Tausende bislang unbekannte Fotografien zeigen, wie die Domstadt nach dem Zweiten Weltkrieg zu neuem Leben erwachte. Die Greven Stiftung Köln und das Bildarchiv des Landschaftsverbands Westfalen-Lippe hat Stereo-Fotos aus den Jahren 1946 bis 1949 digitalisiert und zugeordnet.
Nachkriegs-ZeitTausende bislang unbekannte Fotos zeigen, wie Köln erwachte

Diese Aufnahme aus der Sammlung Schnitkemper zeigt den Kaufhof in Köln vermutlich im Jahr 1947. Vorne am kleinen Gemüse- und Obststand wird fleißig eingekauft.
Copyright: LWL-Medienzentrum für Westfalen
Der Kaufhof Hohe Straße hat noch geschlossen. Das Gebäude hat im Zweiten Weltkrieg einiges abbekommen. Die Scheiben sind zerstört, die Eingänge mit Holz notdürftig geschlossen. Davor ist ein großer Schutthaufen zu sehen. Doch die Menschen laufen bereits wieder geschäftig umher. Statt im großen Kaufhaus kaufen sie am provisorischen Gemüse- und Obststand davor ein.

Schildergasse, Geschäfte Feinkost Berger und Bekleidung Esders & Dyckhoff, Blick Richtung Neumarkt
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Rund 3400 bislang unbekannte Aufnahmen aus dem Köln der Nachkriegsjahre sind nun digitalisiert einsehbar. Die sogenannte Sammlung Schnitkemper umfasst Stereo-Fotos aus den Jahren 1946 bis 1949. Bei dieser Technik wurden immer zwei Teilbilder gemacht, um einen räumlichen Eindruck zu erschaffen. Bereits 1995 hatte der Landschaftsverband Westfalen-Lippe (LWL) die Negative ohne Hinweise auf den Urheber oder die Entstehunggeschichte angekauft. Nun wurden diese mit Unterstützung der Kölner Greven Stiftung vollständig digitalisiert. Im Anschluss wurden die Stereo-Paare vom LWL-Medienzentrum in Münster identifiziert und digital zusammengefügt. Fast drei Jahre sind seit dem ersten Austausch vergangen. „Für das Greven Archiv Digital und das LWL-Bildarchiv war es ein gutes Kooperationsprojekt“, erklärt Dennis Janzen, Leiter des Greven Archiv Digital.

Köln: Johannisstraße, Blick auf Dom und zerstörten Hauptbahnhof
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Perspektiven, die es vorher und nachher nicht gab
Die Fotos dokumentieren die Domstadt in Trümmern, aber vor allem, wie das Leben zurückkehrt. Die Stadt erwacht, die Menschen sind im Aufbruch. Zu sehen sind dabei oft Perspektiven, die es vorher und nachher nicht gab, weil beispielsweise zwischen Rathaus und Dom oder Groß St. Martin und Dom immer hochgeschossige Gebäude standen. Menschen sind nur selten zu sehen, es gibt keine Porträt-Aufnahmen. „Es ging ausschließlich um die Gebäude“, ist sich Tobias Flümann, wissenschaftlicher Referent im LWL-Bildarchiv für Westfalen, sicher.
Insgesamt umfasst die Sammlung mehr als 5000 Datensätze, die anderen Motive stammen aus Münster und Recklinghausen. Die rund 10.000 Kleinbildnegative auf Filmmaterial aus Cellulosenitrat lagerten gut geschützt, weil das Material leicht entflammbar ist. Drei Jahrzehnte lang wurde die Aufarbeitung immer als zu arbeitsintensiv verworfen. Doch nun konnte auf moderne Technik zurückgegriffen werden. Die Recherche lief über digitale Karten, Vergleichsbilder im Netz und virtuelle Stadtbegehungen auf der Suche nach Fixpunkten, die den Krieg überstanden hatten. Flümann, der einst selbst in Köln studiert hat, sagt: „Wenn man dann einmal weiß, wo man ist, ist es leicht, sich von dort aus zu orientieren.“ Denn die Aufnahmen seien alle 20, 25 Meter gemacht worden. Straßenzug um Straßenzug. Nur sind manche Straßen heute gar nicht mehr vorhanden oder wurden umbenannt. „Da benötigten wir historische Straßenpläne aus dem Greven-Archiv“, so Flümann. Zeitliche Hinweise gaben die Bilder selbst – mal das Zulassungsjahr auf einem Autokennzeichen, mal die Werbung für einen Film.

Das Stereo-Foto aus der Sammlung Schnitkemper zeigt Groß St. Martin und dahinter den freien Blick auf den Dom.
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Wer die Fotos gemacht oder in Auftrag gegeben hat, ließ sich allerdings trotz intensiver Recherchen nicht rekonstruieren. Schnitkemper heißt die Sammlung nach der Familie der Vorbesitzer. Der inzwischen verstorbene Alfons Schnitkemper war Sammler von Stereo-Fotos, arbeitete bei „Hansa Luftbild“ und hatte die Negative wohl von seinem Arbeitskollegen Christian Voigt, vermutlich zwischen 1910 und 1925 geboren. Flümann: „Aber ab da ist die Spur tot.“
Rätselhaft bleibt zudem, weshalb der Fotograf auf Stereo-Technik setzte. „Zum einen war die Hochphase eigentlich längst vorbei, zum anderen brauchte er so in Zeiten der Knappheit doppelt so viel Material“, erklärt Flümann. Mehr als 250 Filmrollen, immer nur Markenprodukte von AGFA, die Schlussfolgerung: „Er muss unbeschränkten Zugang zu Filmmaterial gehabt haben.“
Hinweise helfen bei der Verortung
Seit der Veröffentlichung konkretisierten sich die Ortsangaben dank zahlreicher Hinweise immer mehr. Manch einer entdecke auf den Fotos sein Wohnhaus wieder, sagt Janzen: „Ich bin beeindruckt von der großen Resonanz.“ Jede zusätzliche Information helfe dabei, das Puzzle zu vervollständigen.
