Wohnung gesucht!Wie es sich anfühlt, die Wohnung nach 52 Jahren verlassen zu müssen

Lesezeit 4 Minuten
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Christa Eskes muss nach 52 Jahren aus ihrer Wohnung in Ehrenfeld ausziehen:

  • Christa Eskes muss umziehen. Mit 73 Jahren, nachdem sie den Großteil ihres Lebens in einer Wohnung in Ehrenfeld lebte.
  • Nicht nur ihr geht es so, alle Mieter müssen den Wohnblock verlassen.
  • Ein ganzes Familienleben auf 60 Quadratmetern: Die Geschichte erzählen wir im sechsten Teil unserer Serie.

Köln-Ehrenfeld – „Mein Mann hat hier alles gemacht“, erklärt Christa Eskes, als sie den staunenden Blick bemerkt. Hinter der einfachen Wohnungstür aus lackiertem Holz liegt ein wahres Schmuckkästchen. Vertäfelte Decken mit eingebauten Strahlern, helles Holzlaminat auf den Böden, die Flurwand in raffinierter Technik mit gelben Tupfen verziert: rund 60 Quadratmeter Zuhause. Seit fast 50 Jahren wohnt Christa Eskes (73) hier.

Bis zu seinem Tod vor drei Jahren zusammen mit ihrem Mann Karl. Sein großes Porträtfoto steht direkt neben dem Fernseher im modern eingerichteten Wohnzimmer.

„Wir machen es uns schön“

„Wenn ich abends auf der Couch liege, spreche ich mit ihm“, sagt die Seniorin. Karl, den die Urkölsche „Jung“ nannte, war Maler- und Anstreicher. Direkt nach der Hochzeit 1965 zog das junge Paar in die Marienstraße in eine Genossenschaftswohnung. Zuerst lebten sie in zwei Zimmern im Erdgeschoss.

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1968, kurz nach der Geburt von Sohn Alfred, ging es in den zweiten Stock. „Wir hatten fast nix, als wir einzogen“, sagt Christa Eskes – und meint die Möbel. Reichlich vorhanden in der jungen Familie war Tatkraft, Arbeitseifer und der Wunsch: „Wir machen es uns schön!“ Handwerklich geschickt, setzte Ehemann Karl nach und nach alles um, was sich seine Frau wünschte.

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Die Wohnung soll modernisiert werden.

„Ich hab immer für eine Bauernküche geschwärmt. Da hat er gesagt: ,Das ist aber nicht billig.’ Und dann haben wir gespart, und er hat losgelegt.“ Herausgekommen ist Bezauberndes: Karl Eskens hat die Arbeitsplatten selbst gekachelt, die Küchenfronten mit der Spritzpistole im Keller lackiert, den Boden kunstvoll verlegt.

Weihnachten und Geselligkeit zwischen Holzvertäfelung

Vor einer gemütlich mit Holz vertäfelten Ecke sind eine massive Kiefernholz-Bank und ein großer Kiefernholz-Tisch passend zum massiven Bauernschrank. Selbst die angrenzende Tür zum ehemaligen Kinderzimmer hat der fleißige Handwerker ausgetauscht und stilecht durch Kiefer ersetzt. „Mein Mann ist so viel auf dem Boden rumgerutscht, dass ich schon gescherzt hab, er wird ein Maulwurf. Was er gemacht hat, hat der mit Liebe gemacht.“ Die Wohnküche ist das Herzstück des Heims.

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Die Küche der Familie Eskes war immer Dreh- und Angelpunkt des Familienlebens.

„Hier spielt sich seit jeher alles ab“, sagt Christa Eskes, während sie durch alte Fotos stöbert. Weihnachten, Geselligkeit und auch das eine oder andere Malheurs fand in der Küche statt. „Ein Weihnachten ist die Katze in den Weihnachtsbaum gesprungen und hat ihn umgerissen. Danach haben wir ihn immer festgebunden.“ Ein anderes Mal streute Sohn Alfred als Kleinkind mit Seifenpulver eine Straße für sein Tretauto. „Statt die wegzukehren, hab ich angefangen, aufzuwischen. Das war schrecklich. Da hab ich nachher einen Nervenzusammenbruch gekriegt.“

Kinderbilder an den Wänden verewigt

Die lebensfrohen Kölner hatten einen großen Bekanntenkreis. „Früher saßen hier oft spontan an die 15 Leute in der Küche. Dann ging jemand zum Kiosk und hat was zu trinken geholt und dann hatten sie plötzlich Hunger und ich hab Brote gemacht. Marmelade, denn den Aufschnitt brauchten wir für die Pausenbrote am nächsten Tag.“ Christa Eskes ist eine, die ohne viel Firlefanz anpackt.

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Der Blick aus dem Wohnung in der Marienstraße

Als ihr Sohn plötzlich als alleinerziehender Vater mit zwei kleinen Jungen dastand, quartierten die Großeltern über Jahre die beiden Enkel jedes Wochenende in das ehemalige Kinderzimmer ein. „Wir haben sie praktisch mit großgezogen“, lacht die Großmutter, die sich gar nicht an den Fotos der süßen Kinder sattsehen kann. Von der Zeit mit den Enkeln, die inzwischen schon lange zurückliegt, zeugen noch Malereien im ehemaligen Kinderzimmer. Einen Vogel und einen Hahn hat Enkel Daiman vor rund zwölf Jahren an der Wand verewigt. „Als mein Mann wieder neu gestrichen hat, hat er ganz akribisch um die Malereien herumgepinselt.“

Jedes Frühjahr wurde frisch gestrichen

Gestrichen hat Karl Eskes jedes Frühjahr. „Wir haben beide geraucht, da gilbt das sonst ein“, erklärt Christa Eskes. Nach dem Tod ihres Mannes wurde die jahrzehntealte Streichtradition erstmals gebrochen. Jemand von der GAG, der der Wohnkomplex in Ehrenfeld gehört, erklärte der Mieterin, sie „könne sich das Streichen sparen“. Der Grund: Es wird modernisiert im Haus. Seit Mitte letzten Jahres laufen die Arbeiten. Heizungen werden eingebaut, die Bäder vergrößert, neue Leitungen verlegt. Während der Umbauarbeiten wird auch eine Wand in Christa Eskes heiß geliebter Küche herausgebrochen.

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Um die Kunstwerke der Enkel wurde sorgfältig drumherum gestrichen.

Wohnen bleiben können die Mieter während der Arbeiten nicht. Sie müssen in eine Ersatzwohnung und können später wieder zurückkommen.

Doch das wird Christa Eskes nicht machen. „Wenn ich zurückkäme und in der Küche wäre alles weggeschlagen, das würd ich nicht ertragen.“ Also hat sie die Vernunft eingeschaltet: „Alles geht zuende. Zwei Umzüge in meinem Alter, das ist nix. Ich habe mich deshalb entschieden, in eine Seniorenwohnanlage der GAG umzuziehen.“ Leicht fällt ihr dieser Schritt nicht. „Hier steckt so viel Liebe und Arbeit drin.“

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