„Sie hatte noch nicht lange den Führerschein“Unfallopfer und Helfer berichten über tödliche Unfälle von jungen Menschen in Köln

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Das Bild zeigt ein vollständig zerstörtes Auto nach einem Unfall.

Bei schweren Verkehrsunfällen werden die Autos völlig zerstört und die Insassen in vielen Fällen schwer verletzt.

Im Rahmen des „Crash-Kurs NRW“ sollen Schüler des Berufskollegs in Köln-Zollstock für mehr Vorsicht im Straßenverkehr sensibilisiert werden.

Es war ein schöner Sommertag vor fünf Jahren, als er zu einem Verkehrsunfall gerufen wurde. Ein Kleinwagen sei mit einem größeren Fahrzeug zusammengestoßen auf einer Straße, die ins Kölner Umland führt, war ihm gemeldet worden. Als er dort ankam, sah er ein junges Mädchen, das sich neben dem Unfallauto bewegte.

Okay, ihr geht es offenbar ganz gut, dachte er. „Aber der Fiesta war völlig zusammengequetscht. Und da war noch die Fahrerin drin“, erzählt Carsten Schroll, Rüstwagenführer bei der Berufsfeuerwehr Köln. „Wir haben in diesen Wagen alles an Werkzeug dabei, vom normalen Vierkantschlüssel über Motorsäge bis hin zum hydraulischen Rettungssatz. Wir bekommen alles auf. Es ist nur eine Frage der Zeit“, schildert Schroll vor rund 200 Schülern des Alfred-Müller-Armack-Berufskolleg (AMA) in Zollstock.

Unfälle in Köln: Opfer müssen schnell ins Krankenhaus

Aber gerade Zeit hat man bei schweren Verkehrsunfällen nicht. „Es muss schnell gehen, die Betroffenen sind meist so schwer verletzt, dass sie innerhalb von einer Stunde im Krankenhaus sein müssen“, so Schroll. So war es auch in dem Fall, den er den Schülern beschreibt.

„Die Fahrerin war völlig eingeklemmt. Der Motorkasten war in den Fußraum geschoben, der Fahrersitz nach vorne gedrückt. Das war eine Symbiose aus Metall, Kunststoff und menschlichem Körper“, sagt Schroll. Der Notarzt drängte. Schroll und seinen Kollegen gelang es, den Körper aus dem Auto zu holen – doch die junge Frau konnte nicht mehr gerettet werden. Sie starb.

Bei „Crash-Kurs NRW“ berichten Beteiligte emotional von Unfällen

„Sie hatte noch nicht lange den Führerschein, es war ihr erstes Auto. Sie wollte mit ihrer Freundin zu einem Baggersee. Auf der Landstraße überholte sie einen Wagen, trotz der durchgezogenen Linie. Den entgegenkommenden LKW hat sie nicht gesehen und knallte frontal mit ihm zusammen – mit 80 Stundenkilometern“, berichtet Schroll.

Er erzählt diese Geschichte im Rahmen des „Crash-Kurs NRW“, den die Kölner Polizei im Zollstocker Berufskolleg veranstaltet. Dabei berichten Polizisten, Feuerwehrleute, Notfallseelsorger, Notärzte, Unfallopfer oder deren Angehörige Schülern der 10. und 11. Jahrgangsstufe von ihren Erfahrungen. Sie schildern ihre Gefühle und Eindrücke ganz persönlich.

Unfälle passieren nicht, sie haben eine Ursache.
Natalie Jung, von der Polizei Köln

Über die Emotionen wollen sie die jungen Menschen erreichen, ein Bewusstsein für die Gefahren zu schaffen und sie dazu bewegen, sich an ein paar Regeln zu halten. Dazu werden Bilder gezeigt von realen Unfällen, mit zerquetschten Autos, zerstörten Motorrädern, verbogenen Fahrrädern und leblosen Körpern.

Ziel: Unfälle verhindern, Leben retten. Das Projekt ging 2010 an den Start, weil der Anteil von jungen Verkehrsteilnehmern bei den Verursachern von schweren Unfällen überproportional hoch ist. „Unfälle passieren nicht, sie haben eine Ursache“, erklärt Natalie Jung von der Polizei Köln und seit Jahren im Crash-Kurs-Team.

Ursachen: zu schnell, kein Gurt, Alkohol, Drogen, Handy benutzt

Die Ursachen sind meistens: zu schnell gefahren, ohne Gurt unterwegs, Alkohol getrunken oder andere Drogen genommen. Oder bei Fahren das Handy benutzt. Bei der Bilder-Collage ist ein Foto von einem Auto zu sehen, das sich unter einen LKW geschoben hat. „Hier ist eine junge Fahrerin mit 120 Stundenkilometern in ein Stauende gerast. Tot.

Die Ursache fanden wir im Fußraum: ihr Handy, eingeloggt in soziale Netzwerke“, berichtet Jung. „Tippen ging noch, senden nicht mehr …“ steht unter dem Bild. Für die Opfer sei an der Unfallstelle oft alles vorbei, aber für die Familien gehe der Horror weiter, so Jung. „Die Polizei muss den Hinterbliebenen die Todesnachricht überbringen. Du weißt, du klingelst und zerstörst eine Familie“, beschreibt sie.

Wie es einer solchen Familie geht, erfahren die Schüler von Marita Scheidel. Ihre Tochter Miriam wurde im April 2015 bei einem illegalen Autorennen auf dem Auenweg in Deutz getötet. Die 19-Jährige war mit ihrem Rad von der Uni unterwegs, die beiden Fahrer, die sich das Rennen lieferten, waren 21 und 22 Jahre. Der eine verlor die Kontrolle über sein Auto und raste in Miriam hinein – sie hatte keine Chance.

Ihre Mutter erzählt von Miriams letztem Tag, als sie gut gelaunt das Haus verließ, von den Nachrichten, die sie am Nachmittag schickte, von dem Moment, als abends statt Miri die Polizei kam. Sie berichtet, wie der Arzt ihnen mitteilte, Miriam sei leider klinisch tot, beschreibt die quälenden Stunden und Tage im Krankenhaus, am Bett der sterbenden Tochter.

Für die anderen geht das Leben weiter, das ist auch richtig. Aber wir kämpfen jeden Tag mit dem Schmerz.
Marita Scheidel, Mutter eines Unfallopfers

„Wir haben mit ihr geredet, sie gestreichelt, ihr gesagt, wie sehr wir sie vermissen werden“, sagt Scheidel mit brüchiger Stimme. Das Leben sei seit Miris Tod ein anderes. „Für die anderen geht das Leben weiter, das ist auch richtig. Aber wir kämpfen jeden Tag mit dem Schmerz.“ Im Anschluss an ihre Worte läuft eine Bildercollage: Miri als Baby, Miri an der Nordsee, Miri auf dem Pferd, mit ihren Eltern, mit ihrem Freund, im Krankenhaus, ihr verbogenes Rad, ihre kaputte Brille, ihr Sarg, ihr Grab.

Die Schüler hören während der ganzen Präsentation still und bewegt zu. Im AMA-Berufskolleg fand die Veranstaltung zum vierten Mal statt. „Wir haben viele Schüler bei uns, die zur Zielgruppe der 16- bis 24-Jährigen gehören. Wir möchten sie für die Gefahren von Fehlverhalten im Verkehr sensibilisieren“, erklärt Schulleiterin Christine Tharra.

Kölns Polizeipräsident Falk Schnabel zum ersten Mal bei einem Crash-Kurs

Der Kurs geht unter die Haut. Deswegen wird er im Unterricht weiter besprochen. „Die Schüler können jederzeit darüber mit uns darüber reden. Und nach ein paar Tagen machen wir Rollenspiele, die die Polizei entwickelt hat“, erläutert Tharra. „Manche Schüler weinen. Sie erzählen, wie betroffen sie die Geschichten gemacht haben. Sie haben auch schon Karten an die Familien der Unfall-Opfer geschrieben, ihnen gesagt, wie tapfer und stark sie sie finden“, berichtet Lehrerin Vera Kielty über die Workshops.

Beim Crash-Kurs im AMA-Berufskolleg war auch Kölns Polizeipräsident Falk Schnabel unter den Zuhörern. Schnabel ist seit knapp einem Jahr Polizeipräsident. „Ich kannte das Projekt noch nicht und wollte es kennenlernen. Es hat mich sehr berührt, vor allem der Vortrag von Marita Scheidel“, so Schnabel.

Die Aktion scheint zu wirken. Seit dem Start von „Crash Kurs NRW“ im Jahr 2010 nehmen Unfälle unter jungen Erwachsenen ab. Die Zahl der verunglückten 18- bis 24-Jährigen sank zwischen 2015 und 2020 um 21,2 Prozent, ist auf der Homepage der Polizei Nordrhein-Westfalen zu lesen.

Mittlerweile sind die Veranstalter in 90 Prozent der Kölner Schulen, die die Zielgruppe besucht, regelmäßig vertreten. „Die Schulen, in denen wir noch nicht waren, können sich gerne bei uns melden“, sagt Jung.


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