Von TikTok bis Thomas Gottschalk: Rainer Maria Rilke fasziniert noch immer. Ein Porträt des schwächlichen Prager Jungen, der zum Inbegriff des modernen Dichters wurde.
Von TikTok bis MalibuWarum Rainer Maria Rilke 150 Jahre nach seiner Geburt noch immer fasziniert

In Prag erinnert auf der Einkaufsmeile Na Prikope (Am Graben) eine Büste an den Schriftsteller Rainer Maria Rilke (1875-1926) - an dem Gebäude, in dem er die Volksschule besuchte.
Copyright: Michael Heitmann/dpa
Als Rilkes Verleger Anton Kippenberg einmal gefragt wurde, was er von der jüngeren Dichtergeneration halte, antwortete der nicht auf den Mund gefallen: „Sagen Sie getrost, dass ich befangen wäre oder gar pro domo rede – aber ich kann mir nicht helfen: Ich finde immer wieder bestätigt, dass von allen Rilke-Gedichten, die von ihm selber stammenden weitaus die besten sind!“ Rainer Maria Rilke ist der Inbegriff eines Dichters. Generationen von Lyrikern haben sich von ihm beeinflussen lassen.
Unglücklich auf Militärschule
Selbst wer es mit Gedichten nicht so hat, kennt seinen Namen. Auf TikTok gehen seine Verse viral. Popsängerin Lady Gaga ließ sich einen davon auf ihren Oberarm tätowieren. Und Thomas Gottschalk besaß ein Autograph von Rilkes bekanntestem Gedicht „Der Panther“, das in seinem Haus in Malibu bei der Feuerkatastrophe 2018 verbrannte.
Wenn zum 150. Geburtstag des am 4. Dezember 1875 in Prag geborenen Dichters neben den drei großen Biografien von Manfred Koch, Rüdiger Schaper und Sandra Richter jetzt noch jede Menge anderer Neuveröffentlichungen über ihn erscheinen, belegt das nur einmal mehr seine anhaltende Popularität. Als René Karl Wilhelm Johann Josef Maria Rilke kam er auf die Welt. Allein der Name klingt wie ein Gedicht.
Den Namen Rainer gab er sich später, weil er ihn männlicher fand als René und eines Dichters würdiger. Die militärische Karriere, die dem Vater nicht gelungen war, sollte der Sohn machen und wurde so nach der Scheidung der Eltern auf die Militärschule in St. Pölten geschickt. Dort wurde der als Frühchen geborene und ein Leben lang schwächliche Rilke nicht glücklich. Mit drei hatte die Mutter ihn in Mädchenkleider gesteckt, um den Tod ihrer Tochter zu kompensieren.
So vorbereitet musste Rilke in der harten Schule der Soldaten scheitern. Mit dem feinen Sensorium eines Hypochonders spürte er zeitlebens seinen Krankheiten nach und kränkelt immerzu. Selbst die Hochzeitsreise mit der Bildhauerin Clara Westhoff endete 1901 im Dresdner Sanatorium „Weißer Hirsch“. Aus seiner Schwäche aber gelang es Rilke, eine Tugend zu machen: Er wurde Dichter.
Privatsekretär Auguste Rodins
Während die transzendentalen Verse seines „Buchs der Bilder“ (1902) und des „Stunden-Buches“ (1905) noch in der Tradition des Jugendstils und des Impressionismus stehen, geht er mit seinen „Neuen Gedichten“ (1905) den Weg in die literarische Moderne. Kühn ist er und bricht die Regeln der Sprache. In Paris, wo er eine Monografie über Auguste Rodin schreibt und dessen Privatsekretär wird, lernt er, die Dinge selbst sprechen zu lassen und weniger „Ich“ zu sagen.
Ehefrau Clara hat er unterdessen mit der einjährigen Tochter Ruth in Worpswede zurückgelassen, um das Leben eines Dichters zu führen. In seinem 1910 erschienenen, einzigen Roman „Die Aufzeichnungen des Malte Laurids Brigge“ hält er seine Eindrücke fest und liefert eine Schule des Sehens. Prosa wird die Ausnahme bleiben. Sein Ding sind Gedichte. Auch wenn Tolstoi ihn dafür ein paar Jahre zuvor noch verlacht hatte, als Rilke mit Lou Andreas-Salomé, die für ihn Muse und Mutterersatz ist, eine Audienz beim Alten hatte, wo er beteuerte, er wolle Verse schreiben. Worauf Tolstoi abfällig entgegnet haben soll: „Das sei doch nichts Rechtes, Verse.“
Nicht nur bis nach Moskau kam er. Überhaupt war Rilke viel auf Reisen. Für seine Zeit war er fast ein Kosmopolit. Auch das lässt ihn heute aktuell erscheinen. Ebenso wie seine Kritik an der Jenseitsorientierung des Christentums und an einer einseitig nur naturwissenschaftlich geprägten modernen Welt, mit der er Schopenhauer und Nietzsche folgte. Viele verehrten ihn seinerzeit fast als Propheten. Obwohl Menschen ihm vorkamen wie Besuch, der nicht gehen will, verkehrte er in bester Gesellschaft.
Wohlwollende Mäzene
Als ein nur der Kunst verpflichteter Ästhet lebte er vom Wohlwollen seiner Mäzene. Ob es die Prinzessin Marie von Thurn und Taxis war, die ihn in ihrem Schloss über der Adria wohnen ließ, wo er 1912 anfing, die „Duineser Elegien“ zu schreiben. Oder der Industrielle Werner Reinhart, der ihm das Château de Muzot im Wallis kaufte, wo Rilke den Zyklus nach anhaltender, schwerer Schaffenskrise wie im Rausch 1922 vollendete und nebenbei „Die Sonette an Orpheus“ (1923) schrieb.
Wenige Jahre darauf starb er nach mehreren Aufenthalten im Sanatorium 1929 in Valmont. Wie die Legende besagt, soll er sich an einer Rose gestochen haben und die Wunde nicht zum Stillstand gekommen sein. Zu spät wurde erkannt, dass er an einer seltenen Form der Leukämie litt. Auf seinem Grabstein in Raron stehen die Zeilen: „Rose, oh reiner Widerspruch, Lust/ Niemandes Schlaf zu sein unter soviel/ Liedern.“
Den 150. Geburtstag Rainer Maria Rilkes nahmen verschiedene Autorinnen und Autoren zum Anlass, um ihn und sein Werk zu beleuchten. Eine Auswahl.
Manfred Koch: Rilke: Dichter der Angst - Eine Biographie. C.H. Beck, 560 Seiten, 34 Euro.
Rüdiger Schaper: Rainer Maria Rilke: Der Prophet der Avantgarde. Theiss in der Verlag Herder, 288 Seiten, 26 Euro.
Sandra Richter: Rainer Maria Rilke oder Das offene Leben: Eine Biographie. Insel, 478 Seiten, 28 Euro.
Clemens J. Setz: Rainer Maria Rilke. 100 Seiten. Reclam, 102 Seiten, 12 Euro.
Hans-Peter Kunisch: Das Flimmern der Raubtierfelle. Rilke und der Faschismus. Reclam, 336 Seiten, 26 Euro. Angelika Overath/ Manfred Koch(Hg.): Rilkes Tiere. Insel-Bücherei Nr. 1549, 112 Seiten, 16 Euro.
