Meine RegionMeine Artikel
AboAbonnieren

Festakt in LübeckThomas Mann wurde vor 150 Jahren geboren

Lesezeit 4 Minuten
Thomas Mann an seinem Schreibtisch 1941.

Thomas Mann an seinem Schreibtisch 1941.

Lübeck feiert den 150. Geburtstag des Literaturnobelpreisträgers mit einer rasanten Themenschau.

150 Jahre Thomas Mann: Wie schaut man heute angemessen auf den Autor von „Buddenbrooks“ und „Zauberberg“? Seine Heimatstadt Lübeck aktualisiert sein Bild als Porträt eines Kämpfers für die politische Freiheit.

Enkel meldet sich zu Wort

Donald Trump und Wladimir Putin, die Kriege in Gaza und der Ukraine – würde Thomas Mann das alles noch verstehen? Frido Mann wiegt nachdenklich den Kopf. Der einstige Lieblingsenkel Thomas Manns ist heute selbst 84 Jahre alt. „Er würde wohl den Kopf schütteln“, sagt Frido Mann und wird dann selbst deutlich. „Der Völkermord in Gaza muss endlich offiziell verurteilt werden“, sagt er, verweist auf seine eigene jüdische Abkunft und sieht einen Moment richtig zornig aus.

150 Jahre Thomas Mann: Lübeck feiert den großen Sohn mit Festakt und Konzert, widmet ihm eine opulente Tagung, eine Ausstellung, die den Literaturnobelpreisträger so zeigt, wie er heute neu entdeckt wird – als Vorkämpfer der erst skeptisch betrachteten Demokratie, ja, als politischen Aktivisten. Frido Manns Statement passt in diesen neu gezogenen Rahmen. Thomas Mann, der steife Großbürger der Weltliteratur?

Pünktlich zum Jubiläum inszeniert ihn Playmobil in einer Plastikfigur mit Hut und Gehstock, eine Seite des legendären Erfolgsromans „Buddenbrooks“ in der Hand. Lübeck dreht so viel altväterliche Betulichkeit radikal auf links. Caren Heuer, Direktorin des Buddenbrookhauses, und ihr Team inszenieren die Jubiläumsschau als Textmaschine und Bilderstrecke in ziemlich straffem Rhythmus. Was würde Thomas Mann zu der Welt heute sagen?

Mitmach-Stationen

Viel mehr als diese Frage interessiert nun, was Thomas Mann zu seiner Welt gesagt, wie er sich vom kaisertreuen Konservativen zum Vorkämpfer der Republik gewandelt hat, der mit Radioansprachen aus dem amerikanischen Exil gegen Adolf Hitler und seine Schreckensherrschaft kämpfte. Die Kuratoren verweben Lebenslauf und Zeitgeschichte zu einem intensiven, bisweilen überladenen Parcours. Dunkle Wandfarben reflektieren zusätzlich den Krisencharakter der Epoche zwischen Weimarer Republik und Zweitem Weltkrieg.

Diese Schau erlaubt kein interessiertes Flanieren, sie fordert Beteiligung und persönliche Stellungnahme ein. Auf eher beengtem Raum spulen die Kuratoren ein ambitioniertes Programm ab: Sie durchleuchten Thomas Manns politische Entwicklung ebenso wie historische Hintergründe, inszenieren zentrale Textzeugnisse und bieten Mitmach-Stationen. Wo stehe ich selbst in der Machthierarchie der eigenen Gesellschaft? Was würde ich in einen Offenen Brief schreiben? Welche Partei würde ich selbst wählen? Der Besucher mag sich bei seinen Antworten bisweilen selbst wie ein Aktivist fühlen.

Keine Frage: Die Lübecker Präsentation im St. Annen-Museum kommt ohne behäbige Gedenkroutine aus. Für betuliche Kulturrituale scheinen die Zeiten zu ernst zu sein. „Meine Herren, unleugbar, das ist die Demokratie“: Der Satz aus Thomas Manns epochalem Essay „Von deutscher Republik“ (1922) ist ausgerechnet auf der Schwelle der Brandschutztür im Museum zu lesen. Ein Schelm, wer bei dieser Konstellation an die „Alternative für Deutschland“ (AfD) denkt?

Keineswegs, die Partei der Rechtspopulisten darf als gar nicht so geheimer Bezugspunkt einer Ausstellung angesehen werden, die Thomas Mann entschlossen auf die Gegenwart bezieht. Der Schatz, der damit gehoben wird, lohnt in der Tat die aktuelle Diskussion, denn Thomas Manns weltanschauliche Wende dokumentiert eine beharrliche Arbeit an politischen Begriffen und Einstellungen, die als Teil der Vorgeschichte der Bundesrepublik neu zu begreifen und bewusst zu machen wären. Schade nur, dass die Präsentation dabei den Disput der Brüder Thomas und Heinrich Mann kaum berücksichtigt.

Politischer Läuterungsweg

Ohne die Auseinandersetzung mit seinem älteren Bruder Heinrich wäre Thomas Mann kaum auf seinen politischen Läuterungsweg gelangt. Was biografisch als Bruderzwist erinnert wird, markiert in Wirklichkeit eine weltanschauliche Neuorientierung, die in einem Jahrhundert der Diktaturen aus der bürgerlichen Mitte heraus artikuliert wird. Dieses intellektuelle Erbe ist gerade heute kaum zu überschätzen. Die Ausstellungsmacher haben gut daran getan, ihre Schau um zentrale Textzeugnisse herum zu gruppieren.

Sie zeigen, worauf es bei der Herausbildung eines erneuerten politischen Bewusstseins vor allem ankommt – darauf, eine neue Sprache zu finden. Dieser Weg kann in Lübeck abgeschritten werden. Er setzt mit jener Schülerzeitung „Frühlingssturm“ ein, die der junge Thomas Mann unter dem Pseudonym Paul Thomas 1892 schreibt, führt über die Antwort auf die Frage, „Warum ich nicht nach Deutschland zurückkehre“ von 1945 bis hin zu dem zentralen Text „Meine Zeit“, in dem der alt gewordene Autor 1950 Resümee zieht.

Wer einen Ruhepunkt in dieser überfüllt wirkenden Schau sucht, sollte in jenem, nun im Großformat inszenierten Brief blättern, mit dem Thomas Mann auf den Entzug des Doktortitels der Universität Bonn 1936 reagierte. Es gibt kaum eine luzidere Erwiderung auf die Kultur- und Freiheitsverachtung des Faschismus. Ganze Passagen lesen sich übrigens so präzise, dass man sie den Rechtspopulisten von heute entgegenschleudern möchte.

Meine Zeit. Thomas Mann und die Demokratie. 6. Juni 2015 bis 18. Januar 2026. Lübeck, St. Annen-Museum.