Zum 250. Geburtstag von Jane Austen erscheinen erstmals alle ihre Briefe auf Deutsch – und zeigen eine ganz andere Seite der Autorin. Statt zurückhaltend war sie scharfzüngig und bissig.
Vor 250 Jahren geborenVon wegen brave Pfarrerstochter – Jane Austens bissige Briefe überraschen

Ein Schild verweist auf Jane Austen's House in Chawton, Hampshire in Großbritannien.
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Von wegen brave Pfarrerstochter! „Wenn Miss Pearson mit uns kommt, hütet Euch davor, zu viel Schönheit zu erwarten.“ Autsch! Genauso wie: „Miss Fletcher und ich sind dicke Freundinnen, allerdings bin ich die dünnere von uns beiden.“ Keine Geringere als Jane Austen hat hier mit scharfer Feder wohl dosiert Gift verspritzt. Wenn jetzt, pünktlich zu ihrem 250. Geburtstag am 16. Dezember im Band „Liebste Freundin!“ erstmals ihre sämtlichen Briefe in deutscher Übersetzung vorliegen, lernt man die englische Autorin noch einmal von einer Reihe anderer Seiten kennen.
Unverheiratete Tanten
Natürlich weiß man aus ihren Büchern, dass sie eine genaue Beobachterin war und einer Heldin wie Elizabeth Bennet in „Stolz und Vorurteil“ erlaubte, sich gegen Höherstehende verbal zur Wehr zu setzen oder sich zusammen mit ihrem Vater über den gespreizt agierenden Mr. Collins lustig zu machen. Doch nicht einmal die oft über die Stränge schlagende Titelheldin des Romans „Emma“ ist so bissig wie die Verfasserin selbst in ihren Briefen an ihre Schwester Cassandra.
So schreibt Austen etwa, eine Bekannte „entpuppt sich als all das, was sich Nachbarn wünschen können: Sie ist dumm, mürrisch und überspannt.“ Ganz schön makaber wird sie an anderer Stelle: „Mrs. Hall aus Sherborne hatte gestern einige Wochen vor dem errechneten Termin eine Totgeburt infolge jähen Erschreckens. Wahrscheinlich hat sie versehentlich ihren Ehemann angeschaut.“
Weder Jane noch Cassandra heiraten, Erstere löst eine Verlobung nach einer Nacht Bedenkzeit wieder auf, Letztere ereilt das tragische Schicksal, dass ihr Verlobter auf hoher See ums Leben kommt. Und so leben die beiden bei ihren Eltern oder wechselweise bei den zahlreichen Brüdern und deren Familien. Zwei unverheiratete Tanten sind stets willkommen, um sich um die zahlreichen Nichten und Neffen zu kümmern. Sehr oft also ist das Schwesternpaar, das sich sehr nahe steht, voneinander getrennt, Briefe sind die einzige Möglichkeit des Austausches.
Im fast atemlosen Stakkato werden Namen, Orte und Ereignisse heruntergerattert Hintergrundinformationen setzt die eine Schwester bei der anderen voraus (Lücken schließt das Herausgeberduo Beatrix Hesse und Horst Lauinger zum Teil via Fußnoten). Es ist der Small-Talk der Regency-Ära, die Themen kennen wir aus Austens Büchern: Wer hat zum morgendlichen Besuch hereingeschaut? Oder bei wem war man zuletzt zum Essen eingeladen? Und wer könnte wen heiraten? Aber auch: Ist es in Ordnung, wenn ich mir deinen Hut ausleihe?
Diskussion über die Sommerfrische
Man liest von stationierten Offizieren und denkt an die zwei Fünftel der Bennet-Töchter, die das im Nachbarort verweilende Heer fast um den Verstand und im Fall von Lydia sogar fast um die Ehre gebracht hat. Oder man schaut sich Jane Austens Spekulationen darüber an, wen Cassandra auf dem letzten Ball getroffen haben könnten, und wird an Mrs. Smith erinnert, die Anne Elliot in „Überredung“ mit ähnlichen Fragen nach dem Publikum eines Konzertes bombardiert. In diesem Buch diskutieren die älteren Töchter der Familie Musgroove auch mit ihren Eltern, in welcher Straße von Bath sie in der Sommerfrische auf keinen Fall wohnen möchten.
Ein viel ausführlicheres Für und Wider wird bei den Austens abgewogen, als der Vater beschließt, seine Pfarrei an den ältesten Sohn abzugeben und Frau und Töchter in den Kurort zu verfrachten. Jane Austen wurde immer schon attestiert, dass sie genau wusste, worüber sie schreibt: In all ihren Büchern hat sie sich dem Umfeld gewidmet, in dem sie selbst lebte in den Briefen findet sich der Beweis schwarz auf weiß. Und was sie nicht wusste, hat sie recherchiert, respektive sich auch von Cassandra dabei helfen lassen.
Ob Hecken für die Landschaft von Northamptonshire typisch seien, fragt sie etwa im Hinblick auf den Schauplatz für „Mansfield Park“ nachdem sie sich im selben Brief für die Information zum Zeitraum einer Ordination bedankt: So konnte sie die Länge der Abwesenheit von Edmund Bertram kalkulieren, nach der dieser als frischgebackener Pfarrer in sein Elternhaus Mansfield Park zurückkehren könnte. Man weiß zwar, dass die Familie Austen keine Reichtümer besaß, vor allem nach dem Tod des Vaters waren Mutter Austen, Jane und Cassandra auf die Güte ihrer Brüder angewiesen ganz so wie auch Mrs. Dashwood und ihre Töchter in „Verstand und Gefühl“.
Finanzielles Klein-Klein
Und beide Trios wohnen schließlich in kleinen Cottages, die ihnen Verwandte zur Verfügung stellen (bei den Austens ein Bruder, bei den Dashwoods ein Cousin der Mutter). Doch im schriftlichen Austausch machen sich Jane und Cassandra auch Gedanken über das finanzielle Klein-Klein. Kann man es sich leisten, Mitglied einer Leihbücherei zu werden? Obwohl ihre Bücher schon zu ihren Lebzeiten relativ erfolgreich waren, vom Schreiben leben konnte Jane Austen nicht. Sehr schön sind die Passagen, in denen der Stolz über ihre Bücher durchscheint. Als sie das erste gedruckte Exemplar von „Stolz und Vorurteil“ in den Händen hält, nennt sie es „ihr geliebtes Kind“.
Und Elizabeth Bennet sei „das reizendste Geschöpf, das je in Druck gegangen ist“. Dennoch bleibt sie dem Buch gegenüber selbstkritisch, es sei „zu heiter & hell & funkelnd, es fehlt an Schatten“. Man müsse etwas einfügen, das mit der Erzählung nichts zu tun habe, „ein Essay über Schriftstellerei, eine Kritik an Walter Scott, eine Geschichte Napoleons oder irgendetwas, das für Kontrast sorgt“. Mit Verlaub, Ms. Austen, hier liegen Sie falsch!
Jane Austen. Liebste Freundin! Sämtliche Briefe. Deutsch von Andrea Ott. Manesse Verlag, 512 S., 45 Euro.
