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Vom 9. bis 16. Oktober in KölnKino als Aufschrei – das bietet das „Film Festival Cologne“

4 min

Szene aus „Yes“

Das Film Festival Cologne präsentiert vom 9. bis 16. Oktober die Höhepunkte internationaler Filmfeste - darunter hochpolitische Werke wie Nadav Lapids radikale Israel-Kritik „Yes!“ und Ulrich Köhlers Kolonialismus-Reflexion „Gavagai“.

Weltpremieren sind der kostbare Stoff, aus dem die Wettbewerbe von Cannes, Venedig und Berlin geschmiedet sind. Oft genug bergen die Wundertüten aber auch Enttäuschungen, weshalb das Film Festival Cologne meist gern darauf verzichtet. Das FFC ist ein Festival der Festivals, das deren Highlights abschöpft, bevor sie regulär ins Kino kommen.

Dazu gehört schon der Eröffnungsfilm: Ulrich Köhlers „Gavagai“ war gerade erst beim Filmfestival Toronto ein vielbeachteter deutscher Beitrag, dessen Höhepunkt ausgerechnet auf einer imaginären Berlinale spielt.

Szene aus Gavagai

In seiner neuesten Auseinandersetzung mit dem Erbe des Kolonialismus erzählt Maren Ades Lebenspartner von einer modernen „Medea“-Verfilmung, die im Senegal entsteht. Maren Eggert beginnt als Hauptdarstellerin des „Films im Film“ eine Affäre mit dem von Jean-Christophe Folly gespielten, einheimischen Jason-Darsteller. Überfürsorglich nimmt sie ihn gegenüber möglichen rassistischen Anfeindungen in Schutz. Entsprechend fein austariert hat Köhler seine Dialoge, die an der Doppelmoral des Kulturbetriebs rühren, ohne sie zu überzeichnen (9.10., 20 Uhr, Filmpalast).

Tröstliche Kraft des Kinos

Ungleich deutlicher geht der israelische Regisseur Nadav Lapid mit Politik des eigenen Landes ins Gericht. Der Berlinale-Gewinner von 2019 mit „Synonymes“ sah sich durch den Hamas-Terrorangriff vom 7. Oktober 2023 förmlich in eine Falle gezogen. Eigentlich hatte er seine Karriere im Ausland fortsetzen wollen, doch – wie er der Zeitschrift „Screen“ erklärte: „Wenn man sein Land am schlimmsten Punkt seiner Geschichte sieht und wie es die schlimmsten Verbrechen begeht, was bleibt anderes zu tun, als einen audiovisuellen Weg zu suchen, dies auszudrücken?“

Sein Film „Yes!“ gefördert vom unabhängigen Israeli Film Fund und als Koproduktion mit Maren Ades „Komplizen-Film“ und ZDF/arte handelt von einem Künstlerpaar, das zu allem „Ja!“ sagt. Es prostituiert sich für eine dekadente Partygesellschaft, die in einer Szene zum Klang von Kampffliegern und Bombenexplosionen ekstatisch tanzt. Auch dem Auftrag, die israelische Nationalhymne in ein Propagandastück zur Auslöschung der Palästinenser umzuschreiben, stimmt der Protagonist, ein Jazz-Pianist mit dem Namen „Y“ nach einigem Zögern zu.

It was just an accident

Doch das Kino von Nadav Lapid ist weit entfernt von einfachem, Thesen-getragenem Agitprop. Es kombiniert aufwendig-übersteigerte Inszenierungen nach Art des Italieners Paolo Sorrentino mit aktionistischen und semi-dokumentarischen Elementen.

Im Mittelstück des Zweieinhalbstundenfilms reist der Musiker an die Grenze zum Gazastreifen, wo er seine Ex-Freundin trifft, die für Social-Media-Kanäle für die israelischen Streitkämpfe arbeitet.

Vor dem Hintergrund der real gefilmten Rauchschwaden des tatsächlichen Kriegsgeschehens äußert diese Filmfigur Zweifel an der Verhältnismäßigkeit der Angriffe, bekommt aber auch den Hamas-Terror nicht aus dem Kopf, die so, von ihr aufgezählt, ebenfalls als kollektives Trauma in Lapids Film präsent sind. Der dritte Teil des Films stellt die Unvereinbarkeit beider Perspektiven, das Wissen um die Kriegsverbrechen des eigenen Landes und die Indifferenz der Mehrheitsgesellschaft gegeneinander.

Lapids Film ist ein einziger Aufschrei, und er erspart dem Publikum nichts von seiner eigenen Zerrissenheit. Er beweist aber auch die tröstliche Kraft des Kinos, in seiner Möglichkeit, die Verzweiflung und die Wut über die Gegenwart teilbar zu machen. „Ich glaube, die Gesellschaft braucht einen Schock“, sagte der Filmemacher in Cannes, wo sein Film Premiere hatte, „und ich hoffe, dieser Film wird einer sein.“ (11.10., 14.30 Uhr und 13.10., 21 Uhr, Filmpalast)

Leben am Fuß des Vesuvs

Weniger politisch als gewohnt zeigt sich dagegen der italienische Dokumentarfilmer Gianfranco Rosi. Seine neue Langzeitstudie „Below the Clouds“ porträtiert das Leben am Fuß des Vesuvs in Gegenwart der antiken Hinterlassenschaften rund um Pompeji. In fein nuanciertem Schwarz-weiß sucht Rosi dabei selbst die Nähe zu einem Klassiker, Roberto Rossellinis Meisterwerk „Reisen in Italien“. Wie stets schöpft Rosi dabei große, epische Kinobilder aus der Gegenwart, die er hier in überzeitliche Dimensionen rückt (10.10., 15.30 Uhr und 12.10., 12.30 Uhr, Filmpalast).

Below The Clouds

Natürlich darf auch der Gewinnerfilm von Cannes nicht fehlen: In „It was just an Accident“ bricht der Iraner Jafar Panahai demonstrativ mit dem über ihn verhängten Arbeitsverbot. Kaum war er gesundheitsbedingt aus der politischen Haft entlassen worden, hatte er mit der verbotenen Filmarbeit begonnen.

Aus der unverhofften Freiheit schöpft die turbulente Farce in jeder Szene. Es geht um ein ehemaliges Folteropfer, das seinen mutmaßlichen Peiniger kidnappt. Um ihn sicher zu identifizieren, holt er andere Leidensgenossen zur Identifikation hinzu.

Da es sich dabei um ein Brautpaar und dessen Hochzeitsfotografin handelt, mischen sich unvermittelt zwei Genres Politthriller und Hochzeitskomödie. Daraus entsteht dann eine manchmal beklemmende, öfter aber überraschend humorvolle Mischung: Für Panahi ein typisch iranischer Humor, den die Mullah-Regierung ihrem Volk nicht austreiben können (11.10., 18 Uhr und 15.10., 16.30 Uhr, Filmpalast).

Das Film Festival Cologne läuft vom 9. bis 16. Oktober. Das komplette Programm gibt es unter filmfestival.cologne.