Die neue Ausstellung „Die Verleugneten. Opfer des Nationalsozialismus 1933–1945–heute“ im NS-Dokumentationszentrum beleuchtet die Menschen, die im Nationalsozialismus als „Asoziale“ und „Berufsverbrecher“ verfolgt wurden.
Neue Ausstellung im Kölner NS-DOK„Die Verleugneten“ zeigt soziale Außenseiter, die von den Nazis verfolgt wurden

Sichtbar machen: Die neue NS-DOK-Ausstellung „Die Verleugneten“ beleuchtet das Schicksal der nicht gesehenen Opfer.
Copyright: Verena Schüller
Gertrud „Trude“ Nohr, 1920 geboren, ist 22 Jahre alt, als sie von einem Soldaten schwanger wird. Als Alleinerziehende in der Kölner Altstadt befindet sie sich in einer schwierigen Lage. Da sie in ihrer Familie sexualisierte Gewalt erlitten und einige Jahre in einem Erziehungsheim verbracht hat, gerät sie in den Fokus der Behörden. Das Gesundheitsamt wirft ihr mit Verweis auf ihre Geschlechtskrankheit Prostitution vor. Im April 1943 weist die Kriminalpolizei sie deshalb ins Frauen-Konzentrationslager Ravensbrück ein.
Die Geschichte der Kölnerin Nohr ist Teil der Ausstellung „Die Verleugneten. Opfer des Nationalsozialismus 1933–1945–heute“, die am Mittwoch, 8. Oktober, im NS-Dokumentationszentrum eröffnet wird. Sie erinnert an Menschen, die im Nationalsozialismus als „Asoziale“ und „Berufsverbrecher“ diffamiert und verfolgt wurden. Unter ihnen waren soziale Außenseiter, Wohnungslose, Alkoholabhängige, ledige, junge Frauen oder einstige Heimkinder. Sie galten als „arbeitsscheu“, als „Volksschädlinge“, als „lebensunwert“. Es war eine ideologische Verfolgung. Wer beispielsweise drei Vorstrafen hatte, auch wenn sie längst verbüßt waren, galt als unverbesserlich, biologisch bedingt, und sollte vernichtet werden. Mindestens 80.000 Menschen wurden zurückhaltenden Schätzungen nach unter diesen Vorwänden in den Konzentrationslagern inhaftiert.
Jahrelange Stigmatisierung
Doch ihr Leid wurde jahrzehntelang nicht gesehen. Während die Täter häufig unbehelligt Karriere machten, wurden die Opfer weiter stigmatisiert. Es gab keine gesellschaftliche Anerkennung, keine Entschädigung. Erst im Februar 2020 entschied der Deutsche Bundestag: „Niemand saß zu Recht in einem Konzentrationslager, auch die als ‚Asoziale‘ und ‚Berufsverbrecher‘ Verfolgten waren Opfer der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft.“ Im Zuge dessen beauftragte das Parlament die Stiftung Denkmal für die ermordeten Juden Europas und die KZ-Gedenkstätte Flossenbürg mit der Erstellung einer Wanderausstellung. Erste Station ist nun Köln. Gleichzeitig ist es laut Direktor Dr. Henning Borggräfe die letzte Ausstellung, die in diesem Teil des NS-DOK eröffnet wird. Im neuen Jahr soll nach aktuellem Stand mit dem großen Umbau (die Rundschau berichtete) begonnen werden.
Oliver Gaida, einer der Kuratoren der Stiftung Denkmal für die ermordeten Juden Europas in Berlin, betonte, dass die Kölner Pionierstudien von Dr. Thomas Roth zu dem Thema eine wichtige Basis bildeten. Überhaupt spielt Köln eine große Rolle in der Ausstellung, weil die entsprechenden Akten der Kriminalpolizei im Landesarchiv in Duisburg erhalten seien. „Wir haben also eine überraschend gute Quellenlage, aber es sind die Quellen der Verfolger, der Täter“, betont Gaida. Im Fokus stehen sollen aber die individuellen Lebensgeschichten. Wer waren diese Menschen ohne die Zuschreibungen durch die zahlreichen Behörden und Institutionen? Statt die erkennungsdienstlichen Fotos großzuziehen und damit wieder den Tätern die Macht zu geben, wurde beispielsweise viel mit Illustrationen gearbeitet. Für die Erarbeitung der Ausstellung wurde zudem wennmöglich mit Angehörigen gesprochen. Sie kommen auch in Hörstationen und Video-Aufnahmen zu Wort. Die 16 Biografien sind extra für Köln um die von Trude Nohr ergänzt worden. „Insbesondere in der Altstadt betrieben die Nazis eine gewaltvolle Vertreibungspolitik statt darauf zu setzen, die soziale Not zu lindern“, erklärt Gaida.

Oliver Gaida (links), einer der Kuratoren der Stiftung Denkmal für die ermordeten Juden Europas in Berlin, und Dr. Henning Borggräfe, Direktor des NS-Dokumentationszentrums der Stadt Köln.
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„Durch die Stigmatisierung und den Begriff ,asozial' war es diesen Verfolgten im Gegensatz zu anderen Opfer-Gruppen nie möglich, eine gemeinsame Identität zu finden und sich politisch zu wehren“, sagt Borggräfe. Es sei eine sehr späte Anerkennung des Unrechts, „für die allermeisten Betroffenen zu spät, aber für die Angehörigen dennoch wichtig“. Und die Ausstellung wagt auch den Blick ins Heute. So stehen die Besucher auch selbst den Fragen gegenüber, wie Resozialisierung abläuft und wie sie mit Vorurteilen umgehen.
Die junge Alleinerziehende Trude Nohr aus Köln hat das KZ damals überlebt. Sie starb 2011. Im Gegensatz zu Sibilla Rombach, mit der sie sich zeitweise ein Schlafpritsche in Bergen-Belsen geteilt hatte. Rombach hatte nur die Freiheit gesucht, war mit 17 Jahren aus der Enge der kleinbürgerlichen Familie geflüchtet und starb im April 1945 an den unmenschlichen Zuständen im KZ.