Straßenkünstler wie Jongleure sind an den Ampeln Kölns längst normal. Zwei von ihnen geben einen Einblick in ihr Leben und erklären, warum hinter den bunten Auftritten eine ernste Geschichte steckt.
Straßenkunst in KölnZwei Straßenrand-Artisten erzählen aus ihrem Leben

Bei halsbrecherischen Kunststücken lässt Jongleur Pohemnerss Sanchez seine bunten Keulen hoch über den Autodächern fliegen.
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Das Publikum von Patricio Puig ist nicht freiwillig zur Show gekommen. Während sein Auftritt ihm Schweißperlen auf die Stirn treibt, warten die meisten darauf, dass er vorbeigeht – und die Ampel vor ihnen wieder grün wird. Er springt von seinem Einrad, nur noch 30 Sekunden bis die Rotphase endet. Mit einem strahlenden Lächeln flitzt der 25-Jährige zwischen den Fahrzeugen umher. Und tatsächlich: Ein Fenster fährt runter, der Fahrer drückt ihm einen Euro in die Hand.
Der Argentinier ist Jongleur und verdient sein Geld damit, Autofahrenden ihre Wartezeit zu versüßen. In Köln ist er damit einer von vielen. Seit einigen Jahren gehören die kurzen Shows an viel befahrenen Straßen, wie dem Bonner Verteilerkreis oder der Inneren Kanalstraße fest zum Stadtbild. Mit brennenden Fackeln, Messern und Bällen buhlen die Jongleure um die Aufmerksamkeit der Leute. Doch es steckt Ernst hinter den bunten, fröhlichen Auftritten: Für die Jongleure ist ihre Arbeit kein Hobby, sondern Lebensinhalt und Rettungsboot.
Ist das eigentlich erlaubt?
Die Jongleure werden von der Polizei toleriert, weil sie den fließenden Verkehr mit ihren Shows in den Grünphasen nicht behindern. Ein Bußgeld von 100 Euro droht ihnen, wenn sie an den Autofenstern aggressiv betteln – das ist jedoch die Ausnahmen. Dass sie als Fußgänger auf die Straße laufen, kann die Jongleure fünf Euro kosten.
Die Konkurrenz ist groß: Mehr als 20 weitere Jongleure leben laut Puig aktuell in Köln. „Viele kennen sich und sind eine Gemeinschaft“, erzählt er. An den rentabelsten Stellen gilt: „Wer zuerst kommt, darf bleiben.“ Fünf Stunden am Stück wird er heute unermüdlich aufsteigen, jonglieren, absteigen und wieder aufsteigen. Danach sei eine Pause mehr als nötig: „Meine Arbeit ist sehr ermüdend und anstrengend für den ganzen Körper“. Belohnt wird der junge Argentinier am Ende des Arbeitstages mit durchschnittlich 40 Euro.

Jongleur Pohemnerss Sanchez
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„Jonglage ist nicht nur Kunst, sondern eine Art zu leben“, erklärt Puig begeistert. Auf der ganzen Welt gebe es Jongleure, die mit ihren sieben Sachen die Welt bereisen, um zu arbeiten. Auch Puig ist nur auf Zeit in Köln. Er liebe die Freiheit, die seine Lebensweise mit sich bringe. Nur eines sei daran noch besser: die Sicherheit.
Als er 17 war, entschied sich der Jongleur seiner Heimat Tucumán den Rücken zu kehren. „Wo ich her komme, ist es sehr gefährlich“, erklärt er. Gewaltverbrechen seien dort an der Tagesordnung. Die Jonglage gab ihm die Möglichkeit, einfach aufzubrechen. Zum Geld verdienen brauch er dabei nur, was er auf den Straßen seiner Heimatstadt gelernt hat. Sein bescheidener Traum: „Ich will ein kleines Grundstück kaufen und einen Gemüsegarten anlegen.“
Ein Einzelfall ist die Geschichte des jungen Südamerikaners nicht. Der Jongleur Pohemnerss Sanchez kommt aus Kolumbien und reist seit 23 Jahren um die Welt. „90 Prozent der Jongleure kommen aus Südamerika“, erklärt er. Europäer verbreiteten dort das Jonglieren. Die Einheimischen lernten schnell, daraus ein Geschäftskonzept zu machen. Spätestens seit den Achtzigern verbreitete sich die Jonglage in Südamerika auch als Lebensart. Das sei eine wichtige Chance: „Jonglieren ist für viele eine Möglichkeit, der Kriminalität in ihrem Land zu entkommen.“
Jonglage als Weg aus der Kriminalität
Im Schatten des Drogenbarons Pablo Escobar sei die Jugend des 53-jährigen Sanchez von Kriminalität geprägt gewesen. „Drogen sind dort immer noch allgegenwärtig und sehr billig“, erklärt er. „Viele Menschen werden deshalb abhängig.“ Auch er, damals Besitzer von zwei Friseurläden, gehörte zu ihnen. „Meine Familie hielt mich für verrückt, als ich mein Geschäft aufgab, um Jongleur zu werden“, erinnert er sich lachend. Heute ist er seit fast 20 Jahren „clean“. „Um als Jongleur überleben zu können, muss man extrem diszipliniert sein“, erklärt er. „Man muss sich der Sache vollkommen hingeben.“ Platz für Ablenkungen sei dabei nicht.
Jonglieren ist für viele eine Möglichkeit, der Kriminalität in ihrem Land zu entkommen.
Die Drogenszene in seiner Heimat mache vor keinem Halt: „Sie locken schon Kinder mit Geld, damit sie als Kuriere oder Auftragskiller arbeiten.“ Um dem entgegenzuwirken, nutzen soziale Einrichtungen in Südamerika das Jonglieren, um Kinder von Kriminalität fernzuhalten. „Jeder kann es mit einfachen Mitteln lernen“, sagt Sanchez. „So sind die Kinder beschäftigt und kommen nicht auf dumme Gedanken.“ Der Straßenkünstler hat selbst Kinder, die ältesten sind mittlerweile auch Jongleure. Mit ihnen habe er 2009 „Circultura“ gegründet, eine Zirkus-Stiftung, die Menschen auf der ganzen Welt die Straßenkunst nahebringen.
Sanchez jongliert, um seinem Nachwuchs eine bessere Zukunft zu ermöglichen. „Ich mache nichts, außer zu arbeiten“, erklärt er. „Meine Kinder sollen studieren können.“ Was er übrig hat, schickt er seiner Familie. In Köln spenden die Leute laut dem erfahrenen Jongleur deutschlandweit am meisten. „Die Menschen hier haben ein großes Bewusstsein für Kunst und wollen sie unterstützen“, erklärt er begeistert. Für viel reicht es nicht, mit seiner finanziellen Situation sei er trotzdem zufrieden: „Wir essen Fleisch, wenn wir Lust darauf haben.“