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Viele Fäuste und kein HallelujaKay Voges' Blick auf Goethes Klassiker am Schauspiel Köln

4 min
Andreas Beck in „Faust“ am Schauspiel Köln.

Andreas Beck verkörpert den älteren Faust.

„Faust“ im Depot des Schauspiel Köln: Kay Voges will Goethes Klassiker mit Live-Fotografien neues Leben einhauchen.

 „Faust - das ist ein Klopper!“ bringt es Kay Voges gewohnt charmant-unverblümt auf den Punkt. Vom Wiener Volkstheater hat er seine Inszenierung von Goethes Klassiker aus dem Jahr 2022 nach Köln transferiert. Das bedeutet aber auch von einem „richtigen“ Theaterhaus in eine Interimsstätte, da sei kein einfaches Copy/Paste möglich gewesen, erzählt Voges vor der bejubelten Kölner Premiere im Depot 1.

Auf gut 130 Minuten hat er den „Klopper“ eingedampft, inhaltlicher Schwerpunkt liegt auf dem Pakt zwischen Mephisto und Faust über dessen Seele und auf der Verführung von Gretchen mit all ihren schrecklichen Konsequenzen (zur Erinnerung: Sie wird schwanger, tötet das Kind und wird hingerichtet).

Inspiriert durch ein Zitat

Lange habe er den „Faust“ machen wollen, so Voges, allein die richtige Idee fehlte. Die Zeile „Und Schlag auf Schlag werd' ich zum Augenblicke sagen: Verweile doch! du bist so schön!“ habe ihn darauf gebracht, „Faust“ und Fotografie zusammenzudenken. Und so entstand das Konzept, mit Live-Fotos des Fotografen Marcel Urlaub zu arbeiten, die mal das Geschehen auf der Bühne, mal die Aktionen in den verschiedenen Räumen eines Kubus auf eine überdimensionale Leinwand zu projizieren.

So wird aus Fausts Studierzimmer ein billiges amerikanisches Motel, in das sich Faust zurückgezogen hat und wo er sich zu einer Art Verschwörungstheoretiker mauserte: Auf eine Pinnwand sind diverse Zeitungsartikel und Fotos geheftet und wurden mit roten Fäden verbunden, das Ufo-Poster mit dem Spruch „I want to believe“ aus der Serie „Akte X“ prangt gleich mehrfach als Postkarte auf dem Tableau (Bühne: Michael Sieberock-Serafimowitsch).

Tanz zu Dolly Parton

Es tauchen Zimmermädchen in adretten rosa Uniformen auf, wenig später tanzt das Ensemble, mit Cowboyhüten ausstaffiert (Kostüme: Mona Ulrich), zu „Satan’s River“ von Dolly Parton und Porter Wagnoner. Hier wird die große Assoziationsmaschine angeworfen, einen Reim muss man sich nicht immer darauf machen (können). Warum spielt der Faust in den USA?

Kluger Schachzug: die quasi Dreiteilung des Faust, Andreas Beck als die ältere, Paul Grill als die nach dem Pakt verjüngte Figur sowie Frank Genser in einer stummen, auf den Fotos posierenden Variante. Im Finale gibt Uwe Schmieder die sterbende Titelfigur. Dazu gesellen sich mit verblüffend echt aussehenden Masken (Chapeau für die Abteilung!) ausgestattete weitere zahlreiche „Fäuste“. Auch die anderen beiden wichtigen Rollen sind mehrfach besetzt: Uwe Rohbeck, Lavinia Nowak, Frank Genser und Birgit Unterweger als Mephisto, Hasti Molavian, Anja Laïs, Unterweger und Nowak als Gretchen. Sie treten mal gleichzeitig, mal an unterschiedlichen Stellen auf.

Fotos live per W-Lan projiziert

Doch während der Faust in seinen diversen Inkarnationen einleuchtet, erschließt sich die Mehrfachbesetzung der anderen auf den ersten Blick nicht. Es bleibt ein weiterer Stein in diesem Mosaik aus Echtem und Vorgetäuschtem, aus Schnappschüssen und Doppelbelichtungen.

Das ist durchaus unterhaltsam, bleibt aber letztlich in einer Beliebigkeit stecken. Nur ein Gretchen, nur ein Mephisto hätten der Inszenierung nicht geschadet. Vielleicht wäre damit sogar eine stärkere Fokussierung einhergegangen. Und auch der Einsatz der live geschossenen und direkt per W-Lan auf die Projektionsflächen übertragenen Fotos ist wenig erhellend.

Charmante Ablenkung?

Denn statt Faust und Fotos zusammenzubringen, treten die Bilder in den Wettstreit mit Goethes Worten. Da lauscht man zwar gebannt Andreas Beck und seinem donnernden Monolog, wird aber gleichzeitig abgelenkt davon, dass sich Paul Genser hinter den Gardinen des Motelzimmers für das nächste Fotoshooting mit Marcel Urlaub vorbereitet.

Man sieht, wie Federn in die Luft geworfen werden und kann wenig später das mehr oder minder gelungene Resultat betrachten. Passt das jetzt gerade zu der aktuellen Textstelle? Oder ist es eine Nebengeschichte, ein Gedankenblitz - entscheidend für den weiteren Verlauf oder nur eine charmante Ablenkung?

Endlos lange Orgie

Endlos lang hingegen wirkt die Fotostrecke, die die verschiedenen Gretchens und Fausts bei einer munteren Orgie zeigt, in an Helmut Newton erinnerndem Schwarz-Weiß, allerdings ohne dessen stahlharte Ästhetik. Soll hier unterstrichen werden, dass der Akt unter Erwachsenen stattfand und einvernehmlich war? Rein technisch betrachtet, stellt sich die Frage, ob diese Aufnahmen live entstanden oder vorproduziert waren. Und: Was bringt die Live-Produktion der Inszenierung, außer vielleicht mehr Stress backstage?

Der Abend lebt neben eindrücklichen Bildern von seinem Ensemble, aus dem der stimmgewaltige Andreas Beck sowie Paul Gross und Lavinia Nowak herausragen. Nicht zu vergessen Hasti Molavian und ihr Mezzosopran. Zunächst wird sie in einem fast nicht zu ertragenden Einschub, den „König von Thule“ intonierend, von einem Regisseur (Uwe Schmieder) fertiggemacht, bis sie in Tränen ausbricht und eine andere das Gretchen spielen darf. Später singt sie das berühmte „Meine Ruh’ ist hin“ zu Beats und dramatischen Streichern. Hinreißend.

130 Minuten (keine Pause). Die Vorstellungen im Oktober, November, Dezember und Januar sind ausverkauft. Für den 20. Februar 2026 gibt es noch Karten.