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Alice Schwarzer im Internet„Zeit der Influencerinnen, die eine Wahnsinnsmacht haben“

Lesezeit 3 Minuten
Alice Schwarzer Simone

15 Jahre war Alice Schwarzer mit Simone de Beauvoir be­freun­det. 

  1. Alice Schwarzer hat die Bundeskunsthalle bei der Ausstellung über Simone de Beauvoir beraten und verrät Ulrike Hofsähs und Thomas Kliemann, welchen Stellenwert ihr revolutionäres Hauptwerk „Das andere Geschlecht“ heute hat.

1949 erschien Simone de Beauvoirs „Le deuxième sexe“, „Das andere Geschlecht“. Was hat uns das Werk – seinerzeit ein Skandalbuch – zu sagen?

Ich habe „Das andere Geschlecht“ rund 20 Jahre nach dem Erscheinen erstmals gelesen. Und später immer wieder. Und ich bin immer wieder hingerissen von der Frische der Polemik und diesem blitzenden Esprit. Ich bin überzeugt, dass 80 bis 90 Prozent von „Das andere Geschlecht“, das ja sehr grundsätzlich die Lage der Frauen in der Welt und der Geschichte und das Machtverhältnis der Geschlechter analysiert, nach wie vor völlig gültig sind. Natürlich sind ein paar neue Phänomene hinzugekommen.

Und die wären?

Die Propagierung der Weiblichkeit, der sogenannten. Da haben wir eine Renaissance: Frauen wird gesagt, sie sollen doch Frauen sein. Für viele Frauen bedeutet das: Lange Haare und High Heels. Je stärker eine jüngere Frau in Männerdomänen geht, umso stärker hat sie das Bedürfnis, sich mit Signalen der Weiblichkeit dafür zu entschuldigen. Junge Polizistinnen tragen besonders gerne einen blonden Zopf. Top-Managerinnen treten in extremen High Heels auf. In denen können sie keine großen Schritte machen. Mitte der 1970er hatten wir so etwas schon überwunden.

Experiment mit dem Hauptwerk

Es ist ein Experiment, das die Intendantin Eva Kraus und die Kuratorin Katharina Chrubasik in der Bundeskunsthalle wagen: Nicht eine Persönlichkeit der Kulturgeschichte in den Mittelpunkt zu stellen, sondern ihr Hauptwerk. In diesem Fall: „Le deuxième sexe“, „Das andere Geschlecht“, Simone de Beauvoirs Buch von 1949. Ihre als Essay gestartete Analyse unterschied zwischen biologischem Geschlecht und kultureller oder sozialer Prägung des Geschlechts.

Bis 16. Oktober. Di 10–19, Mi 11–21, Do-So 10–19 Uhr. www.bundeskunsthalle.de

Was könnten junge Frauen heute von Beauvoir lernen?

Von Simone de Beauvoir könnten junge Frauen lernen, wie einengend diese sogenannte Weiblichkeit sein kann, in Kleidung, in Schuhen, im Charme, in diesen ganzen Demuts- und Unterwerfungssignalen.

Fehlt sie?

Heute fehlen einfach unangepasste Geister wie sie. Es gibt zurzeit ein Drumrumgerede, das schwer auszuhalten ist.

Was meinten Sie mit den Demuts- und Unterwerfungssignalen?

Man kann lange Haare haben, ich habe auch keine kurzen. Man muss aber wissen, man signalisiert damit etwas. Ich habe auch selber oft hohe Absätze getragen – man ist ja nicht immer auf der Höhe seines Programms.

Doch es geht nicht darum, was die einzelne Frau tut. Es geht um Grundsätzliches. Ein Beispiel: Wir leben in einer Zeit des Internets, der Influencerinnen, die eine Wahnsinnsmacht haben und die eine sehr restriktive Körperpolitik vermitteln. Man muss dünn sein, die Optimierung des Körpers, die Schlacht findet wieder auf dem Körper statt.

Was würde Simone de Beauvoir dazu sagen?

Für die wäre das ein gefundenes Fressen. Sie würde nur Erhellendes sagen.

Zum Beispiel?

Das ist jetzt euer Leben, liebe junge Frauen? Die Welt steht euch offen, endlich habt ihr den Zugang zur Bildung erreicht, ihr hattet eine Kanzlerin, habt eine Außenministerin, eine Astronautin. Das könnt ihr alles. Und jetzt sitzt ihr in euren Mädchenzimmern und guckt wie man sich schminken und posieren muss, ihr hungert, weil ihr keine natürlichen Körper haben dürft. Das ist ein Thema für Beauvoir.

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Aber Simone de Beauvoir wirkte in ihrer Außenwirkung doch extrem kontrolliert.

Ja, sie war kontrolliert. Zu ihrem Schutz. Als 1949 „Das andere Geschlecht“ erschien, ist sie öffentlich verhöhnt worden. Albert Camus, eigentlich ein Freund, hat das Buch durch den Raum geworfen. Sie ist verspottet worden: Was sie für eine Frau sei, lesbisch sowieso, wie alle Feministinnen… Dazu muss man wissen: Ausgerechnet beim Schreiben von „Das andere Geschlecht“ hatte sie – neben ihrem Lebensgefährten Sartre?– eine Affäre mit dem amerikanischen Schriftsteller Nelson Algren.