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Ewige Jugend, stürmische SündenKölner Schauspiel frei nach Oscar Wildes Bestseller

3 min

Das Stück „Love Me More“ zeigt die Folgen von Narzissmus und Schönheitskult.

Köln – Es geht um Körperkult. Soviel ist von Anfang an klar. Angesichts der 18 roten Sandsäcke, die im Dämmerlicht von der Decke hängen. Für die man Muße hat, ehe das Spiel beginnt, diese ausgiebig zu betrachten. Sie wirken bizarr, auch ein wenig gruselig. Sie verheißen Schwingung, Dynamik, Bewegung. Und an all dem wird in den nächsten 90 Minuten für wahr kein Mangel herrschen. In der Uraufführung „Love Me More“.

Regisseurin Saar Magal, geboren in Israel, ist eine Grenzgängerin. In ihren Performances verknüpft sie Tanz, Schauspiel und Musik mit Videokunst und Theater. „Love Me More“ ist ihre erste Inszenierung am Schauspiel Köln.

Es geht um Schönheit. Neun Protagonistinnen und Protagonisten und solche, deren Geschlechter changieren, teils aus dem darstellerischen, teils aus dem tänzerischen Bereich, schlüpfen in Rollen, Rollenklischees, präsentieren Normvorgaben und negieren sie wieder. Großes Kino.

Amoralisches Bekenntnis für das übersteigerte „Ich“

Machen neun Roben aus rotem Samt alle neun gleich? Gleich glamourös – bei sichtbar unterschiedlicher Körperform? Der Gipfel der Konformität? Oder der Beginn eines Bekenntnisses zur Individualisierung? Magal entfacht einen Rausch der Bilder. In dem man sich verlieren könnte. Kunst für alle Sinne – auch ohne explizit den „Dorian Gray“ als Vorlage für dieses Crossover-Projekt zu kennen.

Auf einen Blick

Das Stück: Schönheit, Körperkult und Hedonismus, frei nach Oscar Wilde, dynamisch und sinnenstark inszeniert.

Die Regie: Saar Magal entfacht in ihrem Crossover-Projekt einen Rausch der Bilder im Zeitalter der Handy-Selfieness.

Das Ensemble: Großes Kino von neun Darstellerinnen und Darstellern und solchen, deren Geschlecht changiert. (sus)

www.schauspiel.koeln

„Ewige Jugend, unendliche Leidenschaft, erlesene und geheime Genüsse, stürmische Freuden und noch stürmischere Sünden – all dessen würde er teilhaftig sein“, lässt Oscar Wilde in seinem 1880 erschienenen Roman-Bestseller den Titelhelden frohlocken. „Genieße die Jugend – so lange du sie hast“, raunen neun Stimmen. Ein Echo jenes amoralischen Bekenntnisses, in dem nur das Ich zählt, das Spaß ohne Limit einfordert: „Ich zocke wie ein Verrückter. Ich saufe wie ein Irrer.“

Es geht um Hedonismus. Die Sandsäcke werden zu Bomben und Boomerangs, die die Bühnenhelden niederreißen. Später werden diese sich wie Lemminge in den Abgrund stürzen. No risk, no fun! „I need you to love me more, fill me up, fill me up, I need you to love me more“, singt die Singer-Songwriterin Mitski. Je mehr man geliebt wird, desto mehr ist man. Die Gefühle der anderen: Füllmasse.

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Selbstverliebtheiten. Am Leben der Darsteller orientiert: „Ich heiße Alexander, ich bin 32 Jahre alt. Ich bin schlank. Aber auch muskulös. Meine Muskeln sind gut definiert. Ich bin charismatisch. Ich bin androgyn. Mir steht Rot sehr gut. Mir stehen auch Kleider sehr gut. Und rote Kleider sehr, sehr gut.“ Oder aus Filmen abgeleitet: „My name is Bond. James Bond. What makes me beautiful, is Mystery.“ (Was mich schön macht, ist Geheimnis.)

Es geht um Optimierung und Käuflichkeit, Drogen und Designerkleidung, Sex und Selbstkasteiung. Das Laufband läuft ohne Unterlass, aus der Nase der Akrobatin läuft Blut. Bunte Zahlen- und Buchstabenreihen bilden die Matrix für dieses maximale Szenario der Selfieness. Großstadt-Cowpeople proben Coolness unterm weißen Stetson-Hut, Macherinnen und Macher in lila Seidenanzügen den Seelenstriptease. Auch reale Nacktheit, enthaart, tätowiert, gepierct, gehört dazu. Kein Tabu mehr. Wie Flüssigkeit schimmert die Folie auf dem Bühnenboden, wird zum Spiegel im Kabinett der Selbstbespiegelung. Narziss, der König der Selbstverliebten, ist ertrunken. Auch Magals sinnenstarke Inszenierung endet unter Wasser. Aber das hat etwas Befreites.

90 Minuten (ohne Pause). Wieder am 25., 26.10., 19.30 Uhr, 30.10., 16 Uhr, 3.11., 16 Uhr. Ticket-Tel.: 0221/221 28 400