Viel zu früh auf dieser WeltFrühgeborene werden in Holweide versorgt

Ein Frühchen in einem Inkubator. (Symbolbild)
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Köln – Plötzlich war er da. Eva Arenz dachte eigentlich, sie würde zu einer normalen Ultraschalluntersuchung gehen. Zwei Stunden später war ihr Sohn auf der Welt. 765 Gramm schwer, 35 Zentimeter groß und drei Monate zu früh. „Das kam schon sehr überraschend für uns“, erzählt die Mutter. Für die 43-Jährige ist es das erste Kind, der Geburtstermin war für Anfang Juli geplant.
Alles verlief komplikationslos bis zur 25. Schwangerschaftswoche. Dann wurde ihr Sohn per Kaiserschnitt geholt, nach der Geburt brauchte er direkt intensiv-medizinische Hilfe. „Es hat eine Weile gedauert, bis ich begriffen habe, dass er wirklich schon da ist. Und es war natürlich sehr schwer, mein Kind direkt nach der Geburt anderen Leuten zu überlassen.“ Die Kölner Familie startete nun im Perinatalzentrum in Holweide in das gemeinsame Leben zu dritt. Ganz anders als geplant.
Medizin hat viel dazu gelernt
Die moderne Medizin hat in den vergangenen Jahrzehnten viel dazugelernt. Sie kann Leben verlängern – oder früher starten lassen. Im rechtsrheinischen Perinatalzentrum werden Frühgeborene ab der vollendeten 22. Schwangerschaftswoche intensivmedizinisch versorgt. Viele von ihnen wiegen bei ihrer Geburt gerade mal soviel wie ein Päckchen Butter. In den Brutkästen, den sogenannten Inkubatoren, herrscht dämmeriges Licht, das Pflegepersonal hat sie mit roten Tüchern bedeckt.
„Wir simulieren quasi die Zeit in der Gebärmutter. Die Frühgeborenen brauchen viel Ruhe und nicht zu viele Reize von außen“, erklärt Dr. Marc Hoppenz. Seit mehr als 15 Jahren leitet er die Station für Früh- und Neugeborene. Pro Jahr werden hier 40 bis 50 Kinder behandelt, die bei ihrer Geburt weniger als 1000 Gramm wiegen und Monate zu früh auf diese Welt kommen. „Unser Prinzip ist: Wir behandeln die Kinder so intensiv wie nötig, aber so wenig wie möglich“, sagt der Mediziner. „Minimal Handling“ heißt das in der Fachsprache. Pflegerische und ärztliche Tätigkeiten werden zeitlich koordiniert, um den Babys so viele Ruhepausen wie möglich zu geben.
Eltern wollen in Pflege einbezogen werden
Für Eva Arenz und ihren Verlobten ist es wichtig, dass sie in die Pflege mit einbezogen werden. Die Versorgung – Windeln wechseln und die Atemwege frei saugen – findet alle vier Stunden unter Anleitung des Personal statt. Das Köpfchen halten, das Kind hochheben, es eincremen, all diese kleinen Momente mit ihrem Sohn sind für Eva Arenz ganz besonders. „Der Kontakt ist wichtig, damit Eltern eine Bindung zu ihrem Kind aufbauen können“, erklärt Hoppenz. Anfängliche Berührungsängste mit den winzig kleinen Babykörpern werden so langsam abgebaut.
Eine Woche nach der Geburt ihres Sohnes durfte Eva Arenz ihn für eine Stunde auf ihre nackte Brust legen. Ein schönes Gefühl. „Ich sehe nicht die ganzen Schläuche, ich sehe nur mein Baby“, sagt sie. Die Klinik legt viel Wert auf regelmäßiges Bonding zwischen Eltern und Kind, auch „Känguru-Pflege“ genannt. Auch die Väter werden einbezogen. Vertraute Stimmen und Gerüche, auch das sei heilsam für die Frühchen, erklärt Hoppenz.
Mehr Rückzugsmöglichkeiten für Familien
Ein Umbau der Station ermöglicht den Familien seit diesem Jahr mehr Rückzugsmöglichkeiten. Ist eine Frau nach einem Kaiserschnitt noch nicht mobil, kann sie nun auch im Bett zu ihrem Kind auf die Intensivstation gefahren werden. „Das war vorher nicht möglich, da hingen wir baulich doch sehr hinterher“, bedauert Hoppenz. Umso mehr freut er sich, diesen neuen Standard nun auch für Köln gewonnen zu haben. In Zukunft werden dort auch Zimmer für das „Rooming-in“ entstehen, bei denen ein Elternteil dauerhaft beim Kind sein darf.
„Wir wissen, dass das eine Ausnahmesituation für die Eltern ist. Wir behandeln hier quasi die ganze Familie“, sagt Dr. Hoppenz, selbst vierfacher Vater. Deshalb bietet das Perinatalzentrum eine psychosoziale Betreuung an, neben Psychologen sind auch eine Stillberaterin und ein Seelsorger regelmäßig auf der Station. „Es ist immer jemand da, um unsere Fragen zu beantworten“, sagt auch Eva Arenz. Für die 43-Jährige ist es der erste Krankenhausaufenthalt in ihrem Leben: „Mir gefällt, dass der Fokus nicht nur auf die medizinische Komponente gelegt wird, sondern auch mit den Eltern sehr menschlich und sensibel umgegangen wird.“ Pflegepersonal und Ärzte, so die Kölnerin, seien mit Leidenschaft und Herz dabei.
Hohe Belastung für die Mitarbeiter
Die Belastung ist jedoch auch für die Mitarbeitenden einer solchen Station hoch. Auch hier gibt es traurige Momente. Kinder, die vor der vollendeten 24. Schwangerschaftswoche geboren werden, haben im Perinatalzentrum in Holweide, so Hoppenz, eine Überlebenschance von rund 70 Prozent – deutlich mehr als an anderen Standorten bundesweit, wo diese oft nur bei 30 Prozent liege. Ein Drittel der Kinder hat jedoch schwere neurologische Schäden, viele eine dauerhafte körperliche oder geistige Behinderung, die ihnen nie ein selbstbestimmtes Leben ermöglichen wird.
„Da ist es natürlich ein besonderes Hochgefühl, wenn Eltern von unserer Station mit einem gesunden Kind nach Hause gehen“, sagt Hoppenz. Bis zwei Jahre nach der Geburt werden die Frühchen regelmäßig auf ihre Entwicklung hin untersucht. „Wenn man die Kinder nach ihrer Geburt drei bis vier Monate im Krankenhaus betreut hat und sie dann als Zweijährige um die Ecke gelaufen kommen, das sind sehr schöne Momente“, so der Mediziner.
Zwei Wochen seit der Geburt vergangen
Seit der Geburt von Eva Arenz’ Sohn sind zwei Wochen vergangen. Bis zur Entlassung muss er noch kräftiger werden, komplett alleine atmen und trinken können. Drei Monate wird er voraussichtlich in der Klinik verbringen, in den ersten Wochen wohnt seine Mutter als Begleitperson in einem Zimmer drei Stockwerke höher. Dann pendelt Arenz zwischen ihrem Zuhause und der Klinik. Eine harte Belastungsprobe für die Familie.„Ich hatte auch schon schlechte Tage. Aber das Wichtigste ist, dass es dem Kleinen gut geht“, sagt die Kölnerin. „Denn ich kann sehr wohl etwas tun, das habe ich hier gelernt: Ich kann für ihn da sein und für ihn stark sein.“
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Alle Eltern im Perinatalzentrum bekommen ein Tagebuch, können dort Fortschritte notieren, auch die Pflegenden schreiben regelmäßig etwas rein. „Regelmäßiger Stuhlgang, selbstständiges Atmen, die eigene Temperatur halten können“, zählt Eva Arenz auf. „Ich konzentriere mich auf die täglichen Erfolge.“ In der vergangenen Woche hat sie geschrieben: „Zehn Gramm zugenommen.“ Wieder ein Meilenstein geschafft.