Apotheken, Haus- und Zahnärzte in Nordrhein-Westfalen protestieren am Mittwoch für eine bessere Patientenversorgung. Auch in Köln blieben Praxen und Apotheken geschlossen.
„Immer weniger Zeit für Patienten“Darum protestierten Hausärzte und Apotheken in Köln

In der Hausarztpraxis in Longerich blieben am Mittwoch die Telefone stumm.
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An einem normalen Tag klingelt in der Hausarztpraxis von Dr. Mirjam und Dr. Philipp Antz und ihren Kolleginnen und Kollegen in Longerich mehrere Hundert Mal das Telefon. Am Mittwoch blieb es stumm. Stattdessen hörten Patientinnen und Patienten diese drastische Tonbandansage: „Heute erreichen Sie uns nicht wie gewöhnlich. Wenn wir jetzt nichts ändern, sieht so unsere gemeinsame Zukunft aus. Die Gesundheitsversorgung, wie Sie sie kennen, wird es nicht mehr geben.“
Zum landesweiten Protesttag von Hausärzten, Apotheken, Zahnärzten und medizinischem Personal hatten gleich mehrere aufgerufen: das Aktionsbündnis Praxenkollaps mit 36 ärztlichen und psychotherapeutischen Berufsverbänden und Versorgergruppen aus Nordrhein, sowie das Aktionsbündnis Patientenversorgung, gegründet unter anderem vom Hausärzteverband Nordrhein und dem Apothekerverband Nordrhein. Rund 60 Prozent der Kölner Praxen beteiligten sich am Protest, rund 200 Apotheken blieben geschlossen. Eine große Demonstration mit 5000 Teilnehmenden fand in Dortmund statt, eine weitere Kundgebung in Düsseldorf.
Wir haben immer weniger Zeit für die Patienten, und das muss sich ändern.
In der gemeinschaftlichen Hausärztepraxis in Longerich ist am gestrigen Mittwoch nur das Telefon ausgeschaltet. In dringenden Fällen können Patientinnen und Patienten trotzdem in die Praxis kommen, auch zu seinen Hausbesuchen fährt Dr. Philipp Antz. „Wir wollen für unsere Patienten da sein“, sagt Dr. Mirjam Antz, die die Praxis zusammen mit ihrem Mann führt. „Aber wir wollen mit unserer Beteiligung am Protesttag auch auf die Missstände aufmerksam machen“. „Unsere Gesundheitspolitik bekommt nix gebacken!“ steht deshalb auf den Brötchentüten, die am Mittwoch in der Praxis verteilt werden.
Sieben bis acht Minuten - so lange hat ein Hausarzt im Schnitt für einen Patienten Zeit, wenn er noch wirtschaftlich arbeiten möchte. „Es sind auch welche dabei, die noch weniger bekommen“, bedauert Dr. Philipp Antz. „Wir haben immer weniger Zeit für die Patienten und das muss sich ändern.“ Schuld seien die stetig wachsende Bürokratie, Regressforderungen der Krankenkassen und die Budgetierung durch die Kassen. Denn das Geld, das Ärztinnen und Ärzte für die Behandlung von gesetzlich versicherten Patientinnen und Patienten erhalten, ist nach oben hin begrenzt. „Rein rechnerisch ist das Budget für dieses Jahr jetzt aufgebraucht - ab sofort bekommen wir bis zum Ende des Jahres für jede ärztliche Leistung noch weniger Geld“, so Mirjam Antz.
Keine Nachfolger: Hausarztpraxen schließen
Wie wenig das zum Teil ist, zeigt der feste Satz, den Hausärzte für einen Hausbesuch bekommen. 24,36 Euro zahlen die Kassen für die Behandlung daheim - die Anfahrzeit sei da noch nicht mal mit drin, so Antz. Viele Ärzte bieten diese Dienstleistung daher schon gar nicht mehr an. „Wenn es so weitergeht, bedeutet das irgendwann, dass nicht mehr alle uneingeschränkten Zugang zur medizinischen Arztversorgung haben“, sagt Mirjam Antz. Ein weiteres Problem sei auch der Fachkräftemangel: Sechs Medizinische Fachangestellte (MFA) hat die Longericher Praxis, gerne hätte sie noch mehr. Im ambulanten Bereich bekommen diese jedoch nach Tarif deutlich weniger gezahlt als etwa im Krankenhaus.
Abrechnen kann der Hausarzt nur die ärztlichen Leistungen per Katalog - tägliche Telefonate mit Apotheken wegen nicht lieferbarer Medikamente, die Erklärungen von Röntgenbildern vom Facharzt oder Probleme bei der Übermittlung der elektronischen Krankmeldung lösen gehören nicht dazu. „Hunderte von Milliarden gehen in den Krankenhaussektor, um alte Strukturen zu retten, die es sowieso bald nicht mehr geben soll“, so Antz, „aber nirgendwo wird thematisiert, wie lange die Hausarztpraxen ihr volles Angebot noch so anbieten können.“ Bei einigen gehen die Kräfte bereits zur Neige: Mehrere Hausarztpraxen im Bezirk haben bereits geschlossen oder werden schließen. Die Nachfolger sind rar.
Die Bürgerinnen und Bürger unterstützen die Proteste der Apotheken. Denn sie erleben tagtäglich die Probleme, die die Lieferengpässe bei ihren Medikationen verursachen.
Auch Apotheken stehen vor einer Schließungswelle.„ Durch die sehr großen Belastungen der nicht enden wollenden Lieferengpässe bei Arzneimitteln, stark steigenden Personalkosten, Inflation und Fachkräftemangel hat sich die wirtschaftliche Lage der Apotheken in den vergangenen 24 Monaten erheblich verschlechtert“, sagt Thomas Preis, Vorsitzender des Apothekerverbandes Nordrhein.
Von den rund 220 Apotheken in Köln versorgten am Mittwoch etwa 20 die Menschen mit dringend benötigten Medikamenten. „Viele Bürger haben sich auf den Protesttag eingestellt und planbare Apothekenbesuche vorgezogen oder auf die Tage danach verschoben“, so Preis. „Die Bürgerinnen und Bürger unterstützen die Proteste der Apotheken. Denn sie erleben tagtäglich die Probleme, die die Lieferengpässe bei ihren Medikationen verursachen.“ Aktuell sei jedes zweite Rezept von Lieferengpässen betroffen.