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Perücken aus EchthaarWie Haarspenden kranken Menschen helfen – ein Besuch in Köln

5 min
Beratung und Styling: Zweithaar-Spezialist Carsten Klein verleiht den Perücken im Studio den letzten Schliff.

Beratung und Styling: Zweithaar-Spezialist Carsten Klein verleiht den Perücken im Studio den letzten Schliff.

Im Kölner Perückenstudio „Dioloi“ berät Zweithaar-Spezialist Carsten Klein Menschen, die durch Haarverlust eine Perücke brauchen. 

Die bekannteste Nebenwirkung einer Chemotherapie ist wohl der Verlust der Haare. Die emotionale Belastung für Patientinnen und Patienten wiegt schwer: Schließlich macht eine Glatze die Krebserkrankung für alle „öffentlich“. Andere Menschen leiden an Alopecia areata, auch kreisrunder Haarausfall genannt. Bei dieser Autoimmunerkrankung greift das Immunsystem die eigenen Haarfollikel an.

An diesem Punkt kommen Zweithaar-Spezialisten wie Carsten Klein ins Spiel. Er ist Betreiber des Bayenthaler Perückenstudios „Dioloi“ an der Koblenzer Straße. Zu ihm gehen Menschen, die an Haarverlust leiden und eine Perücke brauchen.

„Die Leute kommen zu mir und haben klare Vorstellungen, wie sie ihre Haare möchten“, sagt Klein, der sich in seinem Handwerk sicher ist. „Bei Haaren kann ich dir den lieben Gott kopieren.“ Damit er Patientinnen und Patienten überhaupt direkt mit Zweithaar versorgen darf, braucht es die sogenannte Präqualifizierung. Diese bescheinigt, dass ein Studio über die nötigen räumlichen und fachlichen Voraussetzungen verfügt, um Rezepte für Perücken mit den Krankenkassen abzurechnen.

Männer werden von Krankenkassen ausgeschlossen

Kleins Studio erfüllt diese Vorgaben. Doch es gibt Einschränkungen: Männer werden von den Krankenkassen weitgehend ausgeschlossen – sie erhalten selbst bei einer Chemotherapie kein Rezept. Klein richtet sein Angebot auch an Trans-Frauen, also Personen, die bei der Geburt dem männlichen Geschlecht zugeordnet wurden, nun aber als Frauen leben. „Das Problem ist, dass Trans-Frauen häufig im Ausweis noch als männlich angegeben werden“, erklärt Klein. Für Frauen übernehmen die Kassen die Kosten zumindest teilweise. Bei Echthaar-Perücken oder Maßanfertigungen müssen sie jedoch meist draufzahlen.

Die Haarproben im Perückenstudio.

Farbe, Stil und Länge der Perücke können sich die Kundinnen und Kunden selbst aussuchen.

„Perücken gelten bei Krankenkassen als Hilfsmittel für die medizinische Rehabilitation“, erläutert Christian Weller, der im Dioloi die Rezepte und Befragungsbögen betreut. „Bei Männern wird Haarverlust dagegen als kosmetisches Problem angesehen, obwohl es auch für sie belastend sein kann.“ Eine Kostenübernahme erfolgt nur in Ausnahmefällen, wenn ein ärztlich bestätigter psychischer Leidensdruck vorliegt.

Dass Zweithaar ein sehr persönliches Thema ist, weiß Klein genau: „Je nach Krankheit kommen die Leute in einer schlimmen Situation hierher“, sagt er. Viele Frauen würden zögern und hoffen, dass die Haare bei einer Chemotherapie doch nicht ausfallen. „Wir hatten bisher nur eine Dame da, deren Haare tatsächlich nicht ausgefallen sind. Sonst ist das unvermeidbar.“

Dem Experten sei es wichtig, dass seine Kundinnen nicht aufeinandertreffen. „Ich nehme mir viel Zeit für die Beratung“, betont Klein. Komfort und Privatsphäre spielen dabei eine wichtige Rolle: Der hintere Raum des Studios ist schallgedämpft und schützt vor neugierigen Blicken – Bedingungen, die für die Präqualifizierung vorgeschrieben sind.

In der persönlichen Beratung wird der Haarersatz Schritt für Schritt geplant. „Ich schaue mir den Kopf an und messe ihn ab. Dann entscheide ich, wie es weitergeht“, erklärt Klein. Je nach Art des Haarausfalls brauchen die Betroffenen eine Vollhaarperücke oder ein Haarsystem, das nur einen Teil des Kopfes bedeckt. Farbe, Länge und Stil können sie frei wählen. Die Wünsche schickt Klein an seinen Agenten, gefertigt werden die Perücken in spezialisierten Fabriken. Anschließend werden sie im Studio personalisiert und gestylt. „Bis die Perücke wirklich fertig ist, kann es mehrere Wochen bis Monate dauern.“

Echthaar-Perücken sind langlebig und natürlich

Besonderen Wert legt Klein auf Echthaar-Perücken. „Wer sich mit fremden Federn schmückt, kann ja dann auch echte benutzen“, sagt er. „Wir haben ohnehin schon genug Plastik auf der Welt.“ Zwar seien auch Kunsthaar-Perücken hochwertig, doch Echthaar sei langlebiger und wirke natürlicher. Sein Material bezieht Klein über Fachmessen, wo neben Austausch und Schulungen auch Versteigerungen von gespendetem Haar stattfinden. Meist handelt es sich um abgeschnittene Zöpfe, die von Privatpersonen oder Organisationen gesammelt wurden. Sie werden in Qualitätsstufen eingeteilt und an Perückenmacher versteigert – der Erlös kommt wohltätigen Projekten oder Betroffenen direkt zugute.

Nach der Auktion beginnt die eigentliche Arbeit: Die Haare werden sortiert, gewaschen und desinfiziert. Anschließend wird geprüft, ob sie für den Perückenbau geeignet sind. Helleres Haar ist selten und entsprechend teurer, dunklere Haare können durch Bleaching aufgehellt und in fast jede gewünschte Farbe gefärbt werden. Dabei ist es wichtig, die Schuppenschicht des Haares zu erhalten, um es geschmeidig und haltbar zu machen. Danach wird das Haar in Strähnen vorbereitet und schließlich zu Perücken oder Haarsystemen weiterverarbeitet. Je nach gewünschter Qualität kann dieser Prozess mehrere Wochen dauern.

Moderne Perücken sind atmungsaktiv und rutschfest

Nach der Auktion beginnt die eigentliche Arbeit: Die Haare werden sortiert, gewaschen und desinfiziert. Anschließend wird geprüft, ob sie für den Perückenbau geeignet sind. Helleres Haar ist selten und entsprechend teurer, dunklere Haare können durch Bleichung aufgehellt und in fast jede gewünschte Farbe gefärbt werden. Danach wird das Haar auf ein Perückennetz geknüpft, das luftdurchlässig ist. Moderne Modelle verfügen oft über kleine Silikonstreifen, die verhindern, dass die Perücke verrutscht. Zudem sind sie sehr leicht – eine 65 Zentimeter lange Perücke wiegt nur 236 Gramm.

Allerdings hat Qualität ihren Preis: Eine handgeknüpfte Echthaar-Perücke mit einer Länge von 20 Zentimetern kostet rund 1700 Euro – mit der Haarlänge steigen auch die Kosten. Dafür sind die Modelle individuell angepasst und sind bei richtiger Pflege lange haltbar. „Die Kundinnen sind nach dem Kauf nicht allein. Wir helfen gerne, wenn es Fragen gibt“, sagt Klein.

Dass seine Arbeit wirkt und Qualität sich lohnt, hat der Zweithaar-Spezialist oft erlebt. Er hat hohe Ansprüche an sein Handwerk: „Wir hatten mal ein junges Mädchen da, das durch Alopecia fast gar keine Haare mehr auf dem Kopf hatte“, erzählt er. Sie habe immer eine Mütze getragen. Ihr Haarersatz gab ihr wieder Selbstsicherheit: „In der Schule hätten die Kinder ihr Komplimente für ihre Haare gemacht – sie haben nicht bemerkt, dass sie eine Perücke auf dem Kopf hatte.“ Mittlerweile sei es möglich, Zweithaar so natürlich wirken zu lassen, dass es nicht mehr auffällt. „Dass man Perückenträger erkennt, muss heute nicht mehr sein.“