Die Journalistin Katty Salié sammelt in „Das andere Gesicht“ Erfahrungen von bekannten Menschen mit Depressionen - darunter auch die eigenen.
Interview mit Journalistin Katty Salié„Es gibt so viele Leute, die trotz Depression gut funktionieren“

Katty Salié lächelte vor der Kamera, obwohl sie mit ihrer Krankheit kämpfte.
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Nach ihrer Diagnose stieß die Journalistin Katty Salié auf Verbündete wie Torsten Sträter, Atze Schröder und Sophie Passmann. In ihrem neuen Buch zeigt sie, wie unterschiedlich Depressionen aussehen können und räumt mit Vorurteilen auf. Warum das überlebenswichtig ist, erklärt Salíe im Gespräch mit Lia Gasch.
Sie haben ein Buch über Depressionen geschrieben. Was wollen sie damit erreichen?
Ich hoffe, dass Menschen sich ernst nehmen und dass dieses Buch sie dabei unterstützt. Dass sie genau auf ihre Gefühlswelt schauen und herausfinden, was es ist, wodurch es ihnen schlecht geht. Ist es nur ein Hänger? Oder könnte es eine Krankheit sein, die sich zu therapieren lohnt? Die auch andere beschreiben? Viele Betroffene haben nicht die Kraft, sich umzugucken, sich mit Podcasts zu beschäftigen und noch fünf Artikel zu lesen, um ähnliche Geschichten zu finden. Da dachte ich: Wenn man das mal sammeln könnte! Meine Hoffnung ist, dass das Buch ein Ausgangspunkt sein kann. Zum Augen öffnen, Seele stützen und zeigen, dass man nicht allein ist.
Sie bezeichnen sich vor ihrer Diagnose als „Zirkuspferd“. Was ist damit gemeint?
Nora Tschirner hat in einer Podcast-Folge von „Hotel Matze“ über Depressionen und vom „sich vergaloppieren“ gesprochen. Kam mir bekannt vor. Ich war und bin oft im Galopp – was im Übrigen per se nichts Negatives ist. Nur kam ich mir phasenweise wie ein Zirkuspferd, also zurechtgemacht und leicht verkleidet, vor. Weil ich das Gefühl hatte, dass sich mein Leben, das nicht vor Kameras stattfindet, so wahnsinnig anders angefühlt hat.
Ihr privates Leben hat sich also schlechter angefühlt?
Ja, ohne dass ich mich vor der Kamera bewusst verstellt hätte, hatte ich zu dem Zeitpunkt, wo die Depressionsepisode so heftig geworden war, durchgehend das Gefühl, als würde ich spielen. Es war ein riesiger Kontrast zu dem, was ich sonst gespürt habe. Ich habe mich vor der Kamera aber nicht gequält, es war eher eine Erholung, weil dort alles heil schien. Kaum war die Kamera aus, bin ich wieder abgerutscht.
Sie haben für das Buch Interviews geführt. Warum?
Weil mir in der dunkelsten Phase die Geschichten der anderen so geholfen haben. Für mich waren diese Menschen Augenöffner. Durch Till Raether, Autor bei der Brigitte und Romanautor, bin ich etwa zum ersten Mal auf die hochfunktionale Depression gestoßen. Es gibt so viele Leute, die trotz Depression gut funktionieren. Und viele, die es nicht erkennen, weil sie wie ich gedacht haben, Depressionen bedeuten immer: Ich liege flach, weine und kann nicht aufstehen. Depressionen sind aber so unglaublich individuell.
Vermeintliche Todeswünsche
Welche Momente während der Gespräche haben sie besonders berührt?
Alle Momente, wo wir über vermeintliche Todeswünsche gesprochen haben. Es ist ja fast nie ein echter Todeswunsch - also nicht der Wunsch zu sterben, sondern der Wunsch, den Scheiß hinter sich zu lassen. Dass es aufhört. Das fand ich sehr berührend. Und natürlich das Gespräch mit Teresa Enke (die Frau von Fußballspieler Robert Enke, Anm. d. Red.), weil sie für jemand anderen, der schon nicht mehr da ist und leider doch den Weg des Suizids gewählt hat, gesprochen hat.
Warum wollten sie Suizid thematisieren?
Weil das leider dazugehört. Depressionen sind immer noch einer der Hauptgründe, warum Menschen sich in Deutschland und weltweit suizidieren. Ich finde es wahnsinnig traurig, dass so viele Leute in der Hoffnungslosigkeit stecken bleiben. Ich glaube, das muss nicht sein. Es gibt ganz viele Schritte vor diesem tragischen letzten, die dann einfach nicht gegangen worden sind.
Sie nennen ihre Krankheit ihr ‚anderes Gesicht‘. Wie ist ihre Beziehung zu ihrer Depression?
Am Anfang wollte ich dieses andere Gesicht A nicht haben, B nicht anschauen, und fand es C sehr hässlich. Mittlerweile weiß ich, dass es genauso zu mir gehört wie das fröhliche Gesicht. Es ist eine Variante von mir, die aber nichts mit meinem Charakter zu tun hat. Es ist das Gesicht, das ich habe, wenn die Krankheit sich anschleicht oder da ist. Mittlerweile kann ich es anschauen und damit selbstfürsorglich umgehen.
Ich hoffe, dass durch mehr Offenheit die Depression einfach als das angesehen wird, was sie ist: eine Krankheit.
In jüngeren Generationen sprechen Leute offener über psychische Erkrankungen. Sie werden deshalb oft als Modekrankheiten abgetan. Was sagen sie dazu?
Es schadet weniger, wenn ein paar Leute zu viel behaupten, sie sind depressiv, als wenn zu viele Leute das mit sich selbst ausmachen und dann vielleicht so schwer erkranken, dass sie den allerschlimmsten Ausweg nehmen. Ich hoffe, dass durch mehr Offenheit die Depression einfach als das angesehen wird, was sie ist: eine Krankheit. Und keine Charakterschwäche, kein Sich-anstellen. Eine Krankheit, die therapiert werden kann.
Warum fällt es vielen so schwer, ihre Depression zu kommunizieren?
Selbst der eigenen Familie gegenüber kann eine gewisse Scham da sein. Ich habe mich zum Beispiel oft wie eine schlechte Mutter gefühlt. Selbstzweifel gehören ja sowieso zu den Symptomen. Das ist wie eine Spirale. Man kann sich die Depressionen aber auch kaum selbst richtig erklären. Ich habe so viele Geschichten gesammelt, weil ich verschiedene Bilder davon zeigen wollte, wie sich eine Depression anfühlen kann. Ich verstehe total, dass Menschen, die damit nichts zu tun haben, es nicht verstehen.
Und ihr Buch kann dabei helfen?
Ich hoffe, dass diese Bilder auch nicht erkrankte Menschen bewegen und sie ein bisschen toleranter machen. Dass sie mehr darauf vertrauen, dass Menschen, die versuchen ihre Depression zu erklären, keinen Scheiß erzählen und nicht übertreiben, lügen oder ‚Mimimi‘ sind. Es ist schwer mit einer erkrankten Person umzugehen. Gerade wenn man gerne helfen will und das nicht funktioniert. Das können nur Fachleute. Man selbst kann „nur“ da sein. Und da braucht man eben viel Toleranz.
„Das andere Gesicht. Depressionen im Rampenlicht“ von Katty Salié, erschienen im Kiepenheuer & Witsch Verlag, 352 S., 25 Euro.
Buchpremiere
Katty Salié präsentiert ihr neues Buch am 16. Oktober um 19.30 Uhr im „Kairos Blue“, Niehler Str. 104. Bei einer Lesung und einem Gespräch moderiert von Christine Westermann gibt sie noch tiefere Einblicke in ihr Werk.