Extreme FrühchenEin Besuch im neuen Perinatalzentrum Köln-Holweide

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Mutter hält ihr Frühgeborenes im Inkubator fest.

818 Gramm wog Wilma bei ihrer Geburt. Das Atmen klappt bereits ohne Unterstützung, über eine Magensonde bekommt sie Muttermilch.

Im neuen Perinatalzentrum in Holweide werden Frühchen ab der 22. Schwangerschaftswoche versorgt. Ein Besuch auf der Station D1.

Neben Wilmas Bett hängt ein kleiner, blauer Elefant. Noch ist das Mädchen, dem er gehört, kaum größer als er. Aber Wilma hat gut zugenommen, sagt ihre Mutter. Nach drei Wochen wiegt sie nun 985 Gramm. 818 waren es bei ihrer Geburt. Wilmas Füße sind nicht größer als ein Legostein. Aber wenn sie sie in die Luft streckt, dann sieht sie wie eine Kämpferin aus. Wilma will leben.

Auf der Perinatalstation in Holweide werden Frühchen und kranke Neugeborene versorgt, möglich ist das ab der vollendeten 22. Schwangerschaftswoche. „Es ist beeindruckend, welchen Lebenswillen viele Kinder haben“, sagt Dr. Marc Hoppenz, seit 17 Jahren Leiter des Perinatalzentrums.

Die ersten zehn bis 15 Minuten nach der Geburt entscheiden darüber, wie es mit dem Kind weitergeht.
Dr. Marc Hoppenz, Leiter des Perinatalzentrums Holweide

Die neue Neugeborenenintensivstation D1 liegt Tür an Tür mit der Geburtsklinik, nur wenige Schritte entfernt vom Kreißsaal, in dem jedes Jahr 1800 Babys zur Welt kommen. An drei Erstversorgungseinheiten gegenüber vom OP können auch Mehrlinge direkt nach einem Kaiserschnitt versorgt und untersucht werden. 37 Grad warme Wärmebetten, Sauerstoff, zurechtgeschnittene Pflasterstreifen, Kanülen – alles liegt bereit. „Die ersten zehn bis 15 Minuten nach der Geburt entscheiden darüber, wie es mit dem Kind weitergeht“, sagt Hoppenz.

1990 wurde das Perinatalzentrum der Kliniken Köln gegründet und startete mit vier Betten, heute hat das kürzlich umgebaute Zentrum zehn Behandlungsplätze. „Wir haben jetzt einfach so viel mehr Platz“, schwärmt Hoppenz. „Vorher war es so eng, dass wir kaum ein Ultraschallgerät zwischen die Inkubatoren schieben konnten. Geschweige denn die Mütter in ihren Betten zu ihren Kindern, die nach einem Kaiserschnitt noch liegen müssen.“ Zwei Patientenzimmer haben eine Schleusenfunktion, die eine Isolation von Kindern ermöglicht. Außerdem gibt es jetzt zwei so genannte „Rooming-In“-Plätze, bei denen ein Elternteil dauerhaft beim Kind sein darf. Auch gibt es neue Geräte- und Besprechungsräume. „Elterngespräche können wir jetzt in Ruhe führen und nicht zwischen den Betten“, sagt Hoppenz.

In den Brutkästen, den sogenannten Inkubatoren, herrscht dank darüber gelegter roten Tüchern dämmeriges Licht wie im Mutterleib. Ein Arzt untersucht ein Kind darin.

In den Brutkästen, den sogenannten Inkubatoren, herrscht dank darüber gelegter roten Tüchern dämmeriges Licht wie im Mutterleib.

Die Baukosten für den Umbau der Station belaufen sich auf rund 3,2 Mio. Euro. Obwohl sich die Größe der Station verändert hat, ist die maximale Zahl der Plätze gleichgeblieben. Bis zu zehn Früh- und Neugeborene werden hier intensivmedizinisch betreut. Ist ihr Zustand stabil oder eine Operation erforderlich, werden sie ins Kinderkrankenhaus Amsterdamer Straße verlegt, zu dem das Perinatalzentrum organisatorisch gehört. „Ich fahre jeden Tag zwischen Holweide und der Amsterdamer Straße hin und her“, sagt Hoppenz. „Insofern begrüße ich die diskutierte Lösung, die Kliniken auf einen Standort zu beschränken.“

Schon seit vielen Jahren erhält Holweide Bestnoten bezüglich der Versorgungsqualität durch das Institut für Qualität und Transparenz im Gesundheitswesen (IQTIG). Bundesweit die besten Zahlen hat das Kölner Zentrum in der für Hoppenz wichtigsten Kategorie: das Überleben von sehr kleinen Frühgeborenen ohne eine schwere Erkrankung. „Das liegt zum einen an der extrem erfahrenen Pflege, die wir hier haben“, sagt Hoppenz. Zum anderen an den Fallzahlen: genug, um die nötige Expertise zu haben, aber zu wenig für einen Massenbetrieb. „Wir können jedes Kind individuell betrachten und die richtige Behandlung wählen.“

Dr. Marc Hoppenz neben einer Erstversorgungseinheit

Dr. Marc Hoppenz leitet das Perinatalzentrums Holweide. Direkt nach der Geburt werden die Früh- und Neugeborenen an solchen Erstversorgungseinheiten untersucht und behandelt.

Wir behandeln die Kinder so viel wie nötig, aber so wenig wie möglich.
Dr. Marc Hoppenz, Leiter des Perinatalzentrums Holweide

Pflegerische und ärztliche Tätigkeiten werden auf der Station zeitlich koordiniert, um den Babys so viele Ruhepausen wie möglich zu geben. „Wir behandeln die Kinder so viel wie nötig, aber so wenig wie möglich“, sagt der Mediziner. „Minimal Handling“ heißt das in der Fachsprache. Eltern werden von Beginn an bei der Versorgung eingebunden, sei es beim Windeln wechseln oder beim „Känguruhen“, bei dem das Frühchen in direkten Hautkontakt mit den Eltern gebracht wird.

Wie lange ein Kind im Krankenhaus bleiben muss, ist unterschiedlich. „Das ist wahrscheinlich die häufigste Frage von den Eltern“, so der Mediziner. Ein Richtwert sei der errechnete Geburtstermin. „Bei sehr unreifen Frühgeborenen können das mehrere Monate sein. Das ist eine lange Zeit für die Familien, in der es auch immer wieder Rückschläge geben kann.“ Für die Eltern stehen daher neben Seelsorgern neuerdings auch zwei Psychologinnen zur Verfügung.

Köln: Frühchen verbringen mehrere Monate im Krankenhaus

So wie Wilma kam auch Luka in der 25. Schwangerschaftswoche zur Welt. Mutter Eva Arenz erinnert sich noch gut an die drei Monate im Krankenhaus, erst auf der Station D1 in Holweide und dann in der Amsterdamer Straße. „Wenn ich an die Zeit zurückdenke, habe ich immer noch einen Kloß im Hals. Zum einen, weil es so extrem herausfordernd war. Aber auch, weil wir so großes Glück hatten.“ Luka hat vor ein paar Wochen seinen zweiten Geburtstag gefeiert – seine Entwicklung läuft parallel zu der gleichaltriger, reif geborener Kinder. „Er ist lebensfroh und neugierig, sehr klug und hat einen starken Willen“, sagt Arenz.

Bei regelmäßigen Nachuntersuchungen für Frühgeborene seien die Ärzte sehr zufrieden mit ihm. Sie habe kein Geheimrezept zu bieten, sagt die Mutter, aber viele Gründe sieht sie in der medizinischen Betreuung und Pflege auf der Station, sowie der häufigen Nähe zum Kind und einer großen Portion Vertrauen. „Aber Frühchen sind immer Kämpfer.“


Perinatal-Versorgung in Köln

400 Frühgeborene und kranke Neugeborene werden jährlich im Perinatalzentrum Holweide ab der vollendeten 22. Schwangerschaftswoche versorgt. 100 von ihnen wiegen bei der Geburt weniger als 1500 Gramm, 40 weniger als ein Kilo. Die Überlebenschance von in der 22. oder 23. Schwangerschaftswoche geborenen Kindern liegt bei 70 Prozent, ein Drittel hat schwere Behinderungen.

65 Zwillingspaare kamen 2022 auf der Geburtsstation Holweide zur Welt, es gab vier Drillingsgeburten und einmal sogar Vierlinge. Durch künstliche Befruchtung und Hormontherapien werden immer häufiger Mehrlinge geboren.

Neben den Kliniken Köln verfügt auch die Uniklinik über ein Perinatalzentrum mit der höchsten Versorgungsstufe (Level 1). Dort sind es jährlich 700 bis 800 Babys, die aufgenommen werden. Das Krankenhaus in Porz ist „Perinataler Schwerpunkt“ (Level 3). Hier werden jährlich rund 120 Frühgeborene ab der 32. Schwangerschaftswoche und einem Gewicht ab 1500 Gramm versorgt.

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