Die Kölnerin Klara Weinterhoff lebt mit einer Alzheimer-Erkrankung – und Lücken im Gedächtnis.
„Krankheit soll mich nicht bestimmen“Kölnerin lebt mit Alzheimer – Neuer Wirkstoff könnte Verlauf verlangsamen

Ein Bild für die Ewigkeit: Klara und Dieter Winterhoff in ihrem Garten.
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Mit ihren schönen Erinnerungen kann Klara Winterhoff Bücher füllen: Da war der Rosenmontag, an dem ihr Ehemann Dieter so viele Strüßjer bekommen hat, die gemeinsame Zeit in der Tanzschule oder die Reise am Hochzeitstag zum Nordkap in Norwegen. Lachend greift die 67-Jährige nach Dieters Arm: „Weißt du noch, der Bus steckte im Schneegestöber fest und wir mussten abbrechen. Aber ich wollte aussteigen und zu Fuß laufen“, erzählt sie. An das alles erinnert sich die Kölnerin noch ganz genau. Nur wenn sie ihren 72-jährigen Mann zum dritten Mal fragen muss, was heute zum Mittagessen geplant ist oder wo sie eigentlich gerade ist – dann merkt Winterhoff die Lücken in ihrem Gedächtnis.
Die Rentnerin lebt mit der unheilbaren Krankheit Alzheimer im frühen Stadium. Nun soll der Wirkstoff Lecanemab den Verlauf ihrer Erkrankung verlangsamen. Erst seit Mitte September ist das zugehörige Medikament „Leqembi“ in Deutschland erhältlich (wir berichteten). Expertinnen und Experten nennen es bahnbrechend, weil es die Ursache von Alzheimer, also bestimmte Ablagerungen im Gehirn, bekämpft. Seit rund einem Monat ist Winterhoff damit in der Uniklinik Bonn in Behandlung. Der TV-Doc Eckart von Hirschhausen hat sie für eine Dokumentation zum Thema Demenz bei dem Beginn ihrer Reise begleitet.

Beim ersten Termin zur Lecanemab-Gabe in der Uniklinik Bonn wurde Klara Winterhoff (l.) von dem Arzt und TV-Star Eckart von Hirschhausen für einen Dreh begleitet. Die Behandlung überwachte Neurologin Dr. Nadine Zimmermann.
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Verabreicht wird das Medikament in Form einer Infusion. „Als es endlich losging, bin ich vor Freude in Tränen ausgebrochen“, erzählt die Kölnerin von ihrem ersten Termin. Denn „Leqembi“ war zum Zeitpunkt ihrer Diagnose vor rund drei Jahren nur in den USA erhältlich. Es blieb damals nichts anderes, als auf die Zulassung zu hoffen. Nur wer sich noch in einem frühen Demenz-Stadium befindet, eignet sich für Lecanemab. Was das betrifft, hatte Klara großes Glück. Denn zu ihrer zeitigen Diagnose kam es nur durch Zufall. Große Teile ihres Umfelds hielten ihre Symptome für reine Schusseligkeit. „Ich habe immer gewusst, dass etwas nicht stimmt und es hat mir keiner geglaubt. ‚Das haben wir doch alle mal‘, hieß es.“ Im Urlaub traf Winterhoff dann eine Frau, die in der Uniklinik Bonn arbeitete – und ihr gleich einen Kontakt zu der dortigen Gedächtnisambulanz gab.
Die Diagnose Alzheimer stellte der Arzt schon nach einer ersten kurzen Untersuchung mit großer Sicherheit. „Im ersten Moment war ich froh, dass mir endlich geglaubt wurde und ich Bestätigung hatte.“ Doch es folgten zahlreiche weitere Untersuchungen. Darunter ein psychologischer Test, der erstmal harmlos wirkte: Die Kölnerin sollte sich Zahlen merken. Innerhalb weniger Minuten waren sie wieder aus ihrem Gedächtnis verschwunden. „Das war für mich das Schlimmste, weil ich wirklich gemerkt habe, dass ich sowas Einfaches nicht mehr hinkriege. Da habe ich zum Teil auch geweint.“
Die Lebenserwartung mit Alzheimer variiert laut der Deutschen Alzheimer Gesellschaft stark. So gebe es auch sehr langsame Verläufe von über 20 Jahren. Wie stark das Medikament den Prozess bei Winterhoff verlangsamt, sei nicht genau abzusehen, sagt sie. „Die Ärzte sprechen von sechs bis acht Monaten Verzögerung. So lange bleibt man also auf dem Level, das man gerade hat. Und das ist schon mal was“, erklärt Dieter (72). „Vor allem im Hinblick darauf, was in Zukunft aufbauend auf diesem Medikament noch entwickelt wird.“

Während des Behandlungszeitraums sind teils MRT-Untersuchungen zur Kontrolle nötig. (Symbolbild)
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Für die Winterhoffs zählt jeder gewonnene Tag. Dafür nehmen sie den Aufwand gerne in Kauf. Zahlreiche Stunden haben sie schon in der Uniklinik verbracht. Bis die erste Lecanemab-Gabe starten konnte, waren weitere Tests nötig, um Klaras Eignung für den Wirkstoff festzustellen. Die Behandlung ist nun erstmal für zwei Jahre angesetzt. Alle zwei Wochen muss sie während dieser Zeit für die „Leqembi“-Infusion in die Klinik kommen. Danach lag Klara bisher immer mit Schüttelfrost flach. Zwischen den Infusionen sind teils zusätzlich MRT-Untersuchungen nötig. Dabei überwachen die Ärzte, ob Hirnblutungen entstanden sind – eine mögliche Nebenwirkung des Medikaments, die aber meist im kleinen Rahmen und ohne Symptome verläuft.
Dieter hält bei all dem ihre Hand. Seit 27 Jahren sind die beiden verheiratet, kurz nach der Hochzeit zogen sie in ihr lichtdurchflutetes Haus in Zündorf. Hier haben sie schon einige Krisen durchgestanden, erzählen die beiden am Esstisch mit Blick in den Garten. Klaras Darmkrebserkrankung. Die Schlaganfälle von Dieters Mutter und die Pflegebedürftigkeit vor ihrem Tod. Oder die Erkrankung von Klaras mittlerweile verstorbenem Vater – damals fälschlicherweise noch „Altersdemenz“ genannt. „Mein Arzt sagt, dass er höchstwahrscheinlich auch Alzheimer hatte.“ Ob sie die Krankheit geerbt hat, ist aber nicht sicher: Laut der „Alzheimer Forschung Initiative e.V.“ tritt die Krankheit in 99 Prozent der Fälle sporadisch auf, also ohne direkten Zusammenhang mit einer familiären Veranlagung.
Ich hoffe, dass es noch einige schöne Jahre sind. Und dann gucken wir weiter.
„Er hat mich am Ende immer für meine Mutter gehalten und Dieter für meinen Bruder“, erzählt Klara von ihrem Vater, der seine letzten Jahre in einer speziellen Kölner Pflegeeinrichtung verbrachte. Ihn vom Gegenteil seiner Annahmen zu überzeugen, war da nicht mehr möglich. Klara akzeptierte: Ihr Vater lebt in seiner eigenen Realität. Sie und ihr Mann nahmen es mit Humor, soweit es eben ging. „Er hat immer Fernbedienungen und den Süßstoff aus der Cafeteria in seiner Schublade verschwinden lassen. Ich muss deshalb heute noch grinsen“, sagt Klara. „Zwölf Dosen auf einmal haben wir mal bei ihm gefunden. ‚Wenn sie was suchen, gehen sie bei meinem Schwiegervater gucken‘, habe ich zu den Leuten gesagt“, erinnert sich ihr Mann lachend.
„Wenn ich mal so weit bin, dann ist es so. Ich kann nicht genau sagen, wo ich dann lande“, sagt Klara. „Du landest hier“, erwidert Dieter blitzschnell. Solange er es kann, will er sich um seine Frau im gemeinsamen Haus kümmern. „Manches hört man nicht so gerne“, lenkt Klara ein. „Aber ich sage immer zu ihm: Wenn ich doch irgendwo hin muss, dann will ich am liebsten in die Einrichtung, wo mein Vater war.“
Ein Gespräch, an dem auch das optimistische Ehepaar nicht vorbeikommt. Aber von einer ungewissen Zukunft wollen sich die beiden nicht aufhalten lassen. „Alzheimer soll mich nicht bestimmen“, sagt Klara. Das gilt auch für die Traurigkeit, die sich ab und zu dann doch einschleicht. „Natürlich vergieße ich manchmal ein paar Tränchen und muss mich – wie jeder andere auch – über meine Sorgen auslassen. Aber es bringt mir nichts, ständig in die Depression zu fallen. Ich hoffe, dass es noch einige schöne Jahre sind. Und dann gucken wir weiter.“ Das nächste große Ziel haben die beiden sich schon ausgeguckt. Sie starten im kommenden Jahr einen neuen Versuch, sich ihren Traum vom Nordkap zu erfüllen. Egal, welcher Sturm da auch kommen mag.
Die zweiteilige Doku „Hirschhausen und das große Vergessen“ ist in der ARD-Mediathek abrufbar.
