Ex-Chef des RJM übt Kritik„Wissenschaft wird durch aktivistische Tendenz ausgebremst“

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Klaus Schneider, ehemaliger Leiter des Rautenstrauch-Joest-Museum

Köln – Während sich Ethnologinnen und Ethnologen  einig sind, was die Restitution während der Kolonialzeit geraubter Kulturgüter angeht, wird über die inhaltliche Neuausrichtung der betroffenen Museen kontrovers diskutiert. Im Gespräch mit Axel Hill erläutert der ehemalige Direktor des Kölner Rautenstrauch-Joest-Museums (RJM), Prof. Dr. Klaus Schneider, wie er die Debatte erlebt.

Sie sind seit dreieinhalb Jahren Rentner – aber einmal Ethnologe, immer Ethnologe?

Ja. Und ich wehre mich ganz vehement dagegen, wenn die ethnologischen Museen als Unrechtsinstitutionen angesehen werden und die Ethnologie als Unrechtswissenschaft.

Aber das Motto „Sprecht nicht über uns ohne uns!“ – also nicht über die Köpfe des Globalen Südens hinweg zu agieren – ist doch richtig!

Völlig! Es ist gut, Künstlerinnen und Künstler und von mir aus auch Aktivistinnen und Aktivisten aus dem Globalen Süden einzubeziehen. Aber es ist unwissenschaftlich. Es gibt etwa im RJM so viele hervorragende Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler, die durch die aktivistischen Tendenzen ausgebremst werden.

Zur Person

Von 1996 bis zu seiner Pensionierung 2018 arbeitete Klaus Schneider am Rautenstrauch-Joest-Museum (RJM), zunächst als Afrika-Kurator, ab 2000 als dessen Direktor. In seine Amtszeit fiel der Neubau am Neumarkt und der Umzug aus den Räumlichkeiten am Ubierring. Die jetzige Direktorin Nanette Snoep hatte er als seine Nachfolgerin vorgeschlagen. (EB)

Woran machen Sie das fest?

Die aktuelle Ausstellung „I Miss You“ ist sehr schön präsentiert. Das kommt den Benin-Objekten wirklich zugute. Aber Informationen zu den einzelnen Stücken finden sich nur auf kleinen Handzetteln, die vor dem Raum ausliegen – und sind extrem dürftig. Das ist für Besucher eine Zumutung – und in einem Museum zu wenig.

Die viel beachtete Sonderausstellung „Resist!“ beschäftigte sich mit dem Widerstand gegen die Kolonialherrschaft.

Ein gutes, sinnvolles Thema, die deutsche Kolonialzeit in allen Gebieten aufzuarbeiten, in denen das Land Kolonien hatte. Aber wie es dann gemacht wurde, war für mich eine ganz große Enttäuschung: Es war extrem einseitig dargestellt. Die Interpretation vieler Phänomene aus der Zeit heraus durch einzelne Künstlerinnen oder Künstler zu vollziehen, war mir einfach unzureichend. Denn in ganz vielen Fällen, die dort gebracht wurden, fehlte jeglicher historischer Zusammenhang. Als Besucher konnte man nicht verstehen, warum in manchem Gebiet bestimmte Dinge passiert sind.

Zum Beispiel?

Es ist nicht damit getan zu sagen, die Berliner Konferenz 1884, die Aufteilung Afrikas, war das Entscheidende für die weitere Verbreitung des deutschen Imperialismus. Die weitergehenden Zusammenhänge wurden in keiner Weise angesprochen.

Und es hat mich wirklich gestört, dass es so dargestellt wurde: Wir sind die Täter, die anderen sind die Opfer. Da fehlte mir jegliche wissenschaftliche Recherche zu Hintergründen, es fehlte jegliche Reflektion.

Aber es wurden auch neue Besucherschichten erschlossen.

Das stimmt. Immer wenn ich in der Ausstellung war, war ein sehr junges Publikum da. Das ist natürlich ein positiver Effekt. Meiner Meinung nach waren das Besucher, die ohne dieses Thema nicht ins RJM gekommen wären. Aber gerade, wenn ein solches jüngeres Publikum kommt, finde ich es nicht richtig, dass man es mit Informationen entlässt, die nur die halbe Wahrheit sind.

Welcher Aspekt fehlte für Sie?

Etwa wird in Bezug auf die Benin-Objekten immer davon gesprochen, es sei Raubkunst, im Rahmen einer Strafexpedition von den Engländern erbeutet. In Wirklichkeit war es eine Beschlagnahmung. Diese für das Verständnis der tatsächlichen Zusammenhänge extrem wichtige Vorgeschichte fehlt in den beiden Ausstellung.

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Benin war – und das schreiben auch viele nigerianische Historiker – als Blutland bekannt, nicht zuletzt wegen der zahllosen rituellen Menschenopfer. Davon waren hauptsächlich die Nachbarvölker betroffen. Denn das Königreich war seit dem 15. Jahrhundert einer der größten Sklavenhändler in Afrika. Was dazu führte, dass sie sehr wohlhabend wurden und ein Hofleben entstand – und eben auch diese Metallobjekte.

Woher glauben Sie generell kommt diese Ablehnung der Wissenschaft?

Ja, wenn ich das wüsste! Dass die Rede von Macron 2017 über Rückgabe etwas in Gang gesetzt hat, ist ja klar. Aber es hat auch dazu geführt, dass viele auf diesen Zug aufgesprungen sind. Und diese Diskussion ist gerade Mainstream. Doch in der Schweiz oder selbst in Großbritannien oder Frankreich wird das nicht so diskutiert wie hier.

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