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„So wohnt Köln“Künstlerpaar lebt in nur einem Raum – hier wird geschlafen, gegessen und jede Menge designt

Lesezeit 5 Minuten
Die beiden Bewohner des Loftes.

Das Loft der beiden gleicht einer Musterausstellung aus 50 Jahren gemeinsamen Leben und Arbeiten: Christoph Siebrasse und sein Mann, der Künstler Rainer Schenk-Siebrasse.

80 Quadratmeter, ein Raum, viele Funktionen: Das Geheimnis von Christoph Siebrasse und Rainer Schenk-Siebrasse ist die Konzentration auf das Wesentliche.

Eine gute, satte Soße ist das Ergebnis einer perfekten Reduktion. Die Konzentration auf das Wesentliche, das Extrakt, die Quintessenz. Seit 2020 leben Christoph Siebrasse und sein Mann, der Künstler Rainer Schenk-Siebrasse, in einer solchen Konzentration auf 80 Quadratmetern auf dem Clouth-Gelände. Der Designer Siebrasse und der Künstler haben versucht, hier ihr gemeinsames Leben aus 50 Jahren Kunst und Design in einem einzigen Raum plus kleinem Bad unterzubringen.

Paar hatte es schwer, eine neue Wohnung zu finden

Das Loft ist eine Musterausstellung ihres kreativen Schaffens, gefüllt mit ihren Lieblingswerken. Fast alle Etappen, Christoph ist 79, sein Mann 72 Jahre alt, haben sie gemeinsam beschritten, führen zu dem, was sie heute darstellen. Früh wussten beide, dass sie schwul sind und schnell, dass sie zusammen gehören. Dennoch haben sie erst letztes Jahr geheiratet. Vor zehn Jahren wurde bei Siebrasse Parkinson diagnostiziert. Letzten Sommer waren beide schwer krank. Der Krankenhausaufenthalt war der Grund für die Ehe: „Wenn es hart auf hart kommt, wer soll über mich bestimmen?“

Das Loft der beiden mit Couch und Holzfiguren.

Das Loft der beiden gleicht einer Musterausstellung aus 50 Jahren gemeinsamem Leben und Arbeiten. Die beiden haben den einzigen Wohnraum in unterschiedliche Bereiche aufgeteilt.

Die Krankheit war auch ausschlaggebend für den Umzug. Die beiden wohnten in einem Haus mit Treppen. Das ging nicht mehr. Von der Krankheit ist Siebrasses ganzer Körper betroffen. „Das geht mit Ängsten einher und Depressionen“, gibt er zu. Wenn er nervös wird, trinkt er ein Glas Wein, oft ist er niedergeschlagen. Eine Wohnung zu finden, war ein mittelschweres Unterfangen. „Uns wollte keiner eine Wohnung geben. Zwei alte Männer, Künstler, das war zu viel für potenzielle Vermieter.“

Das Anonyme und der Betonbau gefielen den Kölner im Clouth-Gelände

Ein Tipp des Kulturamts führte zum Clouth-Gelände. Der nüchterne Betonbau gefiel den beiden und das Anonyme. „Hier fragt keiner.“ Die 80 Quadratmeter wirken groß und dennoch klein. Der Raum ist aufgeteilt in Ankleide, Wohn- und Schlafbereich. „Wir mussten vieles gedanklich loswerden.“ Ein Lager ist vollgepackt, die meisten Sachen stehen bei ihrem Galeristen Martin Bohn am Filzengraben, der die beiden Künstler auch vertritt. Heute lachen die zwei über die Anfänge ihres Designs und der Kunst. „Das wollte keiner haben!“

Mit Jobs bei der exklusiven Möbelfirma Ligne Roset und Auftragsarbeiten haben die beiden sich über Wasser gehalten. Auch Häuserfassaden auf der Severinstraße haben sie für 200 DM angestrichen. Beide haben in die Kunst „reingeguckt“, wie sie sagen, waren von Joseph Beuys inspiriert. „Vor allem von seiner Sturheit. Er hat immer gesagt, Du musst Dich selber finden.“ Sie lebten in Berlin, auf Gran Canaria, in Düsseldorf, vor den Toren Kölns und kehrten in die Stadt zurück, in der Siebrasse aufgewachsen ist. Die Möbelentwürfe entstanden in den 1980er Jahren auf Gran Canaria.

Nachhaltigkeit: Paar füllt Kissen mit Zeitungen des „Kölner Stadt-Anzeiger“

Heute gehören Möbelobjekte von Siebrasse wie der „Sensilla“ oder der „Freidenker“ zu den spektakulären Entwürfen des Neuen Deutschen Designs. In vielem war er dennoch „zu früh“, wie er heute meint. Nachhaltigkeit war für die beiden schon vor 40 Jahren ein Thema. Aus Wasserrohren hat er Gestelle gemacht. Am Tisch im Wohnraum werden heute immer noch Entwürfe gezeichnet, die ein Schreiner in Kerpen umsetzt. Schenk arbeitet heute mit Holzresten, die dort anfallen. Gut 500 Bilder hat er früher in seinem Atelier gemalt. Das Malen hat er heute auf kleine Kissen reduziert. „Wir mussten uns ja einschränken.“ Die Kissen werden mit alten Zeitungsseiten aus dem „Kölner Stadt-Anzeiger“ gefüllt. „Da ist Woelki drin und ganz spezielle Zeitdokumente.“

Hier ist alles von den beiden erschaffen.

Hier ist alles von den beiden erschaffen.

Eine Auftragsarbeit für die Trinitaskirche 2020 ist nach Christophs Meinung vielleicht seine letzte Arbeit. Sie ist aber ein gutes Beispiel für den Pragmatismus und die Funktionalität des Designers. Eine dreiteilige Arbeit, die im Austausch mit dem Organisten Wolf-Rüdiger Spieler entstand. Drei Teile, die einzeln, aber auch als Dreiklang, als Dirigenten- oder Rede- und Lesepult, genutzt werden können. Siebrasses Werke stehen heute auch im Museum für angewandte Kunst (MAKK) in Köln und Frankfurt. Vitra ist heute die einzige Sammlung, die keinen Stuhl von ihm hat.

Paar fühlt sich auch ohne zweites Zimmer pudelwohl

In den letzten Jahren hat der Parkinson-Patient angefangen, Holzskulpturen zu erschaffen. Das Arbeiten mit den Holzstäben, die mittig im Raum stehen, teilen das Loft in einen Arbeitsbereich und Wohn-und Schlafbereich. Die Arbeit war für ihn eine Therapie gegen Parkinson, eine Beschäftigung für die Hände. Ein anderer Stuhl entstand nach einer Prostataoperation. „Er ist wie eine Beckenboden-Gymnastik.“ Die Holzstäbe sind wie ein Ball angeordnet, sodass man ständig in Bewegung ist. Von dem Stuhl ist auch Ingo Froböse, Experte für Prävention und Rehabilitation an der Deutschen Sporthochschule Köln, begeistert. Wer ihr künstlerisches Erbe antritt, ist den beiden egal. Sie haben Spuren hinterlassen, in den Museen, in Sammlungen.

„Wenn die Stadt Interesse hat, kann sie etwas haben.“ Dass er heute nicht mit den besten Designern in einer Reihe genannt wird, stört Siebrasse nicht. „Wir haben immer davon leben können, mal besser mal schlechter.“ Freunde haben den beiden vom Leben im Loft abgeraten: „Ein Raum? Was passiert, wenn einer krank wird. Ihr braucht doch zwei Zimmer?“. Nein, das brauchen sie nicht. Derzeit schreiben die beiden an „der Rolle ihres Lebens“. 60 Meter ihres Lebens über die Jahrzehnte haben sie schon auf je zehn Meter lange Tuchrollen aufgeschrieben, nicht chronologisch, sondern so, wie es kommt. Und sie wird so lange fortgeschrieben, bis einer nicht mehr ist.