Die Guten auf die Ohren, die Schlechten ignorieren: In jedem Jahr ist das weihnachtliche Musikangebot üppig. Axel Hill hat sich durch den 2022-Stapel gearbeitet und weiß, was die Stimmung hebt und was zum Verwandtschaft-Vergraulen taugt.
Die neuen WeihnachtsalbenMit Satchmo und Sarah unterm Weihnachtsbaum – Tipps der Redaktion

Louis Armstrong ist am diesjährigen musikalischen Weihnachtsgeschäft beteiligt.
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Sarah Connor geht ohne Frage in Sachen Erfolg in diesem Jahr als Siegerin aus der weihnachtlichen Hörergunst hervor, ihr „Not So Silent Night“ (Polydor/Universal) stieg direkt auf Platz 1 der Verkaufscharts ein.
Aber man muss es einfach sagen: zu Recht! Während sie auf „Christmas In My Heart“, ihrem ersten Weihnachtsalbum, noch angestrengt die Soulröhre rotieren ließ, hat sie 17 Jahre später gelernt, ihre Stimme variabler einzusetzen. Der Lernprozess, befördert durch die beiden deutschen Alben, kommt auch bei diesen neuen englischen Songs zum Tragen. Dabei decken die Eigenkompostionen ein breites Spektrum ab: von kuscheligen Balladen („Quiet white“) oder dem krachenden Titelstück bis hin zu Swingendem („Jolly time of the year“) zeigt Connor, was für eine souveräne Interpretin sie geworden ist.
Zwischen Soul, Jazz und R’n’B suchten schon die ersten Alben von Alicia Keys ihren Bestimmungsort. Mit „Santa Baby“ (Alicia Keys Records/H'Art) kehrt sie nun zu diesem Ausgangspunkt zurück. Fast fragend interpretiert sie den Jazzklassiker „Christmas time is here“, erlaubt sich poppige Motown-Momente („December back 2 June“) und baut mit dem Blues „Please come home for Christmas“ den benötigten Druck auf – um aber auf Strecke das Fest der Feste mit einem sehr entspannten Soundtrack zu versorgen.
Als weiße Soulsirene wurde Joss Stone mit ihrem ersten Album 2003 bekannt. Knapp 20 Jahre erscheint nun „Merry Christmas, Love“ (Universal) – eine Sammlung sattsam bekannter Lieder von „Let it snow“ bis „Silent night“. Eine schöne Platte, ohne Ausreißer nach oben oder unten, die man gerne am Stück hört, ohne sich anschließend an bestimmte Nummern zu erinnern.
Louis Armstrong hat, anders als Kollegen wie Ella Fitzgerald oder Frank Sinatra, zu Lebzeiten nie ein Weihnachtsalbum herausgebracht. „Louis Wishes You A cool Yule“ (Verve) versammelt nun erstmalig die jahreszeitlichen Songs wie „’Zat you, Santa Claus?“ oder „Winter wonderland“, die Satchmo aufgenommen hat. Und so hört man einen Mann, der nicht nur ein begnadeter Musiker war, sondern auch über eine Stimme verfügte, die wie ein strahlendes Lächeln klang.
Mit ihrem irisch angehauchtem Pop war die Band The Corrs vor gut 20 Jahren sehr erfolgreich. Jetzt probiert es Sängerin Andrea Corr auf der weihnachtlichen Schiene. „The Christmas Album“ (East West) gerät zwar makel-, aber dermaßen harmlos, dass man fast das Wort uninspiriert verwenden möchte.
Ziemlich irisch klingt es von je her bei der Kanadierin Loreena McKennitt, die zur eigenen Harfenbegleitung mit einer Stimme singt, die an Enya und Co. erinnert. Ihr Live-Doppel-Album „Under A Winter’s Moon“ (Quinlan Road/Tonpool) fängt diese besinnliche Stimmung wunderbar ein.
Boyband-Charme versuchen die Backstreet Boys auch im gereiften Alter zu versprühen. Und was live mit den alten Hits und einer Portion Selbstironie noch prima funktioniert, reißt auf „A Very Backstreet Xmas“ (Warner) nicht vom Hocker. Brave Arrangements altbekannter Songs treffen auf Stimmen, die nicht lange im Ohr bleiben. Hier fehlen einfach die herausragenden Sänger vom Schlage eines Ronan Keating oder Gary Barlow, mit denen die britische Konkurrenz schon in den 90ern vokal an den US-Jungs vorbeizog.
Ende der 80er hatte Debbie Gibson mit nicht einmal 20 in den USA eine Hand voll von Hits. Während ihre Pop-Karriere vor sich hin dümpelte, spielte sie sehr erfolgreich in Musicals mit. Nach ihrem Comeback-Album „The Body Remembers“ 2021 folgt nun „Winterlicious“ (Stargirl/H’Art). Gut, ihre leicht krähende Stimme ist sicher nicht uneingeschränkt zustimmungsfähig. Aber die 52-Jährige geht das Projekt mit sehr viel Schmackes und Liebe zum Detail an. Hier wurde nicht schnell was zusammengehauen, sondern mit Bedacht vorgegangen. Neue Songs („I wish every day was Christmas“) treffen auf interessante Arrangements (das orientalisch angehauchte „God rest ye merry gentlemen“). Und „Heartbreak holiday“, das Duett Joey McIntyre von New Kids on the Block, hat das Zeug, auch in den nächsten Jahren immer wieder aufgelegt zu werden.
Klassik-Stars machen bisweilen den Fehler, sich bei Weihnachtsalben an die breite Masse ranwanzen zu wollen, um dann mit Crossover-Unsinn gehörig baden zu gehen. Nicht so Diana Damrau! Auf „My Christmas“ (Erato/Warner Classics“) widmet sie eine CD bekannten, vornehmlich deutschen Weihnachtsliedern, die andere versammelt Bach, Händel, Mozart oder Franck.
Auch der Choir of King’s College aus Cambridge konzentriert sich mit „Carols“ (Warner Classics) auf sein Kerngeschäft und singt 15 klassische Weihnachtslieder, meist englischen Ursprungs. Beseelt, andächtig, gottesdiensttauglich, eine große Ruhe ausströmend.
Tenor Andrea Boccelli holt sich für „A Bocelli Familiy Christmas“ (Capitol/Decca) Unterstützung von seinem erwachsenen Sohn Matteo und seiner elfjährigen Tochter Virginia. Die hat er auch nötig, denn zarter Schmelz wird höchstens durch die zuckrigen Arrangements verbreitet.
Wer wie die A-capella-Band Pentatonix schon so viele Weihnachtsplatten herausgebracht hat, muss sich für den sechsten Wurf etwas komplett Neues ausdenken. Für „Holidays Around The World“ (RCA/Sony) haben sie sich Kolleginnen und Kollegen aus verschiedenen Ecken der Welt geholt. So kommt „Hark! The herald angels sing“ plötzlich mit arabischen Strophen daher, „It’s the most wonderful time of the year“ wird mit afrikanischen Percussions aufgemotzt. Und zusammen mit den King’s Singers wird „Silent night“ veredelt.
Walzer-König André Rieu ist ebenfalls kein Neuling im Weihnachtsgeschäft. Und wenn er den Taktstock nicht allzu sehr im 3/4-Takt schwingt, klingen seine „Silver Bells“ (Universal) nach wohlig temperierter Filmmusik und verbreiten friedliche Stimmung – nicht nur am festlich gedeckten Esstisch.
82 Lenze zählt Cliff Richard seit dem 14. Oktober – eine Zahl, die nicht davon abhalten sollte zu singen, auch wenn die Stimme nicht mehr alles mitmacht. Aber man hätte ihm auf „Christmas With Cliff“ eine musikalische Begleitung gewünscht, die etwas mehr „bio“ und weniger wie aus der Konserve klingt. Allein das Keyboard auf „Jingle Bell Rock“ scheint aus der Alleinunterhalter-Hölle entliehen zu sein.
Schlager pur bietet die Band Wind auf „Winterzauber“(More Music/Edel), aber leider nicht der besseren, raffinierteren Art. Im Ergebnis ein winterliches Einerlei, weit entfernt von der Qualität der Lieder, mit denen sie einst Deutschland beim Song Contest erfolgreich vertreten haben.
Bei der Kelly Family gilt nach wie vor: lieben oder lassen. Die Fans werden also ihre „Christmas Party“ (Universal) feiern, alle anderen schicken besser stante pede eine Absage.