Kölner Ärchologe im InterviewJohann Tinnes über Techniken zum Bau von Pfeil und Bogen

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Archäologe Johann Tinnes 

  • Seine Werkstatt in Ehrenfeld quillt über vor historischen Bögen, Pfeilen, Speerschleudern und sonstigem Material.
  • Immer wieder wird Johann Tinnes während des Gesprächs in den Schränken und Schubladen nach Beispielen suchen, um seine Erläuterungen zu veranschaulichen.

Köln – Waren Sie als Kind lieber Cowboy oder Indianer?

Karneval in der rheinländischen Tradition gab es in Siebenbürgen nicht. Aber beim Kinderspiel „Cowboy und Indianer“ war ich natürlich lieber Indianer. In den 1980ern haben wir als Kölner Studenten der Ur- und Frühgeschichte herumexperimentiert, um die prähistorischen Jagdwaffen – Speerschleuder sowie Pfeil und Bogen − besser verstehen zu lernen. Irgendwann gingen daraus richtige prähistorische Turniere hervor.

Haben Sie mal gewonnen?

Früher schon. Heutzutage treffen sich dort nicht mehr nur Archäologen, sondern auch viele Hobbybastler und -sportler, sodass ein richtiger sportlicher Wettkampf entstanden ist.

Im Western treffen die Indianer ihre Opfer aus dem Sattel heraus, im wilden Ritt.

Das ist durchaus realistisch. Aber sie schossen aus kurzer Distanz und mit kleinen, handlichen Bögen. (Tinnes greift in einen Schrank und holt ein Beispielobjekt hervor: einen bunten Bogen der Plains-Indianer, selbst gebaut natürlich.)

Zur Person

Johann Tinnes wurde 1954 in Großschogen/Rumänien als Sohn siebenbürgisch-deutscher Eltern geboren. Zwanzig Jahre später wanderte die Familie ins Oberbergische aus. Tinnes studierte in Köln Ur- und Frühgeschichte, Geologie und Völkerkunde.

1994 legte er seine Promotion ab. Im Anschluss arbeitete er unter anderem für diverse Museen im In- und Ausland und war an zahlreichen archäologischen Grabungen beteiligt, etwa in der Eifel, in Frankreich und im Oman. Neben Pfeilen und Bögen fertigt er auch Speerschleudern, Messer, Rekonstruktionen von Werkzeugen aus Geweih, Knochen, Feuerstein und vieles mehr für Museen an. Außerdem hält er Vorträge und gibt Kurse zum Bau prähistorischer Waffen und Werkzeuge. Er wohnt in Ehrenfeld.

Wie würde Robin Hood auf einer Olympiade abschneiden?

(lacht) Wenn sein Talent korrekt beschrieben wird, hätte er da durchaus erfolgreich teilnehmen können. Die heutigen Sportbögen sind allerdings High Tech-Objekte. Sie sind sehr schwer, mit Stabilisatoren ausgestattet – für die Jagd ist das nichts. Mich reizt das nicht besonders, ich schieße lieber mit prähistorischen und historischen Bögen.

Woran arbeiten Sie denn zur Zeit?

Sehen Sie hier: Das wird ein ägyptischer Bogen, wie man ihn im Grab von Tutenchamun gefunden hat. Das ist ein Kompositbogen: Der Bogenrohling aus Holz ist auf der Bauseite mit Horn und auf der Rückseite mit Tiersehnen verleimt. Die Indianer haben Büffelsehnen verarbeitet. Heute benutzt man Glas- und Karbonfaser, um solch eine hohe Qualität hinzubekommen.

Wie ging es los mit dieser Waffentechnik?

Am Anfang war der simple Flitzebogen. Unsere zwei ältesten bekannten Exemplare, die dänischen Holmegaard-Bögen, sind etwa 9000 Jahre alt, stammen also aus der Mittelsteinzeit. Sie wurden aus dünnen Ulmenstämmchen gefertigt und messen 1,52 beziehungsweise 1,80 Meter.

Waren unsere Vorfahren gute Handwerker?

Schon der Holmegaard-Bogen ist unglaublich kompliziert aufgebaut. Verjüngungen zu den Enden, eingezogener Griff und feingeschliffene Oberflächen – diese Bögen waren extrem leicht, elastisch und schnell. Weil Pfeile beim Herausziehen oft brachen, wurden sie schon vor 12000 Jahren zweiteilig konstruiert. Den sogenannte Vorschaft samt Spitze konnte man im Opfer stecken lassen, um dann einfach einen neuen Vor- auf den befiederten Hauptschaft aufzusetzen.

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Mit altertümlichen Waffen hantiert der Archäologe Johann Tinnes nicht nur beruflich, sondern auch in seiner Freizeit zum  Vergnügen. 

Ötzi hatte einen Bogenrohling, zwei komplette Pfeile sowie zwölf Pfeilschäfte in seinem Köcher, als er starb.

Genau, und auch einer seiner Pfeile war zweiteilig. Gefertigt waren die Schäfte aus jungen Trieben des Schneeball-Strauchs.

Wie weit konnte man damit schießen?

Abhängig von der Bogenstärke mindestens 150 Meter, denke ich.

Ihr Spezialgebiet während des Studiums waren Artefakte aus Knochen, Geweih und Elfenbein. Unter anderem haben Sie dafür an zwei rheinischen Fundplätzen geforscht, in Andernach und Gönnersdorf. Was hat Sie dort am meisten erstaunt?

(Wieder gräbt Johann Tinnes in einer Kiste und fördert einen hellen, länglichen Gegenstand zutage.) Nehmen Sie die Knochennadel, wie man sie in Europa seit mindestens 22000 Jahren kennt. Mit ihrer Erfindung konnte man nun besser schützende und wärmende Kleidung herstellen. Diese Nadeln sind so geformt, dass man Leder und Felle recht mühelos durchstechen konnte.

Sie sind Fachmann für Experimentelle Archäologie. Was meint das?

Indem wir ihre Artefakte unter den zeithistorischen Bedingungen nachbauen, bekommen wir eine bessere Vorstellung vom Leben der Steinzeitmenschen. Für eine Knochennadel brauche ich zwei Stunden, ein Steinzeitmensch natürlich viel weniger. Allerdings bleibt immer die Ungewissheit, ob die Menschen früher nicht vielleicht noch ganz andere Herstellungstechniken verwandten, als wir sie uns heute vorstellen.

Sie geben, zum Beispiel im Düsseldorfer Neandertalmuseum, auch Kurse im Bogenbau. Was fällt den Teilnehmenden dabei besonders schwer?

Den Bogen in Form zu bringen, man nennt das „tillern“. Die beiden Bogenarme müssen sich perfekt symetrisch biegen, um eine optimale Schussleistung zu erbringen.

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Und die Sehnen kommen stets von Tieren?

Tiersehnen werden zerfasert und gedreht. Wenn Sie versuchen, die zu zerreißen, reißt eher Ihr Finger ab. Ötzi hatte auch eine Bogensehne aus Tiersehnen dabei. Außerdem kennen wir Sehnen aus Leinen und Hanf, aus Brennnesseln oder auch aus Darm. Der Dünndarm eines Schweins ist 50 Meter lang, daraus kann man einige Sehnen fertigen. Heute benutzt man als Sehnenmaterial meistens Kunstfasern.

Was konnten, sagen wir, die Wikinger von um 800 besser als die Steinzeitler?

Vor allem hatten sie Eisen statt Stein – für die Pfeilspitzen, aber auch für ihre Werkzeuge, mit denen sie ihre Waffen fertigten. Aber auch prähistorische Feuersteinklingen sind enorm scharf.

Aus welcher Entfernung treffen Sie ein Karnickel?

(lacht) Auf zwanzig Metern sollte ich es schaffen.

Sie könnten sich in der Wildnis also Ihr Essen schießen. Könnten Sie auch Feuer machen?

Klar. (Er greift in eine Schachtel und zieht einen wildlederartigen Lappen hervor.) Das ist Zunder, ein Baumpilz. Wenn Sie nun mit dem Feuerstein auf diesen Markasit, das ist eine Schwefelkiesknolle, schlagen, passiert Folgendes … (Tinnes demonstriert die Technik. Schon der erste Funke bringt den Zunder zum Kokeln.) Da könnte nun in Nullkommanichts ein Grillwürstchen drauf.

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Was genau ist das eigentlich: Feuerstein?

Feuerstein ist in der Kreidezeit vor 140 bis 70 Millionen Jahren entstanden. Es ist ein siliziumhaltiges Gestein, bestehend aus marinen Ablagerungen und Kieselsäure aus den Skeletten der Mikroorganismen. Sie finden ihn hier bei uns in Köln zum Beispiel vereinzelt im Rheinschotter. Sie finden Feuerstein aber auch in großen Mengen an der Kanalküste oder an der Ostseeküste.

Waren wirklich die Steinzeitfrauen fürs Feuer zuständig?

(lacht) Das weiß man nicht. Zumindest unterwegs werden auch die Männer Feuer gemacht haben – denken Sie an Ötzi, der auch in dieser Hinsicht gut ausgerüstet war.

Ötzi starb durch einen Pfeiltreffer. Worin besteht für Sie die Ästhetik des Bogenschießens?

Da ist zum einen der Ablauf: Spannen – Visieren – Loslassen. Das muss sehr harmonisch aufeinander folgen, und jeder Schuss kann anders sein. Zum anderen ist da die Faszination an den verschiedenen Bogentypen selbst. Es gibt zig verschiedene prähistorische und historische Typen, die alle auf ihre Art sehr durchdacht sind.

Worin unterscheiden sich Armbrüste vom klassischen Pfeil und Bogen?

Wenn sich zwei gleichstarke Gruppen gegenüberstehen, dann sind die Bogenschützen klar im Vorteil. Mit der Armbrust schießen Sie maximal drei Pfeile pro Minute ab, mit dem Bogen sind bis zu zwölf möglich. Dafür trifft eine Armbrust präzise auf bis zu 100 Meter − und hat eine höhere Durchschlagskraft.

Können Sie in Köln eigentlich trainieren?

Aus meinen vielen Seminaren ist ein Freundeskreis entstanden, der sich regelmäßig in Merkenich in der Nähe der Leverkusener Brücke trifft. Da haben wir einen Parcours mit Zielscheiben und schießen mit unseren prähistorischen Bögen. Leider steht das Gelände je nach Rheinpegel immer mal wieder unter Wasser.

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