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Behutsame SpurensucheKölner Regisseurin porträtiert „Anna und Oma“

4 min
Eine alte und eine junge Frau umarmen sich.

Szene aus dem Dokumentarfilm „Anna und Oma“ mit Anna Bahß (Enkelin) und Ingrid Bahß (Oma)

Spurensuche in der ehemaligen DDR und Auseinandersetzung mit der Gegenwart betreibt der Dokumentarfilm „Anna und Oma“.

„Ich würde gerne wieder FKK machen. So wie wir das früher immer in Magdeburg gemacht haben“, sagt Ingrid Bahß. Ihre Enkelin Anna reagiert reserviert: „Also ich würde nicht gerne als prüde bezeichnet werden, nur weil ich mich nicht nackt zeigen will.“ Diese Szene macht die Kluft deutlich zwischen einer Sozialisation in der ehemaligen DDR und im Deutschland der Jahrtausendwende.

Die Kölner Regisseurin Ellen Rudnitzki hat die 73-jährige Fotografin Ingrid Bahß und ihre 25-jährige Enkelin porträtiert – und einen einfühlsamen und aufschlussreichen Film geschaffen. In „Anna und Oma“ setzen sich die beiden Protagonistinnen in ihren unterschiedlichen Lebenswelten und -wegen auseinander, hören sich zu, fragen nach, machen begreiflich. 

Die DJane Anna taucht ein in das Leben ihrer Oma Ingrid Bahß, die mit ihrem Ehemann in der DDR eine private Galerie betrieben hat. Zusammen mit Dietrich Bahß, einem Mathematiker mit Berufsverbot, errichtete sie in Magdeburg eine private Galerie für Bildende Kunst, Lesungen und Konzerte. Ingrids Idee: Künstlerinnen und Künstler zu finden, „die das ausdrücken, was ich gerne ausdrücken würde, wenn ich es könnte“.

Eine Person wird für eine Nacht in einem Berliner Club geschminkt.

Clubszene aus dem Dokumentarfilm „Anna und Oma“.

Die Wohnung wurde zu einem Magnet für kreative Geister, meist auf Kriegsfuß mit der herrschenden Staatsdoktrin. Ingrid und Dietrich waren Teil der berühmten Magdeburger Galerienszene. Es wurden Stullen geschmiert, Rotwein getrunken und Kette geraucht. Die Kinder Christian und Hanni mittendrin. An eine Ausreise dachten sie nicht im Traum: „Ich wollte mich nicht gegen das System stellen, ich wollte das System verändern“, sagt Ingrid. Der Sozialismus, wie er mal hätte werden können, sei eine Gesellschaft, in der es ums „Wir“ ging, nicht so sehr ums „Ich“.

1983 wurden Ingrid und Dietrich Bahß als Staatsfeinde ausgewiesen und fanden sich mit ihren beiden Kindern in Köln in einer Notunterkunft an der Vorgebirgsstraße wieder. Mühsam bauten sie sich in Köln eine neue Heimat. Nach der Wende fanden sie in Ingrids Geburtsort, der kleinen Hansestadt Werben in Sachsen-Anhalt, ein zweites Standbein. Ingrid schuf dort einen Kulturort. Bis heute beleuchtet sie beide Lebenswelten – Köln und Werben, Ost und West – kritisch, aber auch mit Liebe. Die Lebenswirklichkeit der Oma entfaltet sich im Spiegel der Augen ihrer Enkelin, der sie vieles zeigt.

Als Staatsfeindin ausgewiesen

Doch auch Anna zeigt ihr Leben. Die Informatikstudentin wohnt inzwischen in Berlin, arbeitet in der Club-Szene als DJane. Wenn Anna irgendetwas beschäftigt, tauscht sie sich aus mit ihrer Oma. Sie taucht ein in Ingrids Kölner Südstadt-Wohnung, vollgestopft mit Büchern, Bildern und vielen Fotos – Zeugen eines spannenden Lebens, reich an Krisen und Umbrüchen. Eine Welt, die Anna erkunden möchte. Gemeinsam machen sie sich auf eine Reise zu den Stationen von Ingrids Leben: der Ex-DDR, die sie zwangsweise verlassen musste, dem zunächst verhassten Westen, ihrem Geburtsort im Osten.

Eine alte Frau schaut nach einem Insekt, das eine junge Frau gefangen hat.

Am Elbufer in Werben: Szene aus dem Dokumentarfilm „Anna und Oma“ mit Anna Bahß (Enkelin; R:) und Irmgrid Bahß (Oma)

Regisseurin Ellen Rudnitzki hat die Protagonisten drei Jahre lang mit der Kamera behutsam begleitet. Der Film kommt ohne Off-Text und Erklärungen aus. Allein die Gespräche der beiden Akteurinnen führen durch die beiden Leben. Das schafft Nähe und lässt Anna und Ingrid Bahß viel Raum. „Ich kenne die Fotografin Ingrid Bahß seit über 30 Jahren und bin immer wieder fasziniert von ihrem Mut und ihrer Widerstandskraft, mit der sie ihre vielfältigen Ideen umsetzt“, erklärt Rudnitzki.

Die persönliche Nähe zwischen Bahß und der Regisseurin war bei den Dreharbeiten kein Hindernis. Im Gegenteil. Anna und Ingrid wirken authentisch. Offenbar fühlten sie sich nicht beobachtet, wollten nichts darstellen, sondern sind einfach sie selbst.

Ein Mitspracherecht bei der Montage des Films räumte die Regisseurin den beiden übrigens nicht ein.„ Sie haben den fertigen Film erst beim Screening gesehen“, sagt sie. Er gefiel ihnen. Zu Recht. In Zeiten einer zunehmend gespaltenen Gesellschaft, in denen sich die Gräben zwischen Ost und West wieder vertiefen, zeigt der Film, wie Brücken gebaut und Risse gekittet werden können. Und, dass unterschiedliche Lebenswirklichkeiten, Meinungen und Ansichten nicht zwangsläufig zum Ende einer Beziehung führen müssen.


Premiere in Köln ist am Dienstag, 16. September um 20 Uhr im Filmhaus (Maybachstraße). Regisseurin und Protagonisten sind anwesend. Weitere Vorstellungen laufen dann bis zum 27. September.