Kölns DGB-Chef zum Homeoffice„Wir fordern das Recht auf mobile Arbeit“

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Witich Roßmann wurde im Juni 1951 in Wolfsburg geboren. Das Studium in Marburg schloss er mit einer Arbeit zum Thema Tarifpolitik ab, Gewerkschaftsarbeit war auch Thema seiner Doktorarbeit.

Der Kölner Vorsitzende des Deutschen Gewerkschaftsbundes, Witich Roßmann, sieht nicht nur Verlierer durch Corona. Gewinner der Pandemie seien neben der IT-Branche auch die Ernährungs- und Chemieindustrie. Besonders hart getroffen sei aber der stationäre Handel. Mit Roßmann sprachen Ralf Arenz und Tobias Wolff

Wie ist die Region bislang durch die Corona-Krise gekommen? Witich Roßmann: Wir haben Branchen, die ganz hart getroffen sind, und in denen auch noch keine Erholungsperspektive sichtbar ist. Ein Beispiel ist die Kölner Messe. Es ist etwa unklar, wann wieder Großmessen stattfinden können. Stark leiden auch der Kulturbereich sowie die Soloselbständigen hier oder im Eventbereich, außerdem Kantinenbetreiber und Tourismus. Der Flughafen hat zum Glück einen starken Frachtanteil, der ihn vor dem Absturz bewahrt. Hier zahlt sich die Möglichkeit zum Nachtflug aus. Gerade die Logistik-Unternehmen sind ein Gewinner der Pandemie, in der Industrie profitiert etwa die IT-Branche. In der Ernährungs- und Chemieindustrie in der Region wurde weiter produziert, weitgehend sogar ohne Kurzarbeit. In der Autoindustrie und bei ihren Zulieferern- auch aus der Chemie - wird wieder auf niedrigerem Niveau produziert, allerdings unter Hochsicherheitbedingungen.

Übersteht die Wirtschaft eine zweite Welle?

Das ist von Branche zu Branche verschieden. Die Gastronomie würde eine zweite Infektionswelle ganz hart treffen. Sie hat sich gerade mit der Außengastronomie etwas stabilisiert. Wie es ohne die im Herbst oder Winter aussieht, wenn auch noch eine zweite Welle kommt, ist unklar. Nur durch strikte Einhaltung der Corona-Regeln können Gastronomie, alle Wirtschaftsbranchen und insbesondere die Menschen geschützt werden Noch gibt es immerhin auch wegen der Stützungsmaßnahmen, wie etwa die Kurzarbeit die dringend verlängert werden muss, noch keinen dramatischen Einbruch bei der Kaufkraft.

Dennoch ist der Einzelhandel stark getroffen. Man sieht im Stadtbild immer öfter Geschäfte, die zugemacht haben. Wie kann der Einzelhandel stabilisiert werden?

Die wichtigste Maßnahme zur Stabilisierung ist die Aufrechterhaltung der Kaufkraft. Es gibt derzeit ein verzögertes Kaufverhalten, das typisch für Krisensituationen ist, wenn die Menschen um Einkommen oder gar den Arbeitsplatz fürchten. Und wenn die Kaufkraft stabilisiert ist, ist damit aber noch nicht entschieden, wohin das Geld fließt: stationärer Einzelhandel oder Onlineshop. Der Trend weg zum stationären Handel hat sich in der Pandemie fortgesetzt. Generell trifft die Pandemie schon vorher angeschlagene Firmen. Die stehen jetzt vor dem Exitus. Die, die jetzt umfangreiche Entlassungen vornehmen, sind auch zuvor schon durch zwei oder drei Stellenabbauwellen gegangen.

Wann sollte man eine Firma nicht mehr retten?

Man kann im Einzelfall viel diskutieren. Der Ansatz der Bundesregierung, es gibt Unterstützung für Firmen, die vor der Pandemie solide dastanden und deren Geschäftsmodell funktioniert, war richtig. Wo sich ein vorher schon absehbarer Trend verstärkt, können Steuermilliarden nicht zur Aufrechterhaltung von Firmen genutzt werden. Hier ist es wichtig, die Beschäftigten zu unterstützen beim Übergang in neue Arbeitsverhältnisse und neue Branchen.

Die Büros sind oft leer, weil die Mitarbeiter im Homeoffice sind. Wie stehen die Gewerkschaften zu dazu?

Die Krise hat gezeigt, dass alle Bedenken der Arbeitgeber hinsichtlich der Technik unbegründet waren, und auch ist widerlegt, dass die Mitarbeitenden zu Hause weniger effektiv arbeiten. Völliger Nonsens. Die Mitarbeiter sind produktiver. Wir fordern also, dass Mitarbeitenden das Recht auf mobile Arbeit erhalten, wo dass möglich ist. Wenn der unmittelbare Krisenmodus überwunden ist, gehört dazu eine vernünftige Ausstattung. Durchgehende Arbeit am Küchentisch geht nicht. Ein vernünftiger Bürostuhl ist ebenso nötig wie ein großer Bildschirm statt eines Laptops.

Homeoffice geht aber nicht in jedem Bereich.

Es geht in mehr Bereichen, als man angenommen hat. Für eine Aufzugwartung muss der Monteur vor Ort sein. Er kann aber die Arbeit im Homeoffice planen und vorbereiten. Auch wer Aufzüge wartet, kann so zwei oder drei Tage zu Hause arbeiten. Auch gibt es immer breitere Möglichkeiten der Fernwartung von Systemen. Wir sehen freilich eine Gefahr.

Wenn in global aufgestellten Konzernen klar ist, wie viele Arbeiten standortunabhängig erledigt werden können, drohen Verlagerungen von Arbeitskräften in Billiglohnländern. Es gibt auch Sicherheitsprobleme. Entwickler in der Autoindustrie haben zeitweise komplett im Homeoffice gearbeitet. Dann laufen auch sensible Daten über private Computer. Inzwischen haben Aspekte der Datensicherheit wieder einen höheren Stellenwert. Cyberangriffe können ganze Wertschöpfungsketten lahmlegen. Wenn in der Autoindustrie fünf zentrale Zulieferer durch so einen Angriff lahmgelegt werden, liegt die Autoindustrie lahm. Neben der Pandemie dürfen die anderen globalen Risiken nicht verdrängt werden.

Geht Homeoffice und Kinderbetreuung?

Homeoffice mit Kinderbetreuung kombiniert ist für viele Horrroroffice gewesen. Ohne soziale Infrastruktur und Bildungssystem, also Kindergarten und Schule funktioniert das nicht.

Wie finden die Mitarbeitenden davon abgesehen die Arbeit von zu Hause aus?

In ersten Ergebnissen von Befragungen im Metallbereich zeigt sich keine Zustimmung für durchgängiges Homeoffice, nur ein minimaler Prozentsatz der Mitarbeitenden wünscht das. Dagegen ist die Zustimmung zu alternierenden Modellen groß, bei denen die Belegschaften abwechselnd im Büro und zu Hause sind.

Zur Person

Witich Roßmann wurde im Juni 1951 in Wolfsburg geboren. Das Studium in Marburg schloss er mit einer Arbeit zum Thema Tarifpolitik ab, Gewerkschaftsarbeit war auch Thema seiner Doktorarbeit. 2000 wurde er 1. Bevollmächtigter der IG Metall in Köln, von 2008 bis Sommer 2017 war er IG-Metall-Chef von Köln und Leverkusen. Dann wechselte er auf den Posten des ehrenamtlichen DGB-Vorsitzenden von Köln. (raz)

Es zeigt sich nach den Homeoffice-Zeiten ein hohes Bedürfnis, wieder in Teams zu arbeiten und sich mit den Kollegen austauschen zu können. Arbeit ist mehr als Einkommenserzielung und abarbeiten von internen Pflichtenheften sondern Kommunikation und Kooperation mit Kolleginnen und Kollegen.

Wie stehen Sie zur vier-Tage-Woche?

Ich halte das für einen großartigen Vorschlag der IG Metall. Es geht um die Möglichkeit, die Tarifverträge für Beschäftigungssicherung zu öffnen. Statt dem Abbau von zehn oder 20 Prozent der Stellen in bestimmten Bereichen, kann eine Vier-Tage-Woche für alle stehen.

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Das ist kompliziert, verlangt von den Beschäftigten die Bereitschaft zu solidarischer Lösung. Eine 40-Stunden-Woche in Forschung und Entwicklung und dagegen eine 28-Stunden-Woche in der Produktion, das kann nicht die Lösung sein. Auf jeden Fall sind mehr Freizeit und sichere Beschäftigung besser als eine gespaltene Gesellschaft: Gestresste Arbeitende und arme Arbeitslose.

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