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Startschuss der Lit.CologneWas lesen Kölns Buchhändlerinnen und Buchhändler?

Lesezeit 6 Minuten
Stephanie Luchterhandt in ihrem Laden „Handtverlesen“ in Bickendorf

Stephanie Luchterhandt in ihrem Laden „Handtverlesen“ in Bickendorf

Wir haben Empfehlungen für neue literarische Entdeckungen in ganz besonderen Kölner Buchläden gesammelt. 

Diese besonderen Buchläden behaupten sich mit Herzblut gegen große Ladenketten und Amazon. Wie schaffen die Buchhändlerinnen und Buchhändler das? Und welches ihrer Bücher ist ihr Liebling? 

Der wahr gewordene Traum: „Handtverlesen“ in Bickendorf

„Heute zieht die Welt so schnell an einem vorbei und ganz viel passiert digital. Aber hier im Laden soll es entschleunigt sein“, sagt Stephanie Luchterhandt. Die 42-Jährige hat ihren Buchladen „Handtverlesen“ in Bickendorf erst Ende vergangenen Jahres eröffnet. Mit ihrem Sortiment wolle sie vor allem das gebundene Buch, also das Handwerk feiern. „Für mich ist das einfach ein kleiner Luxus. Ich habe hier so tolle Frühjahrsbücher, die einem, schon wenn man sie anfasst, das Herz höher schlagen lassen, weil sie so toll produziert sind“, schwärmt sie. Taschenbücher gibt es natürlich trotzdem. Das Angebot sei außerdem „gespickt mit Herzensdingen“, etwa Geschenkartikeln.

„Ich wollte schon immer einen kleinen Laden eröffnen“, erklärt Luchterhandt. Eine befreundete Buchhändlerin habe ihr damals zu bedenken gegeben, dass der Plan von einem Buchladen nicht erträglich sei. Für Luchterhandt hat sich das nicht bewahrheitet: „Wir stemmen uns zahlenmäßig absolut gegen den Trend und die Herausforderungen“, sagt sie. „Die Nahversorgung kommt hier im Viertel gut an. Wir bekommen oft die Rückmeldung, dass Kunden lieber zu uns kommen, anstatt ein Buch auf Amazon zu bestellen.“

Lieblingsbuch der Händlerin „Wo der Wolf lauert“, Ayelet Gundar-Goshen, 352 Seiten, 15 Euro. Ein Gesellschaftsroman und zugleich Thriller über die Geschichte einer israelischen Auswanderer-Familie im Silicon Valley in den USA. „Ein unvergessliches Leseerlebnis, das bis zur letzten Seite spannend ist und ein unvermutetes Ende birgt. Es zeigt, warum es so wichtig ist, von Antisemitismus zu sprechen und sich entschieden gegen Rassismus zu stellen“, findet Luchterhandt.

Drei Empfehlungen

  • „Hotel Amerika“, Marie Leitner, sozialkritischer Roman, 255 Seiten, 25 Euro
  • Nincshof, Johanna Sebauer, märchenhafter Roman, 368 Seiten, 23 Euro
  • Das Leben ist ein Fest, Claire Berest, Roman über Frida Kahlo, 221 Seiten, 22 Euro. 

Das Urgestein: Maternus Buchhandel in der Südstadt

Seit 78 Jahren gibt es den Maternus Buchhandel auf der Severinstraße. „Sie ist eine der ältesten inhabergeführten Buchhandlungen in Köln“, sagt Inhaber Gerrit Völker (46) stolz. Der Laden passe mit seinem hemdsärmligen Charakter zum Severinsviertel.  Zum Erfolgsrezept würden außerdem eine gewisse Wandlungsfähigkeit und eine große Überzeugung gehören.  

„Wir sind ein guter Ort, um mit Büchern hinauszugehen, die man vorher nicht auf dem Schirm hatte, aus unabhängigen Verlagen zum Beispiel“, erklärt Völker. Im Sortiment spiegele sich eine gewisse Eigenständigkeit im Denken und Handeln wider. Jeden Büchertrend, wie es sie in dem sozialen Netzwerk Tik Tok häufig gibt, folge Maternus deshalb nicht. Trotzdem würden auch viele junge Menschen vorbeikommen, um sich inspirieren zu lassen, die sehr aufgeschlossen gegenüber Literatur seien.

Lieblingsbuch des Händlers „Fiktionen“, Jorge Luis Borges, 192 Seiten, 11 Euro. „Das eine ,Lieblingsbuch' habe ich gar nicht, da kann ich keines ausnehmen“, sagt Völker. Er liebe die Literatur als Ganzes und empfiehlt deshalb eine Sammlung von Erzählungen. „Denn die enthalten die unermessliche ‚Bibliothek von Babel‘, in der es jedes irgendwie erdenkliche Buch gibt. Die Literatur als Kosmos, monströs und wundervoll gleichermaßen.“

Drei Empfehlungen

  • „Die Seele aller Zufälle“, Fabio Stassi, Kriminalroman, 281 Seiten, 24 Euro. 
  • „Trophäe“, Gaea Schoeters, provokanter Roman, 252 Seiten, 24 Euro. 
  • „Radio Sarajevo“, Tijan Sila, autobiografischer Roman und Besteller bei Maternus 2023, 172 Seiten, 22 Euro. 

Der Überlebende: Buchladen Kalker Hauptstraße

Auf der Schäl Sick sind inhabergeführte Buchläden rar gesät. Urszula Jablonskas Laden ist eine dieser wenigen Oasen: Seit Ende der 90er bedient sie ihr Veedel und hat erlebt, wie so mancher Buchladen im Rechtsrheinischen schließen musste. „Es gab noch eine zweite kleine Buchhandlung in Kalk, die schließen musste, nachdem die Arcaden aufgemacht haben, weil sie direkt daneben war“, erzählt die 60-Jährige. „In Deutz gab es eine kleine inhabergeführte Buchhandlung, die zugemacht hat, weil die Miete auf einmal viel mehr gekostet hat“. Heute sei dort eine Thalia-Filiale.

Dafür, dass es ihren Laden weiter geben kann, sei viel Engagement und Idealismus nötig. Jablonska hat Literaturwissenschaften studiert, Bücher seien ihre Leidenschaft. „Unsere Kunden sind dankbar, weil wir nicht so vollgestopft sind. Wir beraten, hören den Leuten zu und veranstalten Lesungen.“   Ihr Buchladen bietet außerdem alles für eine Zeitreise durch Kalk: Hier finden sich alle Bücher der Kalker Geschichtswerkstatt zur Historie des Stadtteils. Der ehemalige Industriestandort ist laut Jablonska heute nicht nur ein multikulturelles Viertel, sondern auch bei Kunstschaffenden und Studierenden immer beliebter. Das merke sie auch an ihrer immer vielfältigeren Kundschaft.

Lieblingsbuch der Händlerin „Soutines letzte Fahrt“, Ralph Dutli, 272 Seiten, 22 Euro. Ein biografischer Roman, „der in einem Strom expressionistischer Bilder das zutiefst bewegende und faszinierende Leben des Malers Chaim Soutines in Vilna und Paris der Goldenen Zwanziger erzählt“, erklärt Jablonska.

Drei Empfehlungen

  • „Kleine Kratzer“, Jane Campbell, Roman, 192 Seiten, 23 Euro
  • „Offene See“, Benjamin Meyers, Roman, 267 Seiten, 13 Euro
  • „Raumpatrouille“, Matthias Brandt, Geschichten, 176 Seiten, rund 10 Euro

Der Moderne: Manulit im Belgischen Viertel

„Ein Buch hat für mich einen Wert, wenn es mich verändert, die Welt verändert oder die Perspektive auf die Welt verändert“, erklärt Manulit-Inhaber Urs Erdle (58). „Wir überprüfen jedes Buch darauf, ob es etwas Neues bietet.“ Der Laden auf der Limburgerstraße bietet außerdem viele englische Titel. Das sei eine Seltenheit in Kölner Buchhandlungen. „Weil wir zwischen Innenstadt und belgischem Viertel liegen, sind hier wahnsinnig gerne junge Leute unterwegs, die auch hier Urlaub machen. Dadurch kommen immer mehr Menschen zu uns, die englische Bücher möchten“, erklärt Mitarbeiterin Sophia Bahl (29). Sie kümmert sich seit der Eröffnung 2022 um die Events im Laden. Denn Manulit ist nicht nur Buchladen, sondern auch Veranstaltungsort und Café, das sich in eine Bar verwandeln kann. Abends finden hier oft Lesungen oder Buchclubs statt.

Lieblingsbuch des Händlers „Bitte nicht wegwischen: Die Schönheit mathematischer Tafelbilder“, Jessica Wynne, 248 Seiten, 40 Euro. „Noch nie habe ich die kreative Kraft von Denkprozessen und Geistesblitzen visuell auf eine solch ästhetisch beeindruckende Weise anhand von Fotografien von Kreide-Tafelbildern erlebt“, so Erdle.

Drei Empfehlungen

  • „Notizen zu einer Hinrichtung“, Danya Kukafka, Thriller, 248 Seiten, 22 Euro
  • „Nightbitch: A Novel“, Rachel Yoder, feministischer Roman über Mutterschaft, 256 Seiten, 16,60 Euro
  • „Zierfische in Händen von Idioten“, Manuel Butt, Roadmovie in Romanform, 348 Seiten, 24 Euro

Der Vernetze: Buchhandlung Baudach in Dellbrück

Die Buchhandlung Baudach liegt auf der Dellbrücker Hauptstraße. „Wir haben hier noch eine gut funktionierende Einkaufsstraße“, erklärt Mitinhaberin Mirjam Seelbach-Geese (42). Das Besondere am Laden seien die familiäre Verbundenheit zum Veedel und den anderen Einzelhändlern. In diesem Jahr feiere Baudach 40. Geburtstag. „Unserer Erfahrung nach kaufen die Leute nach wie vor Bücher“. Das liege vielleicht auch am Stadtteil: „Dellbrück ist ja so ein bisschen Speckgürtel“, sagt sie. Es gebe dort viele Akademikerfamilien und kulturell engagierte Leute.

Baudach will jedoch für alle im Veedel da sein. „Ich finde es total wichtig, dass hier jeder willkommen ist, egal was er liest und ob jemand sich jetzt einen Nackenbeißer nach dem anderen kauft oder was Hochliterarisches liest. Hauptsache, die Leute beschäftigen sich mit dem Buch.“

Lieblingsbuch der Händlerin „Lichtspiel“, Daniel Kehlmann, 471 Seiten, 26 Euro. „Die Geschichte über den großen Stummfilm-Regisseur G. W. Pabst beinhaltet alles, was große Literatur ausmacht. Das Buch ist spannend wie ein Krimi, wirft große (moralische) Fragen auf und ist dabei auch noch unterhaltsam. Ganz große Kino!“

Drei Empfehlungen

  • „Demon Copperhead“, Barbara Kingsolver, Roman inspiriert von Charles Dickens' David Copperfield, 864 Seiten, 26 Euro
  • „James“, Percival Everett, Roman, 336 Seiten, 26 Euro 
  • „Der Sohn des Friseurs“, Gerbrand Bakker, Roman, 285 Seiten, 25 Euro
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