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„Keine Arbeit haben, das rädert einen“Hilfe für langzeitarbeitslose Frauen in Kölner Wäscherei und Näherei „casa blanca“

Lesezeit 7 Minuten
Die große Mangel ist ihr Lieblingsarbeitsplatz: Christine C. im Gespräch mit ihrer Anleiterin Serife Lang (v.l.).

Die große Mangel ist ihr Lieblingsarbeitsplatz: Christine C. im Gespräch mit ihrer Anleiterin Serife Lang (v.l.).

Service für kleine Kölner Unternehmen, Hilfe für Frauen, die lange ohne Arbeit sind  bei „casa blanca“ passiert beides unter einem Dach.

 43 Jahre alt. Keine Ausbildung. Drei Kinder. Dass sie kein Arbeitgeber will, kann Christine C. lange nicht begreifen. Seit zwei Jahren sucht sie mithilfe des Jobcenters eine Stelle. Vergeblich. Sie kann jeden Tag bis 15 Uhr arbeiten; zwei ihrer Söhne haben ADHS und benötigen mehr Unterstützung als andere Kinder und Jugendliche. Eine Stelle in einer schulischen Ganztagsbetreuung gibt sie nach sechs Monaten auf, weil sie erst spätnachmittags nach Hause kommt. Eine andere findet sie nicht.

„Arbeitsmöglichkeiten für Menschen ohne Ausbildung fehlen in sehr großem Maße. Aber das ist kaum jemandem bewusst“, sagt Ulrike Kort, Koordinatorin von „casa blanca“, der Näherei und Wäscherei des Sozialdienstes katholischer Frauen (SkF). „Der Mangel an Fachkräften dagegen ist ständig Thema.“ „Dass ich keine Arbeit gefunden habe, hat mich völlig fertig gemacht. Das rädert einen“, sagt die 43-Jährige, die in Buchheim lebt und lange alleinerziehend war. Direkt nach der Schule arbeitete sie bei Ford, mit 20 Jahren wurde sie Mutter. Ein Jahr später kam der zweite Sohn, dann die Trennung.

Nach einem Jahr ohne Erwerbsarbeit gilt Christine C. als langzeitarbeitslos. Ihre beeinträchtigten Kinder und das Fehlen einer fachlichen Qualifikation sind schwere Vermittlungshemmnisse, dazu kommen psychische Probleme durch die lange erzwungene Untätigkeit und ihre Überforderung bei Ämterangelegenheiten.

Auftraggeber sind Restaurants, Kindergärten oder Kirchengemeinden

Nach 18 Monaten in der casa-blanca-Wäscherei geht es der agilen Frau sichtlich besser. In dieser als „Arbeitsgelegenheit“ (AGH) bezeichneten Maßnahme des Jobcenters arbeitet sie jeden Tag drei bis vier Stunden, in der Sozialberatung bekommt sie Hilfe in Sachen Bürokratie, regelt Dinge, die seit langem anstehen. Ihren Sohn, der die erste Klasse wiederholt, bringt sie an je zwei Tagen zur Therapie und zum Sportverein. „Damit er ausgelastet ist, die Schule besser schafft und versetzt wird“, sagt sie.

Bei „casa blanca“ im kleinen Mülheimer Gewerbegebiet können 20 Frauen in der Näherei und zehn in der Wäscherei arbeiten. Sie bekommen zwei Euro pro Stunde zusätzlich zum Bürgergeld. In der Näherei entstehen Karnevalskostüme, Taschen, Dekoartikel. Auftraggeber der Wäscherei sind Restaurants, Kindergärten oder Kirchengemeinden. An den Dampfbügeleisen und Heißmangeln arbeiten Frauen zwischen Mitte 20 und 62 Jahren; im Schnitt sind sie 55 Jahre alt. Fast alle sind ungelernt.

Wir schauen aber auch: Trauen die Frauen sich zu, noch einen Schulabschluss zu machen, oder eine Ausbildung? Das geht auch noch mit 40. Warum denn nicht?
Elisabeth Berger SkF

„Wir geben den Frauen Halt, unterstützen sie in vielen Belangen“, sagt Serife Lang, Anleiterin in der Wäscherei. Arbeiten zu dürfen und Erfolgserlebnisse zu haben, das stabilisiere die Frauen mit der Zeit. „Wir verhindern erst einmal, dass ihre Situation schlimmer wird, vermitteln sie wenn nötig in eine Schuldnerberatung“, schildert Elisabeth Berger vom SkF.

Jüngere lernen die „Basics“: eine Tagesstruktur einzuhalten, wie man im Team arbeitet oder mit Vorgesetzten spricht. „Später arbeiten wir gemeinsam mit ihnen daran, wie es weitergehen kann. Wir schauen aber auch: Trauen die Frauen sich zu, noch einen Schulabschluss zu machen, oder eine Ausbildung? Das geht auch noch mit 40. Warum denn nicht?“, sagt Berger.

Manche schließen einen Schulbesuch oder eine Weiterbildung des Jobcenters an. Direkt von der AGH in Arbeit zu kommen, ist die große Ausnahme. Denn für Aushilfstätigkeiten setzten Einzelhandel und Dienstleister lieber Studierende ein, die flexibler seien. Dazu gebe es seit einigen Jahren ein neues, gravierendes Problem, so Berger. „Viele Arbeitgeber stellen aufgrund der massive Schließzeiten der Kitas, die Personalnot haben, gar keine Frauen mit kleinen Kindern mehr ein.“

Bei Frauen mit Migrationshintergrund seien oft fehlende Sprachkenntnisse ein Hemmnis. „Sie übernehmen die Familienarbeit und haben wenig Gelegenheit, deutsch zu sprechen. Bei uns gehört das zur Arbeit dazu“, sagt Serife Lang. Später sind dann nicht selten Weiterbildungen, etwa zur Alltagsbegleiterin, möglich. Frauen über 55 Jahren, die durch langjährige körperliche Arbeit, etwa als Zimmermädchen, körperlich eingeschränkt sind, kann das Team dagegen oft nur noch beim Übergang in die Rente und den sehr komplexen Formalitäten helfen.

Nach einer Erkrankung ging meine Stimme immer weg und ich konnte keine Kundengespräche mehr führen. Ich dachte, ich finde schnell einen neuen Job, aber da kam Corona.
Peter M. (54)

Das ist für Petra M. noch keine Perspektive. Die Bäckereifachverkäuferin hat lange bei Spar, Kontra und zwölf Jahre bei Kik gearbeitet. „Der Einzelhandel ist meins“, sagt die 54-Jährige. „Nach einer Erkrankung ging meine Stimme immer weg und ich konnte keine Kundengespräche mehr führen. Ich dachte, ich finde schnell einen neuen Job, aber da kam Corona“, blickt sie zurück. „Dann ist mein Bruder gestorben. Das hat mich tief runtergezogen.“ Eine vermittelte Arbeit am Fließband schafft die alleinstehende Kölnerin körperlich nicht. Sie fühlt sich nutzlos.

In der Wäscherei fasst sie allmählich wieder Lebensmut. Sie sortierte die Wäsche, bestückt die Maschinen, bügelt, faltet. „Wir unterstützen uns hier gegenseitig“, sagt sie. Nach eineinhalb Jahren AGH sind viele belastende Dinge geklärt. Sie sieht jetzt klar, was noch geht: „Mein Ziel ist eine Beschäftigung, vielleicht in einer Spülküche. Ich will vom Jobcenter weg. Ganz schwere Arbeit geht nicht mehr. Auch wenn ich vom Kopf her immer mehr möchte, als ich kann.“

Noch etwas Zeit braucht Christine C., um ihre Kinder zu unterstützen und zu überlegen, wie es weitergeht. „Vor den Kindern“ hat sie bei Ford Autohimmel in den Verdecken befestigt. „Im Akkord, da war Action, das hat mir riesigen Spaß gemacht“, sagt sie. Jetzt ist das Gefühl wieder da. „Wenn ich morgens zur Wäscherei gehe, fällt alles von mir ab. Da bin ich ganz bei mir“, sagt sie. „Dann denke ich: Jetzt Arbeit! Das Wort Arbeit ist für mich etwas ganz Besonderes.“


Martina Würker, Chefin des Kölner Jobcenters

Martina Würker, Chefin des Kölner Jobcenters

Interview: „Frauen viel mehr in den Blick nehmen“

Ist die Gefahr für Frauen größer, langzeitarbeitslos zu werden?

Ja. Sie übernehmen häufiger die Care-Arbeit für die Familie und sind teils lange aus dem Beruf raus. Dieses traditionelle Rollenbild gibt es bei deutschen Frauen genauso wie bei Frauen mit anderen kulturellen Hintergründen.

Aber Frauen arbeiten doch heute deutlich häufiger als früher?

Auch wenn der Anteil der Männer, die Elternzeit nehmen, langsam steigt, arbeiten Frauen oft langfristig in Teilzeit. Hier ändert sich nur sehr langsam etwas. Und weiterhin kommen weniger Frauen aus Langzeitarbeitslosigkeit wieder in Beschäftigung.

Was tun?

Wir sehen alle die Potentiale von Frauen. Aber wir müssen sie noch viel mehr in den Blick nehmen. Deshalb haben sich unsere Standorte individuelle Konzepte überlegt, wie sie auf Frauen zugehen können, damit sie etwa im Bereich Qualifizierung erfolgreicher sind. Seit zwei Jahren ist das im Zielsystem der Jobcenter fest verankert.

Was haben die Jobcenter geändert?

Ein paar Beispiele: Ein Standort berät jeweils dienstags ausschließlich Frauen. In Fällen, in denen wir die ganze Bedarfsgemeinschaft einladen, wenden sich unsere Mitarbeitenden explizit an die Frauen, die sich sonst oft zurücknehmen und ihre Männer reden lassen. Stattdessen stellen wir ihre Qualifizierung- und Arbeitsmöglichkeiten in den Mittelpunkt. Und wir haben ein Job-Speeddating nur für Frauen eingerichtet. Das war großartig!

Warum?

Die Vermittlungsquote von Frauen ist um sieben Prozentpunkte von rund 29 auf 36 Prozent gestiegen – das ist in diesem Bereich enorm. Ein Grund ist, dass die Frauen vor Ort nicht mit Männern um die Plätze konkurrieren mussten. Heute schlagen unsere Mitarbeitenden fürs Speeddating zur Hälfte Frauen und zur Hälfte Männern vor. Bis vor zwei Jahren war das Verhältnis noch 70 zu 30 – zugunsten der Männer.

Für ungelernte Frauen wird die Arbeitssuche ja auch dadurch erschwert, dass in Köln im April 25.352 Menschen, die länger als ein Jahr arbeitslos sind und Bürgergeld beziehen, eine Tätigkeit auf Helferniveau suchten – bei 1214 gemeldeten Stellen. Haben sie überhaupt eine Chance?

In diesem Bereich werden uns nicht alle Jobangebote gemeldet, es gibt also mehr als aufgeführt. Allerdings liegen sie oft bei kleinen und mittleren Betrieben, die bei sich verschlechternden Konjunktur weniger einstellen. Auch hat sich die Zahl der über uns angebotenen Helferstellen seit April 2024 von 1478 auf 1214 verringert.

Die Maßnahmen zur Vorbereitung der Arbeitsmarktintegration hat das Jobcenter ab Mai bis Jahresende auf 70 Prozent gekürzt. Haben sie eine Zukunft?

Wir mussten damit auf Kürzungen des Bundes reagieren. Und wir brauchen diese und andere Unterstützungsangebote für langzeitarbeitslose Menschen unbedingt auch in Zukunft. Wenn sie fehlen, kann für viele Betroffenen der Weg aus der Arbeitslosigkeit kaum noch gelingen. Neben der Tragik für jeden Einzelnen verschenken wir so auch Arbeitskräfte, die nach einer Qualifizierungsmaßnahme in Bereichen wie Pflege, Kinderbetreuung, Alltagsbegleitung oder bei der Pflege öffentlichen Raumes eingesetzt werden können, in denen wir sie dringend benötigen.