100. Geburtstag von Marlon BrandoFilmdiva und Herrscher über verbotene Königreiche

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Marlon Brando als Mafiaboss in einer Szene aus Francis Ford Coppolas Film „Der Pate“.

Marlon Brando als Mafiaboss in Francis Ford Coppolas Film „Der Pate“.

Vor 100 Jahren wurde der amerikanische Filmschauspieler und Oscarpreisträger Marlon Brando geboren. Filme wie „Der Pate“ und „Endstation Sehnsucht“ machten ihn zur Hollywood-Legende.

Manche warten geduldig vor der Tür zum Ruhm, doch Marlon Brando hob sie mit 23 einfach aus den Angeln. 1947 war sein Stanley Kowalski in Tennessee Williams' „Endstation Sehnsucht“ eine Broadway-Sensation: ebenso muskulös wie verschwitzt im hautengen T-Shirt, ein Macho von unverschämter Attraktivität. Aus lauernder Raubtier-Trägheit wird er blitzschnell gefährlich und entlarvt instinktiv die prätentiöse Prüderie und aufgeschminkte Höhere-Tochter-Attitüde seiner Mitbewohnerin Blanche DuBois. Das kann nur übel enden.

Elia Kazan inszenierte diese Geburt eines Sexsymbols sowohl auf der Bühne wie auch fürs Kino (1951) und ließ Hollywoods neuen starken Mann gleich nochmals zuschlagen: Als Ex-Boxer spürte er an der Gewerkschaftsfront der Dockarbeiter „Die Faust im Nacken“ und bekam mit 30 seinen ersten Oscar. Während James Dean im gleichen Jahrzehnt den reflektierenden Helden mimte, setzte Brando als Motorradrocker („Der Wilde“) eine weitere herbe Duftmarke.

Der am 3. April 1924 in Omaha/Nebraska geborene Schauspieler hatte allerdings bei Stella Adler jenes Method Acting gelernt, das eine nahtlose Verschmelzung von Figur und Akteur anstrebt, indem der Mime eigene Abgründe erkundet. So schimmern bei Marlon Brando immer auch Unsicherheiten, Ängste und Gefallsucht durch die harte Kruste.

Marlon Brando in „Endstation Sehnsucht“ Anfang der 50er-Jahre

Marlon Brando als Stanley Kowalski in „Endstation Sehnsucht“ Anfang der 50er-Jahre

Nach dem senkrechten Karrierestart schien er für viele auf bestem Weg, ein zweiter Laurence Olivier zu werden. Doch obwohl er sich als Antonius in „Julius Cäsar“ und als junger Napoleon in „Désirée“ wacker hielt, bekam sein Erfolgsweg etliche Schlaglöcher. Sein einziger Regieversuch bei „Der Besessene“ spielte die hohen Produktionskosten nie ein, und „Die Meuterei auf der Bounty“ bot dem notorisch in Sorgerechtsprozesse verwickelten Hauptdarsteller zwar die rettende Gage von 1,25 Millionen Dollar, wurde für MGM aber zum Kassendesaster.

Obendrein galt Brando mittlerweile wegen seines Vertragsbruchs mit 20th Century Fox, offener Kritik an Hollywood und Unberechenbarkeit am Set als Risikobesetzung. Bei den Dreharbeiten zur „Gräfin von Hongkong“ überwarf er sich nicht nur mit seiner Partnerin Sophia Loren, sondern auch mit Regisseur Charlie Chaplin und lieferte selbst eine desinteressierte Vorstellung.

Doch dann kam Francis Ford Coppola und machte den strauchelnden Star zum Herrscher verbotener Königreiche. Zunächst die Mafia. Don Vito Corleone ist „Der Pate“ (1972), regiert im Dämmerlicht dunkler Salons. Wer ihm die Hand küsst, kann mit Gunst oder Gnade rechnen, ansonsten bedeutet eine beiläufig in die Luft gewischte Geste den Tod. Ein Mann mit mythischer Grandezza.

Aber nicht nur wegen der (dank eingelegter Watte) abgesackten Wangen gleicht Brandos Gangster einem Palazzo am Beginn ruinösen Zerfalls. Wer hätte ihn besser ausloten können, den Zwiespalt zwischen Macht- und Familienmensch? „Ich wollte nie, dass du das alles machen musst“, sagt er seinem Lieblingssohn Michael, wenn er ihn genau dazu zwingt – eine Szene von erschütternder Intensität.

Und dann 1979 der wahnwitzigste aller Kriegsfilme: „Apocalypse now!“. Brando, inzwischen zum Entsetzen des Regisseurs von kolossalem Übergewicht, spielt jenen Colonel Kurtz, der am Rande des Vietnamkriegs im kambodschanischen Dschungel ein barbarisches Regime führt. Nur selten holte Vittorio Storarios Kamera den monströsen Glatzkopf aus der höhlenhaften Dunkelheit, doch wie Kurtz wirre Genieblitze aus dem Gewölk seines Irrsinns abschießt, bleibt unvergesslich.Kaum je wurde das Böse so bezwingend verkörpert.

Der mehrfach verheiratete, in etliche Affären mit Frauen und wohl auch Männern verstrickte Star war immer ein betont physischer Schauspieler. Sein Sheriff in Arthur Penns „Ein Mann wird gejagt“ wird angesichts des texanischen Lynchmobs zum blutbesudelten Schmerzensmann von biblischer Märtyrerqualität. „Der letzte Tango in Paris“ zeigte den 48-Jährigen dann in sexueller Klausur mit der 19-jährigen Maria Schneider weit jenseits von früherer Schönheit.

Kritikerin Pauline Kael hielt Bernardo Bertoluccis provokanten Film zwar für so bedeutend, wie es Strawinskys „Sacre du Printemps“ für die Musik- und Ballettwelt war. Doch der eigentliche Skandal bestand darin, dass Regisseur und Protagonist die junge Hauptdarstellerin mit einer pornografischen Szene derart überfallen haben, dass sie sich nachher „erniedrigt“ und „vergewaltigt“ fühlte.

Brando selbst konnte nach dem Comeback in den 70ern wieder Rekordgagen etwa für Kurzauftritte als Christopher Reeves Vater in „Superman“ einstreichen. Er erlebte jedoch sein privates Waterloo 1990, als sein Sohn Christian den Freund von Marlons schwangerer Tochter Cheyenne tötete. Letztere erhängte sich fünf Jahre später.

Insgesamt war dieses Leben – zeitweise besaß der Vater von elf(!) Kindern ein Atoll bei Tahiti – so formatsprengend wie die Karriere. Als Marlon Brando am 1. Juli 2004 mit 80 Jahren an Lungenversagen starb, verlor Hollywood einerseits eine launische Diva. Doch wann immer dieser Mann wollte, war er auf der Leinwand einzigartig gewesen.


Oscar-Politik

Aus Protest gegen die Politik der Filmindustrie gegenüber den Indianern lehnte Marlon Brando 1973 die Entgegennahme seines zweiten Oscars für die Titelrolle in „Der Pate“ ab. Für ihn erklärte die Schauspielerin und Aktivistin Sacheen Littlefeather in traditioneller Apachen-Kleidung die Gründe der Ablehnung.

Der überraschende Auftritt in der Live-Übertragung brachte der Vertreterin des AIM (American Indian Movement) heftige Kritik ein. Für diese negativen Folgen entschuldigte sich die Oscar-Academy im Juni 2022. Nach Littlefeathers Tod im Oktober 2022 gaben ihre Schwestern zu, dass sie ihre indianische Herkunft erfunden habe und die Familie tatsächlich aus Mexiko stamme. (Wi.)