„Die Troerinnen“ am Schauspiel KölnWarum für Frauen der Krieg nach der Schlacht nicht vorbei ist

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Sehr beeindruckende Darstellerinnen (v.l.): Birgit Walter, Lara Louise van Meurs (in der Premiere durch Monika Oschek ersetzt), Alina Heipe, Paulina Alpen, Yvon Jansen und Lola Klamroth.

Sehr beeindruckende Darstellerinnen (v.l.): Birgit Walter, Lara Louise van Meurs (in der Premiere durch Monika Oschek ersetzt), Alina Heipe, Paulina Alpen, Yvon Jansen und Lola Klamroth.

Das Stück erzählt vom Schicksal der „Troerinnen“, nachdem die Griechen ihre Stadt eingenommen haben. Regisseurin Lucia Bihler setzt auf starke Bilder und Emotionen.

Vor bald 4500 Jahren erzählte Euripides als erster die Geschichte der „Troerinnen“, die die zehnjährige Belagerung Trojas und den schließlichen Überfall durch die Griechen überlebten, um dann von den Siegern wie Beute untereinander aufgeteilt zu werden.

Ein klassischer Stoff, den im 20. Jahrhunderts Autoren von Franz Werfel über Jean-Paul Sartre bis Walter Jens mehrfach verarbeiteten.

Nun hat Lucia Bihler das Stück auf die große Bühne des Depot 1 gebracht, und man mag dabei an die Ukraine denken oder jeden anderen verdammten Krieg auf der Welt. Denn eines haben sie allesamt gemeinsam: Frauen sind nicht die Akteurinnen, sondern tragen anschließend das Leid.

Lucia Bihler teilt das Publikum in zwei Gruppen: Die erste darf zunächst die Bühne erkunden, die zweite sitzt in den Zuschauerreihen und lauscht über Kopfhörer der Klage der Kassandra. Nach einer halben Stunde wird getauscht. Den dritten Teil erleben beide Gruppe gemeinsam von der Tribüne aus.

„Die Troerinnen“: Ensemble bewegt sich geisterhaft durch die Kulisse

Und so wandelt man zunächst durch fünf von Wolfgang Menardi gestaltete Räume: Wohn- und Schlafzimmer, Küche und Bad gruppieren sich um ein Atrium, das von einem großen Wasserbecken beherrscht wird.

Alles sieht aus, als seien die Bewohner Hals über Kopf aus ihrem Heim geflüchtet. Auf einem Tisch stehen noch die Reste eines Frühstücks, eine Schachpartie wurde nicht zu Ende geführt, hier läuft das Radio, dort der Fernseher.

Das ganz in weiß gekleidete Ensemble (Kostüme: Ran Chai Bar-Zvi) bewegt sich fast geisterhaft durch die Kulisse, zurückhaltend nimmt es Kontakt auf zu den Zuschauenden, ohne dass das Ganze in albernes oder gar unangenehmes Mitmachtheater ausartet.

So schlendert man mal hierhin, mal dorthin, schnappt das eine oder andere auf. Helena und Paris backen und verteilen Brot. Andromache legt den Stammhalter Astyanax schlafen. Eine Mutter liest ihren Söhnen am Esstisch die Leviten. Aber man muss nicht genau verstehen, wer hier wer ist und kann sich einfach durch die von sphärischen Klängen untermalte Szenerie treiben lassen.

Teil zwei gehört Kassandra, die auf der Vorderbühne von ihren Vision der Greueltaten der Griechen nach dem Fall Trojas berichtet – schonungslos, bisweilen kaum zu ertragen. „Du weißt, dass ich die Wahrheit sage, doch du glaubst mir nicht, das ist mein Fluch!“, beschwört sie die Adressaten. „Die Waage der Gerechtigkeit ist ausgehebelt, wir Troerinnen haben kein Gesicht.“

Im dritten Teil fallen im wahrsten Sinne des Wortes die Mauern: Die als Raumteiler dienenden Planen rauschen effektvoll zu Boden.

„Die Troerinnen“: Männer sind nur Statisten

Während die Männer (dargestellt von Statisten) am Boden liegen bleiben, erheben sich die (mittlerweile in rot gekleideten Frauen nach und nach. Nach der Niederlage bleibt ihnen nun, die Trümmer beiseite zu räumen, zu retten, was zu retten ist und ihre Ehemänner, Väter und Brüder zu bestatten. Worte werden hier nicht viele gemacht, in dieser Situation gibt es nichts mehr zu sagen.

Doch damit ist es nicht getan: „Wir triumphieren, und ihr Frauen seid die Trophäen mit Haut und Haar“, schallt es im Kasernenhofton aus Lautsprechern. Die sechs Frauen reagieren zum Teil mit Verzweiflung, versuchen gleichzeitig, diejenigen unter ihnen, die sich den Eroberern an den Hals werfen wollen, vor dem Schlimmsten zu bewahren. Solidarität als die einzig verfügbare Macht. Allein, die Würfel haben andere geworfen. 

Doch man weiß, wie es bei den alten Griechen nach Troja weiterging: Praktisch keiner von ihnen wurde mit der Beute glücklich. Lucia Bihler lässt ihre Darstellerinnen Zombies oder anderen Wiedergängerinnen gleich ihre Wut und ihre Rachegedanken gen Publikum zischen. Und die Lichter auf der Bühne verlöschen.


Großer Applaus für einen Premierenabend mit starken Bildern, einfachen, aber ungemein effektvoll eingesetzten Mitteln und einem intensiv agierenden Frauen-Sextett: Birgit Walter, Yvon Jansen, Lola Klamroth, Paulina Alpen, Alina Heipe und Monika Oschek.

130 Minuten (ohne Pause), erneut: 9. bis 11.5., 20./21.5., 3./4.6., sowie 9. und 22.6., jeweils 19.30 Uhr. Karten-Tel.: 0221/ 221 284 00.

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