Der neue Roman von T. C. BoyleKann die Klimakatastrophe komisch sein?

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T.C. Boyle Foto

T.C. Boyle

Mit Blue Skies erscheint jetzt der 19. Roman des US-Autors T.C. Boyle. 

Bloß nicht die Petersilie vergessen! Denn Ottilie will alles richtig machen. Auf Drängen ihres Sohns Cooper experimentiert sie in der Küche mit Insekten und Mehlwürmern. Die Petersilie neutralisiere, das hat Ottilie gelernt, die sogenannte „Grillenfahne“.

Willkommen bei den Cullens, den Heldinnen und Helden von T.C. Boyles neuem Roman „Blue Skies“, der heute erscheint und in dem der US-amerikanische Erfolgsautor („Wassermusik“) sich einmal mehr dem Thema Umwelt widmet.

Cooper „nervt“ die Familie schon seit Teenagerzeiten mit düsteren Bildern von der Zukunft des Planeten, die er in den schrecklichsten Farben malt. Mittlerweile ist er Schmetterlingsforscher, und nach und nach verwandeln sich seine Prophezeiungen in eiskalte Realität – was im Fall von Kalifornien Tagestemperaturen von 40 bis 50 Grad bedeutet.

Denen fallen irgendwann auch die Insekten zum Opfer, sogar die Zecken, mit denen sich Coopers Freundin Mari beschäftigt. „Es war kein Regen vorhergesagt. Es würde vielleicht nie mehr Regen vorhergesagt.“

Leider brauchte man gar keine Fliegengitter mehr, nicht mal nachts. Keine Motten, keine Käfer – sie schienen allesamt einfach verschwunden zu sein. Und nie- mand wusste, ob eine statistische Delle oder ein Populationszyklus oder aber etwas weit Schlimmeres dafür verantwortlich war. Es gab nicht mal mehr Moskitos, dafür hatte die anhaltende Dürre gesorgt.
aus „Blue Skies“

Nicht so am diagonal anderen Ende des Landes. In Florida lebt Coopers Schwester Catherine, genannt Cat. Eigentlich läuft alles ganz prima: Sie wohnt mit Yuppie-Ehemann Todd, seines Zeichens Markenbotschafter für Bacardi, im Strandhaus, das er von seiner Mutter geerbt hat. Cat träumt davon, als Influencerin erfolgreich zu werden, ein Königspython soll als Alleinstellungsmerkmal her. Die Klickzahlen steigen, als sich zum Reptil Cats Babybauch gesellt.

Derweil machen Wassermassen von oben und vom Ozean her das hippe Leben zwischen Instagram und Werbepartys zur Prüfung: „Der Himmel war aus Metall. Das Meer zog ihn herab und verschluckte ihn.“

Und während es hier plätschert und dort vor sich hin dörrt, setzt T.C. Boyle die Katastrophenmaschine in Gang – und die Leserschaft wird sich zweiteilen. Zum einen kann man das als großes Drama konsumieren, in dem die Schrecken der Natur ins Privateste Einzug halten. Oder, wie Boyle selber auf seiner Homepage beschreibt, als „grimmige“ Satire.

Die Geschichte marschiert munter auf dem Grat zwischen Slapstick und Sensenmann, in guter alter Screwball-Manier löst eine Katastrophe die nächste aus – und man muss sich selber immer mal wieder moralisch zurechtrücken, denn die Ereignisse sind für die Betroffenen nicht wirklich komisch.

„Die Natur schlägt zurück“, sagte Cooper. „Das ist es, was passiert. In meinem Fall wortwörtlich.“
aus „Blue Skies“

Etwa wenn Cats Onlinekarriere schlagartig endet, als sie herausfinden muss, dass man zwei Babys und eine Würgeschlange besser nicht unbeaufsichtigt lässt. Oder Coopers handfeste Erkenntnis, dass er zwar gegen Bienenstiche, nicht aber gegen Zeckenbisse immun ist. Doch Boyle ist es – berechtigterweise – bierernst mit seinem extrem temporeichen Plädoyer für Klimaschutz.

Und schneller als man denkt, macht er nicht nur Schluss mit lustig, sondern auch Schluss mit unbegrenztem Wasser oder mit Nahrungsmitteln ohne Ende. Und Strom kommt plötzlich nicht mehr einfach nur aus der Steckdose. Was im globalen Süden seit langem auf der Tagesordnung steht, verordnet Boyle in diesem Science Fiction light den US-Amerikanern – und dem Rest der Welt.

Die eine Hälfte der Welt stand unter Wasser, die andere war ausgedörrt, und es gab eine Missernte nach der anderen. Menschen hungerten, sogar hier in Kalifornien. Überall waren Flüchtlinge. Der Wein schmeckte nach Asche.
aus „Blues Skies“

Im Kino- oder zumindest Streamingformat entwirft der 74-Jährige eine Szene nach der anderen, die sich auszeichnet durch die Absurdität der Geschehnisse oder die noch absurderen Reaktionen der Protagonisten. Da weigert sich die kapriziöse Frau vom Sterne-Catering beim Stromausfall auf Cats und Todds Hochzeit, die Gäste zu bewirten. Ottilie muss sich auf dem Weg zu ihrer hochschwangeren Tochter mit dem Auto über eine Straße kämpfen, die von Fischen überflutet worden ist. Und während in Kalifornien Robo-Bienen das Bestäuben von Pflanzen übernommen haben, setzen quicklebendige Termiten an Cats Strandhaus eine krabbelnde Abrissbirne an.

Das kuschelweiche Ende schließlich könnte man als Fantasie eines Softies abtun – aber vielleicht ist es auch nur der Cliffhanger für eine Fortsetzung, in der alles noch viel schlimmer wird und es auch keine Petersilie mehr gibt.

Lesung in Altenberg

T.C. Boyle, Blue Skies. Roman, Deutsch von Dirk van Gunsteren, Carl Hanser Verlag, 400 S. 28 Euro.

Normalerweise ist T.C. Boyle Stammgast der lit.Cologne. Doch sein neues Buch wird er in Altenberg präsentieren. Im Schatten des dortigen Doms hat sich in den letzten Jahren ein von Denis Scheck und Karin Graf kuratiertes Festival etabliert. Boyle liest dort am 17.6. (20 Uhr) aus „Blue Skies“ und am 18.6. (12 Uhr) aus „Sind wir nicht Menschen“.

Ebenfalls zum Festival kommen Dinçer Güçyeter, Angela Steidele, Karen Duve, Harald Schmidt, Kirsten Boie und Adriana Altaras. Die Eröffnungsveranstaltung bestreitet Jürgen Becker. Informationen zu Terminen unter Tickets unter literatur-am-dom.de

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