„Elektrokölsch! Elektrokölsch!“Die Ärzte begeistern im ausverkauften Stadion in Köln

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Einer von dreien: Ärzte-Schlagzeuger Bela B.

Einer von dreien: Ärzte-Schlagzeuger Bela B.

Köln – „Wie viele Konzerte habt ihr dieses Jahr gesehen?“, fragt Farin Urlaub (58), „eins, zwei, drei – keins?“ Und verspricht: „Das machen wir alles wieder gut.“ 38 Stücke und 160 Minuten später steht fest: Das waren keine leeren Worte. Was all diejenigen bestätigen können, die im ausverkauften RheinEnergieStadion dabei waren.

Fast aufgelöst

Dafür, dass sich die Ärzte eigentlich Ende der 80er Jahre auflösen wollten, haben sie sich ganz schön lang gehalten. Damals brachen die Plattenverkäufe ein, nachdem einige ihrer Lieder auf den Index gekommen waren. Ab 1993 schafften es sieben ihrer Alben auf Platz 1 der deutschen Charts. (EB)

Nach Hannover ist Köln die zweite Station der „Buffalo Bill in Rom“-Tour. Darüber, was der Titel uns sagen will, kann man spekulieren. Die Innenraum-Tickets zeigen einen Gladiator mit wehendem Umhang, schwarzem Balken über den Augen und Kippe im Mund. Der Marlboro Mann, als Erzgestalt des Wilden Westens, ist an Lungenkrebs gestorben, und Russell Crowe, die Erzgestalt des Gladiators, brachte immer wieder die Anti-Raucher-Lobby durch öffentlichen Nikotingenuss gegen sich auf. Aber: Ist das wichtig?

„Endlich wieder schwitzen, klatschen, jubeln und die Gegenwart kritisch hinterfragender Texte mitsingen! Endlich wieder ein bisschen taub, ein bisschen stinkend, ein bisschen staubig und erschöpft, aber rundum glücklich mit Gleichgesinnten das Leben aka die Beste Band der Welt genießen.“ Diese Sehnsüchte, im Vorfeld der Tour so beschrieben, erfüllt zu sehen – das ist wichtig. Zehntausende sind Samstagabend im Epizentrum des Glücks.

„Wir sind heute Abend in der schönsten Stadt der Welt!“

Da bedarf es auch gar nicht der Versicherung: „Wir sind heute Abend in der schönsten Stadt der Welt!“ Die dann auch gleich wieder relativiert wird: „Ich weiß, dass Menschen aus Wuppertal hier sind und aus Porrrrz – jetzt schleimen wir uns durch alle Stadtteile hier.“ Solche Ansagen wie diese im lang vermissten Schnodderton zu hören, tut genauso gut wie der Blick in den Innenraum. Wo die Fans rasendschnelle Kreisel bilden, sich auf Händen über die Köpfe hinweg tragen lassen oder hoch auf den Schultern eines starken Mannes oder einer starken Frau neue Rekorde im Headbanging aufstellen. Becher und klatschnasse T-Shirts fliegen durch die Luft, die La-Ola-Wellen rollen. Alle, jede und jeder und jedes noch so kleine Mädchen in Elternbegleitung, ist in Bewegung.

Und der Blick auf die Bühne, Farin Urlaub und Rodrigo González in Schwarz, Bela B im „Hell“ und „Dunkel“-Design der beiden letzten Alben, entschädigt sowieso für alles. Was „Himmelblau“ beginnt und mit „gute Nacht“ endet, lässt keinen Zweifel daran, wer hier die Besten sind. Die Setliste reicht quer durch die Zeit, von neuesten Stücken wie „Noise“ oder „Doof“ bis zurück in die 1980er („Zu spät“, „Du willst mich küssen“).

Leichte Abwandlungen sind durchaus möglich. Wie bei „Elektrobier“, mit Gelbwestengewandung in Kraftwerk-Pose am Bühnenrand inszeniert, das lokale Trinkgewohnheiten berücksichtigt: „Elektrokölsch! Elektrokölsch!“ Darüber, was Die Ärzte in der Stadt mit D singen würden, wären sie dort zu Gast, braucht man nicht lange nachzudenken.

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Noch immer sind sie schnell und laut und gut bei Laune. Obschon inzwischen jenseits der 50, so wie ihre Fans der ersten Stunden. Die aber Kinder und Kindeskinder beizeiten ärztlich bestens versorgt haben. Was eindeutig von Vorteil ist. Wer nicht jedes Stück kennt, hat Mühe, die Texte zu verstehen. Im brachial scheppernden Sound versuppt der Sinn bis hin zur völligen Rätselhaftigkeit.

„Ist das jetzt noch Punkrock?“ Auch wenn es nicht mehr drei Stunden dauert? Unbestritten ist es aber: Party. Bei der auch die kritischen Töne nicht fehlen. „Es ist nicht leicht, ein Lied gegen die braune Pest, gegen die rechten Arschlöcher zu schreiben“, sagt Bela B im Zugabenteil.

Die Ärzte haben es getan. 1993. Aber auch 2022, um 22.18 Uhr, an einem Sommerabend im RheinEnergie-Stadion ist „Schrei nach Liebe“ genauso aktuell wie damals. Wenn hier Zehntausende „Arschloch!“ brüllen, dann tun sie das, was auch Die Ärzte tun. Flagge zeigen.

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