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Projekt in KölnWohnungsloser berichtet Schülern vom Leben auf der Straße

4 min
Das Projekt „Draussenseiter“ macht Schule" besucht eine vierte Klasse der Grundschule Garthestraße

Das Projekt „Draussenseiter“ macht Schule" besucht eine vierte Klasse der Grundschule Garthestraße

Bei dem neuen Projekt „Draussenseiter macht Schule“, können Kinder mit wohnungslosen Menschen sprechen. Die Bethe-Stiftung startet Spendenverdopplung.

Früher war er der „Chef der Chefs“: Führungsposition, ein schönes Haus, über das tägliche Brot musst er sich keine Gedanken machen. Heute ist alles ganz anders. Er erkrankte an Depressionen und musste mehrere Monate im Krankenhaus verbringen. Zur selben Zeit kündigte sein Vermieter ihm, aufgrund von Eigenbedarf. Damit war er obdachlos, als er also aus dem Krankenhaus entlassen wurde und musste für einige Zeit auf der Straße leben, bis er ein Zimmer in einer Notschlafstelle bekam. Jetzt ist er offiziell „nur noch“ wohnungslos.

Von seinem Weg von ganz oben nach ganz unten berichte Oliver M. nun einer vierten Klasse und stand den Kindern Rede und Antwort. Zusammen mit Christina Bacher, Projektleiterin des neuen Programms „Draussenseiter macht Schule“ und Chefredakteurin der Straßenzeitung „Draussenseiter“, besuchte er die Grundschule Garthestraße. Und obwohl er es als Verkäufer der Straßenzeitung „Draussenseiter“, und als „Experte der Straße“ bei den sozialen Stadtrundgängen der „Oase“ durchaus gewohnt ist, auf Menschen zuzugehen, war die Erfahrung, vor einer Schulklasse über sein Schicksal zu berichten für Oliver M. neu.

Bei dem Projekt stellen sich (ehemals) wohnungslose Menschen für die Präventions- und Bildungsarbeit an Kölner Schulen zur Verfügung. Die Zeitung wird von obdach- und wohnungslosen verkauft, um ihnen ein Einkommen zu generieren.

Vom Leben auf der Straße lernen

Jetzt gibt es vom „Draussenseiter“ die erste Ausgabe speziell für Kinder. Das Oberthema: warum Obdachlose so oft einen Hund als Gefährten besitzen. Eine Frage, die bei den Kindern selbst bereits aufkam, als sie Obdachlose und ihre Hunde in der Stadt sahen. Was die Kinder schon ahnen kann Oliver M. bestätigen: Der Hund ist für Menschen, die einsam auf der Straße leben, ein „bester Freund“, der Wärme und Zuneigung schenkt. „Habt ihr schon einmal einen Hund umarmt und dabei dessen Wärme gespürt“, fragt er die Grundschüler. Ein zustimmendes Raunen geht durch das Klassenzimmer.

Als Nächstes sollen die Kinder Fotos eines Zimmers in einer Notschlafstelle beschreiben. Sie werden gefragt, ob ihnen etwas auffalle. „Keine persönlichen Gegenstände, kein Schreibtisch und keine Fotos an der Wand“, stellen sie fest. „Das ist genau der Punkt“, unterstreicht Oliver M. „Man hat keine eigene Identität mehr. Es ist nicht so, dass man nach Hause kommt, Bilder von Familie und Freunden sieht, vielleicht einen Spiegel an der Wand hängen hat“, erzählt der 50-Jährige. Man sei im alltäglichen Kampf auf der Straße, frage sich, wo man schlafen könne, könne nie durchschlafen und bekomme auch keine Ruhe. „In Guantánamo zum Beispiel, gilt Schlafentzug als Folter und diese wird einem mehr oder weniger über Jahre hinweg auferlegt“, verdeutlicht er die drastischen Folgen.

„Ich möchte Verständnis schaffen“

Christina Bacher ist zudem Kinderbuchautorin und nutzt auch dieses Format zur Aufklärung. Aus ihrem Buch „Toni träumt“ las sie den Schülern am selben Tag vor. Doch nicht nur ihr liegt die Aufklärung am Herzen. Auch der Klassenlehrer möchte das Thema im Unterricht weiter behandeln: „Mir geht es darum, den Kindern zu zeigen, dass so etwas auch unverschuldet passiert und ihnen deutlich zu machen, dass da jemand ist, der mal genau so gelebt hat wie wir.“ Olivers Geschichte sei da prädestiniert für. „Ich möchte dafür Verständnis schaffen und Vorurteile aus dem Weg räumen.“

Im Rahmen des neuen Projekts hat die Bethe-Stiftung angekündigt, alle Spenden, die in dem Zeitraum vom ersten November 2025 bis zum 31. Januar 2026 eingehen, zu verdoppeln. Das Programm ermöglicht Kindern und Jugendlichen, wohnungslosen Menschen wie Oliver zu begegnen und einen Einblick in deren Lebensrealitäten zu bekommen. „Es geht eben nicht nur darum, dass das Ehepaar Bethe ihr eigenes Geld für soziale Zwecke einsetzt, sondern, dass es Nachahmer gibt und dass andere eine Begeisterung für das Spenden bekommen“, sagt Martin Hamburger, Vertreter der Bethe Stiftung. „Es sei ein Anreiz für die Spender zu wissen, dass aus ihren 20 Euro, 40 Euro werden.“