In ihrem Buch „Thomas Mann macht Ferien“ beschäftigt sich die Autorin Kerstin Holzer mit den Sommermonaten des Kriegsjahres 1918.
Thomas Mann und sein WerkWie der Sommer am See das Leben von Thomas Manns veränderte

Kerstin Holzer, die Autorin des Buches „Thomas Mann macht Ferien“
Copyright: Markus Tedeskino
Warum fasziniert uns alle diese Familie immer noch so sehr? Sie kommen einem eigentlich nicht sonderlich sympathisch vor, auch nicht in Ihrem Buch...
Aber doch sehr menschlich – und enorm beeindruckend, schon durch das Übermaß an Talent und Tragödien, das diese Familie begleitet. Dieses Literaturgenie als Vater, diese unglaublich intelligente, schnelle, vitale Frau, die ihm intellektuell absolut ebenbürtig ist. Sechs Kinder, alle künstlerisch talentiert.
Das Ganze eingebettet in eine Zeit voller Umbrüche, voller Veränderung. Und wie diese Familie darauf reagiert hat, wie sie das angenommen hat, auch später: Flucht, Emigration, Kampf gegen den Faschismus, politisches Engagement. Ich finde das einfach unglaublich.
Kann man auf einem so beackerten Feld noch etwas Neues entdecken?
Unbedingt! Man muss sich ein bisschen auf die Wiesenwege begeben.
Auf die Wiesenwege?
Abseits der gängigen und auch ausgelatschten Wege, die die Forschung gegangen ist, gibt es doch einiges zu entdecken.
Ich bin keine Germanistin, sondern Politologin. Und ich nähere mich Thomas Mann als enthusiastische Leserin, die ihn als Seelenkenner liest: Als jemanden, der sehr viel vom Menschsein versteht, davon, was es bedeutet, ein Außenseiter zu sein, nicht alles im Leben haben zu können, was man sich wünscht.
Und der aus dieser Erfahrung etwas macht, was uns alle angeht: nämlich die Erkenntnis, dass Entsagung, Ängste und Peinlichkeiten wahnsinnig nah mit der Komik zusammen liegen. Sein Wissen um Tragik und Komik des Lebens macht sein Werk zeitlos und tröstlich und vor allem auch oft sehr lustig.
Thomas Mann ist 80 geworden. Warum haben Sie sich gerade die Sommermonate 1918 ausgesucht?
Das war Zufall, wie auch bei meinen Büchern über die Töchter Monika Mann und Elisabeth Mann Borgese. Auf das Thema für „Thomas Mann macht Ferien“ bin ich durch meinen Hund gekommen, den wir in der Corona-Zeit bekommen haben. Dadurch waren wir oft am ländlichen Tegernsee, und mir fiel ein, dass Mann dort „Herr und Hund“ geschrieben hat was ich dann als Hunde-Anfängerin gelesen habe. Das erschien mir vergnüglicher als so ein klassischer Hunderatgeber.
Daraufhin habe ich mich mit diesen Sommermonaten beschäftigt, und mir ist schnell klar geworden, dass das für Thomas Mann ein ganz bedeutsamer Sommer war.
Inwiefern?
Er hatte „Betrachtungen eines Unpolitischen“ abgeschlossen, ein reaktionäres, den Krieg bejubelndes und geradezu chauvinistisches Buch. Aber die Niederlage der Deutschen im Ersten Weltkrieg lag in der Luft, und er musste fürchten, als Schriftsteller bald auf der Seite der Kriegsverlierer zu stehen und in der Bedeutungslosigkeit zu verschwinden. Mich hat interessiert, wie er in aus dieser massiven Krise dieses Sommers herausgefunden hat.
Und dabei zeigen Sie ihn sehr menschlich: als Herrchen des Hundes Bauschan und als späten Vater, der seiner drei Monate alten Tochter Elisabeth sehr zugewandt ist.
Er wird weicher und gemütvoller in diesem Sommer. Was er selber auch registriert. Wir haben recht viel Material über diese Monate, Briefe, Erinnerungen. Und Manns Tagebücher, die zwei Tage nach der Rückkehr vom Tegernsee einsetzen. Und als ich da den Satz „Tegernsee lebt noch in mir“ las, wusste ich, noch ohne eine Zeile geschrieben zu haben, dass dies mein Schlusssatz wird.
Überraschend ist, dass Krieg herrscht, die Soldaten in den Schützengräben umkommen, aber die Menschen in den Urlaub fahren. Das wirkt fast obszön.
Die Postkartenidylle am Tegernsee hatte von außen keinen Schaden genommen, aber es war doch ein fragiles Idyll.
Fragil dahingehend, dass Hunger herrschte, auch bei den Manns.
Katia Mann hat sich gerade in den Jahren des Ersten Weltkriegs als wahre Heldin erwiesen: Diese „Prinzessin“ aus einem der reichsten Häuser Bayerns ist mit dem Fahrrad die Märkte abgefahren, um etwas zu essen zu besorgen, auch am Tegernsee. Da war sie sich nicht zu schade dafür. Golo Mann sagt, da habe auch die eine oder andere Goldmünze den Besitzer gewechselt. Ohne Schwarzmarkt ging es nicht.
Als Münchnerin hatten Sie es nicht weit, um vor Ort zu recherchieren. Existiert das Haus, das die Manns gemietet hatten, noch?
Nein, dort steht heute eine neue Villa, die ich besuchen durfte.
Wie kommt man in Kontakt mit Menschen, die ein solch exklusives Stück Land mit direktem Zugang zum See haben?
Ein Teil des Grundstücks direkt am Kiesstrand gehört heute der Gemeinde und ist öffentlich zugänglich. Da war ich ab und zu baden, weil ich natürlich wissen wollte: Wie wirkt der See an einem Juli-Morgen? Wie an einem Augustabend nach einem Gewitter? Oder wie ist es denn da, wenn es mal richtig kalt ist? Da steigen weiße, dunstige Schwaden auf, weil der See wärmer ist als die Außentemperatur. Denn in Oberbayern kann es ganz schön kalt werden im Sommer.
Eines Tages sah ich einen Gärtner vorfahren und habe ihn angesprochen. Er nahm mich mit aufs Grundstück und stellte mich der Besitzerin vor. Die sehr nette alte Dame erlaubte mir, dass ich mich umschaue, und erzählte mir die Geschichte des Hauses. Ich habe ihr dann anderntags meine anderen Bücher geschickt, damit sie nicht Angst hat, dass sich eine ganz besonders raffinierte Diebesbande Zutritt verschafft habe. Leider ist sie gestorben, bevor mein Buch erschienen ist.