Meine RegionMeine Artikel
AboAbonnieren

Pflegebedürftige Obdachlose in Köln„Wenn wir sie nicht aufnehmen, nimmt sie niemand“

4 min
Lebensumständen, die krank machen, sind obdachlose Menschen ausgesetzt. Zuwendung hilft, sich an Tagesabläufe im Pflegeheim zu gewöhnen.

Lebensumständen, die krank machen, sind obdachlose Menschen ausgesetzt. Zuwendung hilft, sich an Tagesabläufe im Pflegeheim zu gewöhnen. 

Frau M. stirbt mit 59 Jahren - „vorgealtert" durch ein Leben auf der Straße. Ihre Geschichte steht exemplarisch für ein wachsendes Problem: Wohnungslose Menschen werden früher pflegebedürftig, finden aber kaum Plätze.

Wie lange Frau M. auf der Straße gelebt hat, weiß niemand, als sie im Haus Erna unterkommt. Sie lebt dort in einem Zimmer mit Bad. Da ist sie schon schwer krank, leidet an der Lungenkrankheit COPD, benötigt später Sauerstoffgaben. Dann kommen Stuhl- und Harninkontinenz dazu. „Wir haben versucht, sie in eine Pflegeeinrichtung zu vermitteln. Und nirgends einen Platz bekommen“, sagt Karolin Balzar vom Sozialdienst katholischer Frauen (SkF), dem Träger der Einrichtung. „Unser Team ist nicht für die Pflege ausgebildet. Aber alle sind weit über ihre Grenzen gegangen, um unsere Bewohnerin gut zu versorgen.“ Ihre letzten beiden Lebenstage verbringt Frau M. im Krankenhaus, im Dezember 2024. Sie stirbt mit 59 Jahren.

Vorzeitiges Altern durch Obdachlosigkeit

Vorgealtert. Das ist die medizinische Bezeichnung für Menschen, deren körperliches Befinden dem viel älterer Menschen entspricht. Die sehr viel älter scheinen, als sie sind, denen man den Stress, die psychischen Belastungen und Erkrankungen ansieht, die ein Leben auf der Straße oder ohne eigene Wohnung mit sich bringen. Die krank sind durch Nässe, Kälte und ein Leben ohne Perspektive.

„Das trifft auf viele der Frauen zu, die wir in unseren Einrichtungen oder der aufsuchenden Beratung haben“, sagt Balzar, die beim SkF den Bereich „Obdachlose und psychisch kranke Frauen und wohnungslose Seniorinnen“ leitet. Diese Frauen lebten meist seit langem in von der Stadt gemieteten Mehrbett-Hotelzimmern oder auf Zeit bei Zufallsbekannten. Dass wohnungslose Menschen unter einer „erheblich erhöhten Krankheitslast leiden“, dokumentiert der Jahresbericht 2024 des Mobilen Medizinischen Dienstes (MMD) der Stadt. Von den 1406 Patienten waren 163 über 60 Jahre alt, 37 über 70 Jahre und acht Menschen älter als 80 Jahre. Körperliche und psychiatrische Erkrankungen, darunter auch Suchtkrankheiten, treten deutlich häufiger als in der „Wohnbevölkerung“ auf; die Lebenserwartung obdachloser Menschen ist erheblich verkürzt. Und sie werden früher pflegebedürftig.

Mangel an Pflegeplätzen für Wohnungslose

„Nach der Behandlung in unseren Sprechstunden bleiben immer wieder obdachlose oder suchtkranke Menschen, die dringend einen Pflegeplatz benötigen, ohne pflegerische Anschlussversorgung“, sagt Hauke Bertling, Leiter des MMD. Auch die Krankenhäuser würde sich um einen Pflegeplatz bemühen, wenn sie bei einem wohnungslosen oder suchtkranken Patienten hohen Pflegebedarf feststellten, so Bertling. „Aber fast immer ohne Erfolg.“

Herausforderungen bei der Betreuung wohnungsloser Frauen

Denn stationäre Pflegeplätze sind rar, die Versorgungsquote der Stadt liegt deutlich unter dem NRW-Durchschnitt (siehe Infokasten). Dazu kommt, dass Menschen, die lange auf der Straße gelebt haben, teils eine zeitintensive Betreuung benötigen. „Sie sind etwa oft nicht mehr in der Lage, sich auf einen notwendigerweise geregelten Tagesablauf einzustellen. Wer auf der Straße lebt, schläft tagsüber, weil das sicherer ist als nachts“, sagt Balzar. Hinzu komme, dass nicht wenige der Frauen Gewalt erfahren hätten und traumatisiert oder psychisch auffällig seien. Für Frauen, die deswegen in bestehenden Einrichtungen nicht angemessen betreut werden können, hat der SkF 2021 das Angebot Sen[i]ora 2 in barrierefreien Räumen der GAG umgesetzt – hier leben fünf zuvor wohnungslose Frauen mit akuten oder chronischen Erkrankungen und teils dementiellen Veränderungen. „Aber wir benötigen dringend mehr solcher Wohnplätze“, sagt Balzar. „Nur dort kann die gesundheitliche Situation hochbelasteter Frauen so weit stabilisiert werden, dass sie ihre letzte Lebensphase in Würde und Sicherheit verbringen können.“

Schwierigkeiten bei der ambulanten Pflege obdachloser Menschen

Schwer bis unmöglich ist es für wohnungslose Menschen auch, einen ambulanten Pflegedienst zu finden. „Für die personell knapp besetzten Pflegedienste ist der Aufwand bei wohnungslosen oder suchtkranken Menschen deutlich höher als bei anderen. Grundpflege auf der Straße ist nicht möglich, im Falle einer Unterbringung wohnungsloser Menschen in Mehrbett-Hotelzimmern ist sie nur erschwert umzusetzen“, schildert Hauke Bertling.

Das schildert auch Monika Scholz, die das Johanneshaus in der Südstadt leitet. Hier leben rund 200 Männer, etliche kommen nicht mehr vom Alkohol los. Nicht wenige von ihnen werden pflegebedürftig, zwei ambulante Pflegedienste kommen ins Haus. „Aber für sie und auch für unser Personal ist die Pflege in den alten Gebäuden sehr schwierig. Wir haben etwa keine Wanne mit versenkbarem Sitz. Und nur in einem Gebäude einen Aufzug. Eine pflegerische Versorgung war hier nie vorgesehen“, so Scholz. „Aber wenn wir diese Menschen nicht aufnehmen, dann nimmt sie niemand.“