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Interview

Bestseller-Autorin Donna Leon
„Die Ehefrau ist als Täterin uninteressant“

6 min
Die Schriftsellerin Donna Leon.

Die Schriftsellerin Donna Leon.

Im Werkstattgespräch verrät Bestseller-Autorin Donna Leon: So schreibt man einen guten Krimi.

Seit Donna Leon 50 Jahre alt ist, schreibt sie Jahr für Jahr einen neuen Fall für Commissario Brunetti. Die Bücher werden regelmäßig Bestseller, auch als TV-Krimi ist die Reihe ein Erfolg. In ihrem neuen Buch „Backstage“ gibt sie jetzt Einblicke in ihr Handwerk. Daniel Benedict nutzt die Gelegenheit für ein Gespräch mit der Autorin über Kniffe, Tricks und Routinen, die sie für ein gutes Buch braucht.

Frau Leon, ist Schreiben ein Handwerk, das man lernen kann?

Schriftstellersein kann man nicht lernen. Was einen interessiert, merkt man schon als Teenager, vielleicht sogar früher – ob man nun gerne Basketball spielt oder tanzt oder ob ein guter Klempner in einem steckt. Beim Schreiben merkt man es vielleicht an einer Liebe für Sprachspiele, Gags und Doppeldeutigkeiten, einfach für Wörter. Der Impuls muss da sein. Was man lernen kann, ist gut und effektiv zu schreiben.

Dazu gehört, gute von schlechten Ideen zu unterscheiden. Wie machen Sie das?

In meinen Schreibkursen habe ich immer empfohlen: Erzählt einfach die Geschichte. Man merkt, was am spannendsten ist. Das sagt einem eine innere Stimme: Die Ehefrau ist als Täterin uninteressant. Der Bibliothekar wäre besser. Man braucht Instinkt, und den trainiert man beim Lesen. Wer ein Autor werden will, muss lesen. Je mehr, je ausschweifender und je ernsthafter, desto leichter fällt das Schreiben.

Welchen Autor empfehlen Sie, wenn man lernen will, einen Krimi-Plot zu entwickeln?

Vielleicht hilft es da, Dashiell Hammett zu lesen – gerade, weil er jemand ist, der das überhaupt nicht kann. Er schreibt wundervoll. Aber seine Plots sind ziemlich chaotisch.

Wer ist ein Vorbild für schöne Sprache?

Besonders bewundere ich Ross MacDonald. Er beschreibt immer und immer wieder das, was man in der Branche „the girl in jep“ nennt, das Mädchen in Schwierigkeiten. Sein Detektiv kriegt es ständig mit verwirrten, problematischen, jungen Frauen zu tun – und zwar richtig jungen: 16, 17 oder 18. Das aber macht Ross MacDonald in einer herrlichen Prosa. Er beschreibt ungeheuer gut, wie Leute oder Räume aussehen – was mir schwerfällt.

Wer erfindet die besten Schurken?

Ruth Rendell. Sie ist eine fabelhafte Autorin und wunderbar darin, schlechte Menschen zu produzieren. Wie ein Fährtenhund wittert sie den flüchtigen Mörder über Kilometer hinweg.

Ihre Nase für böse Menschen macht einem Angst. Sie taucht so tief in die Verbrecher ein, dass man sie genau begreift. Und dass man sie begreift, macht alles noch schrecklicher.

Mit Rendell waren Sie auch befreundet. Haben Sie sie je gefragt, woher ihr Sinn fürs Böse kommt?

Ich würde mit Kollegen nie über den Beruf sprechen. Wenn sie dann eine brillante Idee formuliert hätte, eine, die womöglich auch noch leicht umzusetzen wäre, dann müsste ich mein restliches Leben damit verbringen, diesen Einfall zu umschiffen.

Welche Kritiker helfen?

Ich habe zwei solcher Kritikerinnen, eine ist meine Lektorin bei Diogenes. Mein neues Buch ist ihr gewidmet. Die andere ist meine beste Freundin, die – sehr unbequem – in Kanada lebt: Judith Flanders, eine bekannte Historikerin, die auch Kritiken für das „Times Literary Supplement“ schreibt. Wenn ich etwas für gut halte, schicke ich es Judith.   Wenn etwas schlecht ist, sagt sie es. Höflich, aber es sitzt. So jemanden brauchen Sie, wenn Sie schreiben wollen: Menschen, denen Sie trauen und deren Urteil Sie nicht verletzt.

Sind Sie leicht zu verletzen?

Es ist schwer, etwas kritisiert zu sehen, das man mit Liebe gemacht hat. Aber es ist notwendig. Wie beim Klempner. Wenn der Ihnen sagt, dass Ihr Waschbecken ausgetauscht werden muss, fangen Sie auch nicht an zu diskutieren. Die wahren Freunde von Schriftstellern sind Klempner. Sie sehen, wo es tropft.

Viele Autoren waren Alkoholiker. Helfen Rauschmittel der Kreativität?

Keine Ahnung. Ich trinke nicht. Ich glaube, meinen letzten Drink hatte ich – na, wahrscheinlich an der Uni. Mein Suchtmittel ist Kaffee, der hat weniger schwere Nebenwirkungen. Trinken scheint ein Laster oder Verhaltensmuster zu sein, für das Autoren anfällig sind. Aber eigentlich glaube ich nicht, dass es mit dem Schreiben zusammenhängt. Wahrscheinlich ist der Alkoholikeranteil unter Klempnern genauso groß wie unter Schriftstellern.

Frau Leon, spielt der nächste Brunetti im Handwerker-Milieu? Sie zitieren die ganze Zeit Klempner.

Klempner sind mein Beispiel für die Macht des Unverzichtbaren. Was man wirklich braucht, ist ein Klempner. Wenn ich wählen sollte, ob ich Kabel reparieren kann oder den Sanitärbereich, dann würde ich mich immer fürs Klempnern entscheiden.

Brauchen Sie für die Arbeit bestimmte Materialien? Halten Sie Bürozeiten ein? Wie wichtig ist äußere Ordnung fürs Schreiben?

Ich bin nicht preziös. Was die Zeiten angeht: Normalerweise fange ich gegen 10 Uhr mit dem Schreiben an und arbeite dann bis nachmittags, vielleicht so bis vier oder fünf. Aber es kommt immer drauf an. Ich reise viel. Für mich gibt's keine Routine.

Wenn Sie über die Oper schreiben, betonen Sie Ihre Lust an den aufgepeitschten Gefühlen.

Ich bin eine Tränenfontäne. Das passiert sogar in Opern, die ich nicht mal besonders mag – in „Tosca“ zum Beispiel. Die Musik verleitet mich dazu.

Mit Romanen geht das auch. In Dickens „Great Expectations“ stirbt am Ende Magwitch, der Mann, der die ganze Zeit gütig zum Helden Pip gewesen ist. Sie ziehen ihn aus dem schmutzigen Wasser. Pip beugt sich über ihn, Magwitch sagt: „Oh, mein lieber Junge“ – und es sprudelt aus mir heraus. Ich weine nicht, ich flenne, egal, wie oft ich das gelesen habe.

Ist das etwas, dass Sie beim Schreiben selbst hervorrufen wollen?

Nein, nein, nein, nein! Wenn ich irgendwas im Sinn habe, dann die Vorstellungskraft der Leser anzuregen. In einem meiner Bücher geht Brunetti in ein Schlachthaus, zieht einen Schutzanzug an, hört die Geräusche von Hunderten Kühen und im Boden sind Gitter, damit abfließen kann, was immer die Tiere beim Schlachten von sich geben. Sehr viele Leute haben mir daraufhin geschrieben, wie abstoßend sie die Szene fanden. Und jedem antworte ich: Lies das bei Gelegenheit noch mal. Es wird kein Tropfen Blut erwähnt. Es gibt keine Gewalt. Das ist für mich eine sehr geglückte Szene. Die Leser werden von einem Horror umgeworfen, der nie beschrieben wird. Sie haben sich das Grauen selbst vorgestellt.

Tarantino glaubt, dass die kreativsten Jahre mit 60 vorbei sind.

Er kann ja nur für sich selbst sprechen. Es ist seine Erfahrung. Milton war um die 60, als er „Paradise Lost“ geschrieben hat. Shakespeare hat die Sonette am Ende seines Lebens geschrieben. Es kommt auf die Ausdauer an.

Ich glaube aber auch, dass es im Alter schwerer wird. Wenn man Kapitel 9 schreibt, dann das zehnte, und das elfte bezieht sich dann auf irgendwas, das am Anfang passiert, dann muss man auf einmal zurückblättern. Vor zwanzig oder sogar noch vor zehn Jahren hatte ich das Buch im Kopf. Das ist etwas beunruhigend.

Sie haben das Schreiben ja überhaupt erst mit 50 angefangen.

Stimmt. Ich war ein Spätzünder. Und ich glaube, Leute mit einem guten Gedächtnis können lange weitermachen.