Interview mit Kölns Geldfälscher Jürgen Kuhl„Ich möchte Bilder machen, die gefallen“

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Jürgen Kuhl

Jürgen Kuhl in seinem Atelier in Nippes. 

  • Jürgen Kuhl (80) produzierte Falschgeld im großen Stil und saß dafür im Gefängnis.
  • Warum er von seiner Kunst bis heute überzeugt ist, erklärt er im Gespräch mit Bernd Imgrund

Köln – Zahlreiche großformatiger Siebdrucke und Gemälde stapeln sich in seinem Bickendorfer Atelier. Kreatives Chaos. Jürgen Kuhl macht Kaffee, zündet sich eine Zigarette an, und los geht’s.

Wie kommen Sie durch die Corona-Zeit?

Beschissen. Niemand macht Ausstellungen, keiner will Geld in die Hand nehmen.

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Ihre favorisierte Technik war stets der Siebdruck. Was fasziniert Sie daran?

Die Vervielfältigung. Sie können ein Motiv in vielen Variationen schnell und vielfach produzieren. Auf der Hohe Straße lief Anfang der 60er ein Typ mit einem Bauchladen rum. Der hatte ein paar Fläschelchen und hat Abriebe von Comics verkauft. Ich habe mir dann simplen Universalverdünner gekauft und das nachgemacht. Daraus entstanden großformatige Collagen, wie ich sie im Prinzip heute noch mache.

Ihr Vater war Fabrikbesitzer. Was produzierte er?

Alles mögliche. Da gab es Kuhls Knoblauchsaft, Kuhls Weißdornsaft und so weiter – das stünde heute alles im Bioladen. Aber es gab auch Mullbinden und Salben.

War das nichts für Sie?

Ich habe da manchmal ausgeholfen, für’s Taschengeld. Die Angestellten haben mich nach vorn gesetzt, ich sollte aufpassen, wann der Chef um die Ecke kommt: „Ruf Checko, dann machen wir schneller!“

Ihre Website startet mit einem Foto, auf dem Dollarscheine um Ihren Kopf flattern. Was bedeutet das?

Weiß ich nicht, hat ein Kumpel von mir gestaltet. Die Dollargeschichte hätte ich gern längst abgehakt, aber dann kommen immer wieder so Typen wie Sie.

Zur Person

1941 wurde Jürgen Kuhl geboren, er wuchs mit vier Geschwistern in Köln auf. Nach einer Ausbildung zum Fotokaufmann arbeitete er als freier Grafiker. In seinem Atelier produzierte er vor allem Siebdrucke, häufig angelehnt an Motive von Andy Warhol und anderen berühmten Künstlern. Außerdem entwarf und produzierte er eigene Mode.

Seit den frühen 60ern war „de Duv“ (die Taube, so sein Spitzname) Teil des Kölner Ringe-Milieus, wo er solvente Abnehmer für seine ausgefallenen Modekreationen fand. Er verkehrte unter anderem mit „Schäfers Nas“ und „Dummse Tünn“, mit dem er eine Zelle im alten Klüngelpütz-Gefängnis teilte. Mehrfach mit dem Gesetz in Konflikt geraten, begann er Ende der 1990er mit dem Fälschen von Dollarscheinen und brachte es darin zu großer Meisterschaft.

1998 flog er erstmals auf, was ihn eine gute Million DM und eine Bewährungsstrafe kostete. Die Schulden trieben ihn 2006 zu einem zweiten Versuch, von dem allerdings das BKA Wind bekam. Mithilfe eines Lockvogels wurde Kuhl überführt und zu sechs Jahren verurteilt. Insgesamt fand man über 16 Millionen Dollar bei ihm. Seitdem wurde häufig über ihn berichtet. Christoph Gottwald schrieb die Biografie „Blütenträume – Die unglaubliche Geschichte des Geldfälschers Jürgen Kuhl“. Kuhl wohnt in Bickendorf. Er malt und verkauft bis heute.

www.kuhl-koeln.de.

Waren Sie in der Schule vor Klausuren aufgeregt?

Überhaupt nicht. Bei meiner Gesellenprüfung kam irgendwann Buchführung an die Reihe. Da habe ich einen Strich durch gemacht und „passe“ druntergeschrieben. Damit war das für mich erledigt. Und in der Berufsschule bin ich nie gewesen, in der Firma wusste das niemand. Die Unterschrift des Lehrers mit Bezug auf die Anwesenheit habe ich einfach gefälscht.

Waren Sie während Ihrer Zeit im Milieu, unter Verbrechern, mal richtig nervös?

Wenn der Hein (Hans Schäfer, bekannt auch als „Schäfers Nas“/Anm. d. Red.)) mir seine Pranke um den Nacken legte, reichte die um den ganzen Hals. Das war dem seine Begrüßung. Aber für mich waren das ja keine Verbrecher, das höre ich in der Härte das erste Mal.

Sondern?

Der Hein hat auf dem Ring für Ruhe und Ordnung gesorgt. Wenn es im Storyville, Tabu oder sonst wo Ärger gab, dann ist der halt da hin und hat ein paar Ohrfeigen verteilt. Oder manchmal auch ein paar mehr.

Er war auch ein Zuhälter.

Aber das war nicht wie heute. Die Mädels waren stolz drauf! „Minge Fründ es dä Hein“, sagten die, das war was Besonderes. Deshalb haben die auch gern abgegeben, der Hein sollte schließlich gut aussehen und ein schickes Auto haben.

Sie haben in den 1960ern mal einen Monat im echten, alten Klingelpütz gesessen.

Nach drei Wochen habe ich an meine Mutter geschrieben: ,Ich weiß zwar nicht, warum ich hier bin, aber wir haben viel Spaß.’ Es ging um ein Gramm Haschisch, es gab keinen Haftbefehl, und im Knast haben die mich dann einfach vergessen.

Dieser Bau aus dem 19. Jahrhundert galt als inhumane Bruchbude.

Das Schlimmste war der Holzpott: ein Brett, ein Loch, mitten zwischen den Betten der anderen. Dieser Kübel wurde abends nur ausgeschüttet und wieder hingestellt.

Sie saßen mit Anton Dumm, dem „Dummse Tünn“ in einer Zelle. Gab’s dadurch Vorteile?

Wir hatten einen eigenen Kocher und haben viel gezockt. Die Türen standen die ganze Zeit offen. Die Schließer wussten, was das für eine miese Bude war, und dachten sich: Dafür maache m’r et denne Junge e bessje jemöötlicher.

Klingt nach kölscher Lebensart. Sie gelten als der zweitbeste Dollarfälscher nach Kim Jong-il, dem Vater des heutigen nordkoreanischen Machthabers.

(lacht) Den Spruch habe ich selbst in die Welt gesetzt. Es ist ja bekannt, dass der Kim Millionen von Dollars gefälscht hat, die dann in Diplomatenköfferchen in die Welt gingen. Aber der hatte eben auch viel besseres Material und Maschinen als ich.

Ohne den weiblichen Lockvogel des Bundeskriminalamtes wären Ihre Dollars von 2006 vielleicht nie in Umlauf gekommen. Sind Sie eigentlich sauer auf diese Behörde?

Ich hatte das ja schon mal 1998 gemacht und eine Bewährungsstrafe bekommen. Das hat mich damals locker ne Million gekostet. Die BKA-Leute von 2006 haben übrigens meine komplette Uhrensammlung und mein Bargeld geklaut.

Der Lockvogel, der Sie zum Verkaufen der Dollars verleitete, nannte sich Marie Sophie Susann Falkenthal. Was würden Sie ihr heute sagen?

Die wurde damals sofort abgezogen, habe ich nie wiedergesehen. Heute könnte ich mit der einen Kaffee trinken und sagen, Du hast einen guten Job gemacht.

Was hat sie gut gemacht?

Die hatte ja zwei Psychologen hinter sich und wusste genau, wie sie mich kleinkriegt. Vor allem hat sie viel Honig verteilt: „Ach, Sie machen das so toll, Herr Kuhl.“ Und so weiter.

Haben Sie von damals etwas aufbewahrt?

Der letzte Dollarschein hängt da an der Wand. Der wurde schon ein paar Mal gefilmt, aber komischerweise durfte ich den bisher behalten. Und dann habe ich noch geschredderte Scheine in einer Art Glasbausteinen verarbeitet, auf einem Betonsockel. Die kann man auch kaufen.

Haben Sie eigentlich mal den ebenfalls in Köln verurteilten Kunstfälscher Wolfgang Beltracchi kennengelernt?

Ja, und früher fand ich den auch ganz gut. Seit der berühmt ist, mag ich ihn nicht mehr. Der hält sich für den größten und besten Künstler auf dem Planeten.

Dabei sind doch Sie der Beste.

Ich galt ja lange als der kölsche Andy Warhol. Aber ich würde nicht sagen, ich bin besser als der. Wobei, schauen Sie mal hier!

Jürgen Kuhl öffnet auf seinem Bildschirm eine Seite mit Warhols „Flowers“: „Furchtbar. Langweilig!“, ruft er. Dann stellt er seine Varianten daneben.

Ich möchte Bilder machen, die den Leuten gefallen. Mein Londoner Galerist sagt: Deine Blumen sind viel farbiger, detailreicher. Nur hat Warhol 35 000 Dollars für eine Zehner-Serie gewollt. Und ich habe meine für 150 Mark verkauft. Aber oft!

Warhol hat Ihnen ein bisschen Ärger gemacht wegen der Blumen-, Marilyn- und Elvis-Bilder.

Ich habe nie gefälscht!

Dollars schon.

Aber keine Kunst. Andys Motive habe ich immer leicht abgewandelt. Als ich ihn mal auf einer Vernissage traf, bat er mich, den Dom wenigstens von einer anderen Seite als er zu zeigen. Den habe ich damals besonders oft verkauft.

Sie haben in den 60ern die Hot Pants in Deutschland bekannt gemacht. Wie kam´s?

Die ,Heißen Höschen’ hatten Kumpel von mir in London gesehen, aber hier bekam man die nicht. Also habe ich mich an die Nähmaschine gesetzt und losgelegt. Eigene Schnitte, und immer aus Leder. Die gingen weg wie warme Semmeln. Später kamen Lederjacken dazu, insgesamt habe ich bestimmt zwanzig Jahre Mode gemacht.

Mit Kunst und Mode haben Sie viel Geld verdient. Und alles ausgegeben für Frauen und schnelle Autos?

Klar, wie jeder, normal. Ich fuhr ja auch immer einen Porsche.

Sie haben insgesamt über 16 Millionen falsche Dollars gedruckt. Was würden Sie heute mit 16 Millionen echten Scheinen tun, wenn die hier auf dem Tisch lägen?

(denkt eine Weile nach) 15 Millionen würde ich verschenken – an die Familie und Leute, die es nötig haben. Die restliche Million wäre meine Sicherheit für die Zeit, bis ich umkippe.

Zigaretten und ne Flasche Wein ab und zu?

Genau, und noch ein Urlaub, Mallorca, schön am Strand.

Haben Sie mal an eine Verfilmung Ihres Lebens gedacht?

Ich hatte schon viele Angebote, Netflix wollte mir 30.000 geben. Aber ich habe mich erkundigt, das ist zu wenig.

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