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Als Minderjährige nach Köln geflüchtet„Ich bin so froh darüber, was ich heute bin“

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Ariana auf ihrem Weg zum Gymnasium. Einem Weg, der in ihrer alten Heimat Afghanistan lebensgefährlich und unmöglich wäre.

Ariana auf ihrem Weg zum Gymnasium. Einem Weg, der in ihrer alten Heimat Afghanistan lebensgefährlich und unmöglich wäre.

Weil ihre Mutter die Flucht mit ihren Kindern aus Afghanistan wagte, kann Ariana in Köln nun ein Leben mit Bildung, Arbeit und persönlicher Freiheit führen.  

Ganz selten entdeckt sie eine ihrer Freundinnen von früher, wenn sie in den sozialen Medien sucht. Die aus ihrer Kindheit in Afghanistan. „Sie posten kaum etwas. Alle sind verheiratet, alle haben Kinder. Und keine eine Ausbildung.“ Als Ariana erzählt, merkt man, wie weit das alles weg ist von ihr. Und zugleich auch, wie verbunden sie mit diesen fernen Mädchen einmal war, die heute 19 Jahre alt sind, so wie sie. Ariana, deren tatsächlicher Name der Redaktion bekannt ist, geht in die Oberstufe des Ursulinen-Gymnasiums. Seit einem Monat lebt sie in einer kleinen Wohnung. Allein. Ein großer Schritt. Größere liegen hinter ihr.

Als Ariana in Berlin aus dem Flugzeug steigt, ist sie 13 Jahre alt. Sie erinnert sich an die Menschenmenge. Alles sei riesig gewesen, und völlig fremd. Sie kann ein bisschen Englisch, schlägt sich zum Bahnhof durch, steigt in einen Zug nach Köln, wie es ihr ihre Mutter gesagt hat, die mit ihren beiden Kindern geflohen ist vor ihrem gewalttätigen Mann und dem immer massiveren Einfluss der Taliban auf die Rechte und das Leben von Mädchen und Frauen. „Es war unheimlich, weil ich plötzlich ganz alleine war. Aber ich wusste, dass mir hier nichts Schlimmes passiert“, sagt sie.

Die Angst bleibt zurück im Flüchtlingslager auf der griechischen Insel, in dem sie mit ihrer Mutter und ihrem kleinen Bruder ein Jahr lang lebte. „Da war es schrecklich, es gab Vergewaltigungen von Mädchen und auch von Jungen.“ Die junge Frau ist voller Energie, nur beim Blick zurück wird ihre Stimme leiser, kommen ihre Sätze ins Stocken.

Als es im Lager immer gefährlicher wurde, hat sie alle, die sie von früher kannte, um Geld gefragt und alles gespart, was sie konnte, um meinen Flug und die Zugfahrt zu bezahlen.
Ariana (19), Gymnasiastin

Ariana ist eine der Jugendlichen, die hier als „minderjährige alleinreisende Geflüchtete“ registriert werden. Sie kommen zu Fuß, im Zug oder im Flugzeug nach Deutschland. Auf ihrer fast zwei Jahre dauernden Flucht aus Afghanistan erlebt Ariana immer wieder Gewalt. Und dass Boote mit geflüchteten Menschen auf dem Meer kentern. „Dabei sind viele gestorben“, sagt sie. Die Mutter hilft in Restaurantküchen aus, kann so Lebensmittel für ihre Kinder bezahlen. „Als es im Lager immer gefährlicher wurde, hat sie alle, die sie von früher kannte, um Geld gefragt und alles gespart, was sie konnte, um meinen Flug und die Zugfahrt zu bezahlen“, sagt Ariana.

In Köln angekommen, wird die 13-Jährige zunächst in einer kinder- und jugendpädagogischen Einrichtung der Stadt untergebracht. Mit 14 Jahren wechselt sie in eine Außenwohngruppe (AWG) des Reichens-pergerhauses, das der Sozialdienst katholischer Frauen (SkF) betreibt.

Die Gruppe wird zu ihrer Familie. Hier leben acht weibliche Jugendliche zwischen 14 und 18 Jahren, Pädagoginnen und Sozialarbeitende unterstützen sie dabei, ihren Alltag zu meistern. Manche von ihnen konnten nicht in ihren Familien bleiben, sie waren dort gefährdet, andere haben zeitweise auf der Straße gelebt. In der Gruppe gibt es immer einen erwachsenen Menschen, mit dem die jungen Frauen sprechen können. Das ist auch für Ariana über vier Jahre hinweg wichtig. Zum Vater hat sie keinen Kontakt, Mutter und Bruder gelingt es erst später, nach Deutschland zu kommen.

Wenn Ariana erzählt, spricht sie viel von Chancen, von der Hilfe, die sie bekommen hat. Wie schwer es für sie war, davon spricht sie nur, wenn man danach fragt. „Ich habe oft geweint“, sagt sie dann. Oder: „Es war auch schwer, aber in der Gruppe hatte jeder Probleme zu bewältigen.“ Als es ihr einmal sehr schlecht ging, sei eine Sozialarbeiterin sogar bis 22 Uhr geblieben. „Wir waren am Rhein spazieren, haben geredet und dann in der Gruppe gespielt, bis es wieder ging“, erinnert sie sich. „Die haben viel gemacht, damit es mir und den anderen wieder besser ging. Zusammen Waffeln backen, tanzen, reden.“ 

Großer Zusammenhalt in der Wohngruppe

Sehr geholfen habe ihr auch, dass sie als 13-Jährige sofort Deutsch lernen durfte. „Ich war früher sehr schüchtern“, sagt Ariana. „Durch das Lernen konnte ich überhaupt erst mit anderen Jugendlichen sprechen.“ Nach einem Jahr in der Einführungsklasse geht sie in die Hauptschule Großer Griechenmarkt. Da ist sie unterfordert, findet keinen Anschluss. Nach einem halben Jahr wechselt sie auf die Ursulinen-Realschule. „Hier konnte ich wieder richtig lernen und habe Freundinnen gefunden“, sagt sie, und man hört die Erleichterung von damals noch heraus.

Die Vermittlung unserer Bewohnerinnen in eigenständiges Wohnen ist ein riesiges Problem. Es gibt viel zu wenige bezahlbare Wohnungen.
Dina Hollmann Sachgebietsleiterin stationäre Jugendhilfe

Nach dem Realschulabschluss macht sie auf dem Gymnasialzweig weiter, ihre Leistungskurse sind Mathe und Chemie. Dabei, eine Perspektive für ihr eigenes, unabhängiges Leben zu entwickeln, unterstützen die Sozialpädagoginnen und -pädagogen die jungen Frauen. „Gut war auch, dass es in unserer Wohngruppe einen großen Zusammenhalt gab“, schildert Ariana. Um ihre posttraumatische Belastungsstörung zu bewältigen, macht sie eine Therapie. Dann steht unvermittelt der nächste große Schritt an. Im persönlichen Umfeld des Pädagogen-Teams wird eine kleine Wohnung frei.

„Ein riesiger Glücksfall, denn die Vermittlung unserer Bewohnerinnen in eigenständiges Wohnen ist ein riesiges Problem. Es gibt viel zu wenige kleine bezahlbare Wohnungen“, sagt Dina Hollmann, Sachgebietsleiterin stationäre Jugendhilfe. „Und die Chance, zu Hause wohnen zu bleiben, haben unsere Jugendlichen nicht.“ Seit einem Monat lebt Ariana jetzt in ihrer Wohnung. „Ich renoviere gerade und richte mich ein“, sagt sie. Sechs Monate bekommt sie noch finanzielle Hilfe, danach kann sie Schüler-Bafög beantragen. Zurzeit kommt einmal in der Woche die Sozialarbeiterin, hilft bei Ämterangelegenheiten oder beim Aufbau von Regalen.

Entrechtung von Frauen und Mädchen in Afghanistan

Seit einem Monat ist Ariana für ihre gesamte Lebensführung verantwortlich, parallel zur Schule und den Prüfungsvorbereitungen. „Ich freue mich, dass ich wie ein erwachsener Mensch leben kann, aber es ist nicht so einfach, wie es aussieht, obwohl wir schon vorher viel selbst gemacht haben“, sagt die 19-Jährige. Mittlerweile ist auch ihre Mutter in Köln, die früher als Schneiderin und Modedesignerin gearbeitet hat.Sie hat eine Stelle in einer Küche, ihr Bruder besucht die Ursulinen-Realschule.

Ariana weiß um die Geschehnisse in Afghanistan, um die Verbote und die Entrechtung von Frauen und Mädchen. „Das ist alles so furchtbar“, sagt sie. Und danach sagt sie ungefragt etwas sehr Persönliches. „Wenn ich darüber rede, was alles passiert ist, lache ich zwar, aber es macht mich sehr emotional, was ich alles geschafft habe. Und was ich noch vor mir habe. Hätte ich keine Hilfe bekommen, wäre das unmöglich gewesen. Ich bin sehr froh darüber, was ich heute bin.“