es fast schon Ehrensache, von diesem Konzert ein Souvenir mitzunehmen. Schon vor 20 Uhr, ehe das Konzert beginnt, muss der Merchandise-Shop zweimal den T-Shirt-Vorrat auffüllen.
Melissa Etheridge in Köln: Streifzug durch Folk, Blues und Rock
16 Stücke und zwei Stunden lang währt der Streifzug durch Folk, Blues und Rock, durch eine Erfolgsgeschichte, die 1988 begann und bislang mit einem Oscar und zwei Grammys honoriert wurde. Für ihre intensive Bühnenshow braucht die Sängerin und Songschreiberin mit dem schwarzen Cowboyhut über den blonden Haaren weder ausgefeilte Projektionen noch technische Gimmicks. Nur ihre Persönlichkeit, ihre Stimme, ihre Gitarren (ihr „Fuhrpark“ umfasst sechs- und zwölfsaitige Exemplare, wobei ihre türkisfarbene Ovation Custom Elite optisch besonders hervorsticht) und ihre Band. Die sie dann mit viel Lob und voller Namensnennung kurz vor Schluss vorstellt. Für sie selbst genügt ein schlichtes: „I’m Melissa.“
Mit starkmachenden Hymnen wie „I Want to Come Over“ und mit bis runter auf die Essenz reduzierten, atmosphärisch um so dichteren Gefühlsauslotungen wie „An Unexpected Rain“ geht es um 21.22 Uhr auf die Zielgerade: „Come to My Window“, „I’m the Only One“ (Hach!) und „Bring Me Some Water“. Endlich. Im wunderbar klimatisierten Palladium (Kompliment an die Betreiber!) hat zwar niemand das Gefühl gleich zu verdursten, aber nach dem letzten dieser Stücke haben alle gedürstet. Was Etheridge und ihre Band genau wissen und genüsslich zelebrieren. Sie pirschen sich ran wie Katzen.
Eine Zugabe gibt es, wie angekündigt, nicht. Aber das allerletzte Stück macht drei davon wett: „Like The way I Do“ als 15-Minuten-Glückseligkeitstaumel mit Soli, Improvisationen und einem Trommel-Duett von Eric Gardener und „la Etheridge“. Eine Ausnahmekünstlerin wie sie verdient einen solchen Namen. Ohne ihr damit Divenhaftigkeit zu unterstellen. Aber wer käme bei ihr schon auf so’was? Eben.