Wer sich in Deutschland einbürgern lassen will, braucht einen langen Atem: Zunächst monatelanges Warten auf einen Termin, dann ein ebenso langes Prüfverfahren. Für viele Betroffene bedeutet das ein Leben in ständiger Unsicherheit.
Lange Zeit in UnsicherheitÜber ein Jahr Wartezeit für Einbürgerungen in Köln

Gut vorbereitet, aber langes Warten auf einen Termin: Reem S. hofft auf eine schnelle Einbürgerung.
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„Leev Marie“ ist ihr Lieblingslied, dicht gefolgt von „Stadt mit K“. Auf Karneval feiern mit den Kindern der katholischen Kita in Deutz hat sich Reem S. sehr gefreut. Denn in den knapp drei Jahren, in denen sie hier als Kinderpflegerin arbeitet, fiel Karneval wegen Corona immer aus. Vor sieben Jahren ist die 36-Jährige aus Syrien geflohen, mit ihren Brüdern, denen ein unbefristeter Militärdienst drohte. „Wir haben zusammen gewohnt, und als alleinstehende Frau konnte ich dort nicht leben.“ Ihr Zuhause, sagt sie, das ist jetzt Köln.
Weil das so ist und weil sie alle geforderten Voraussetzungen für eine Einbürgerung erfüllt, entschloss sie sich, einen Antrag zu stellen. Mitte November 2022 fragte sie per Mail nach einem Termin. Der nächste Freie sei im Dezember, hieß es. Im Jahr 2023. „Ich war geschockt“, sagt die 36-Jährige. „13 Monate warten, nur um meine Unterlagen abzugeben. Und danach geht das Prüfverfahren ja erst los.“ Das dauert zwischen drei und acht Monate.
13 Monate Warten für zehn Minuten
Und auch in Sachen Wartezeit auf ihren ersten Termin liegt Reem S. nicht etwa hoffnungslos zurück. Jeder, der sich derzeit im Ausländeramt einbürgern lassen will, müsse 13 Monate auf einen Termin zur Antragsaufnahme warten, teilte die Stadt mit. „Das ist verrückt“, sagt Reem S. „Ich bräuchte nur zehn Minuten zur Abgabe, denn ich habe mich sehr gut beraten lassen, damit ich alles dabeihabe, was benötigt wird.“ Jetzt läuft in der Wartezeit ihre Aufenthaltserlaubnis ab. Die muss zwingend verlängert werden, sonst ist die Einbürgerung nicht möglich.
Und das alles, obwohl sie „so richtig schön integriert ist“, sagt Reem S.. Nach einer Ausbildung im erzbischöflichen Berufskolleg, die sie gemacht hat, weil ihre pädagogische Ausbildung aus Syrien nicht anerkannt wird, arbeitet sie Vollzeit. Seit sechs Jahren hilft sie als Ehrenamtliche in der Initiative Mosaik, übersetzt für geflüchtete Menschen bei Behördengängen oder bei Ärztinnen, zu denen sie Frauen und Mädchen begleitet. Wegen dieses Engagements kann sie laut Staatsangehörigkeitsgesetz schon nach sechs Jahren eingebürgert werden. Jetzt zehrt das Warten an ihren Nerven.
Es fällt schwer, wieder eine so lange Unsicherheit auszuhalten.
Mit der Unsicherheit, ob die Einbürgerung klappt und sie eine Heimat für immer findet, muss Reem S. eineinhalb Jahre leben. Mindestens. „Ich habe lange in Unsicherheit gelebt, fünf Jahre im Krieg. Und nach der Flucht hier mit fast 30 Jahren bei Null angefangen. Es fällt mir schwer, jetzt wieder eine so lange Ungewissheit auszuhalten.“ Damit ist sie eine von vielen. Rund 5000 Einbürgerungsanträge seien aktuell in Bearbeitung, teilte die Stadt mit, die Gründe seien vielfältig. In manchen Fällen müsse vor der Einbürgerung erst die Entlassung aus dem bisherigen Staatsverband erfolgen, wofür die Herkunftsländer verantwortlich seien. Verzögernd könnten auch mangelnde Sprachkenntnisse, Strafverfahren sowie der Aufwand für eine Identitätsfeststellung der Bewerbenden wirken.
Die Ausländerämter müssen immer mehr Gesetze des Bundes umsetzen und werden dabei von Bund und Land alleine gelassen.
Die geplante Einbürgerungsoffensive des Bundes soll das Verfahren einfacher machen. Zugleich erwarte man eine Zunahme der Anträge, teilte die Verwaltung mit. Im Vorgriff darauf habe man Abläufe bereits optimiert. Doch um die Anträge in einem angemessenen Rahmen zu bearbeiten, habe man zu wenig Personal. Um das aufzustocken, braucht es Geld. Doch das fehlt den Kommunen. „Die Ausländerämter müssen immer mehr Gesetze des Bundes umsetzen und werden dabei von Bund und Land alleine gelassen“, kritisiert Wolfgang Uellenberg van Dawen vom Runden Tisch für Integration. Dabei bräuchten die Kommunen dringend eine finanzielle Entlastung. Und auch das benötigte Personal stehe nicht sofort zur Verfügung.
An den Prüfungen der Einbürgerungsanträge seien zahlreiche Behörden beteiligt, „das lässt sich nicht wesentlich beschleunigen“, sagte Claus-Ulrich Prölß, Geschäftsführer des Kölner Flüchtlingsrats. Wohl aber die Wartezeit auf den Ersttermin verkürzen. Hier habe mit der neuen Leiterin des Ausländeramtes und der Besetzung der Abteilungsleitung Integration ein sehr guter Prozess begonnen, an dem auch Politik und Zivilgesellschaft beteiligt seien. Denn beide hatten sich seit langem für eine Umgestaltung des Ausländeramtes zur „Willkommensbehörde“ eingesetzt. Die eingeforderte Kundenfreundlichkeit, Erreichbarkeit und neue Vermittlungswege könnten Prozesse vereinfachen, so Prölß. Zugleich müsse man den Arbeitsplatz Ausländeramt attraktiver machen, etwa durch flexible, familienfreundliche Arbeitszeiten. „Denn die Zahl der Einbürgerungsanträge wird weiter steigen“, so Prölß.
Köln, das fühlt sich an wie meine Stadt.
Schon geschafft hat es Jemal T. (Name geändert). Er wurde vor einer Woche feierlich eingebürgert. Um dem unbefristeten Militärdienst zu entgehen, war er aus Eritrea geflohen und lebt seit 2013 in Deutschland. „Köln, das fühlt sich an wie meine Stadt“, sagt der 33-Jährige. Hier lebt er mit seiner Familie, mit vielen Helfern der ersten Jahre ist er befreundet. Eineinhalb Jahre hat es gedauert, bis sein Asylantrag angenommen wurde. „Ich durfte nicht arbeiten, konnte gar nichts tun. Das war die schwerste Zeit“, erinnert er sich. 2016 konnte er seine Lehre zum Reifenmechaniker beginnen, in seinem Ausbildungsbetrieb in Ossendorf arbeitet er weiterhin. Sein nächstes Ziel hat er schon fest im Blick: Jetzt, wo er gut Deutsch spricht, will er sich einen Traum erfüllen und Kfz-Mechatroniker werden.