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Film-Komponist Hans Zimmer„Für mich steht nicht der Star im Mittelpunkt“

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Hans Zimmer beantwortet die Fragen der Journalisten. Der deutsche Komponist Hans Zimmer ist für die Filmmusik in «Dune» mit dem Oscar ausgezeichnet worden. Das gab die US-Filmakademie in der Nacht zu 28.03.2022 bekannt. +++ dpa-Bildfunk +++

Will musikalisch eine ganze neue Welt kreiieren: Hans Zimmer, einer der erfolgreichsten Deutschen in Hollywood.

Hans Zimmer hat die Musik für „Rain Man“ und „Thelma & Louise“ geschrieben, der Soundtrack der „Fluch der Karibik“-Reihe stammt ebenso von ihm. Nun schrieb er die Musik für eine ARD-Serie,

Herr Zimmer, Ihre letzten Arbeiten waren der Disney-Film „Mufasa“, ein Weltkriegsdrama von Steve McQueen und das Formel-1-Drama „F1“ mit Brad Pitt: das ganz große Hollywood. Wie hat der NDR Sie überredet, für „Schwarzes Gold“ in ein Lüneburger Museumsdorf einzutauchen?

Mich hat immer fasziniert, nicht nur eine Geschichte, sondern gleich eine ganz neue Welt zu kreieren auf musikalische Art und Weise. Plötzlich kann man die Lüneburger Heide wie eine emotionale Prärie sehen. Die Historie, das Öl, die Korruption – das ist alles spannend – aber es sind die menschlichen Schicksale, die einen fesseln. Aleksey Igudesman (der Ko-Komponist von „Schwarzes Gold“, Anm. d. Red.) findet immer die richtigen Musiker, um diesen Momenten Leben einzuhauchen, und dieses Mal haben wir ein echtes Dream-Team, auch fern von Heimatgefühlen. Es ist der Staub und die Rauheit des Westerns, aber verwurzelt im deutschen Boden – das Akkordeon statt des Banjos, die Ölbohrinsel statt der Dampflok. Es ist vertraut und fremd zugleich. Genau das macht es spannend: Man hört ein bekanntes Genre, aber in einer Stimme, die man so noch nie gehört hat.

Auf der einen Seite diese zerbrechliche, intime Welt – Stimme, Akkordeon, ein verstimmtes Klavier, das wie aus einem Dorfwirtshaus klingt. Auf der anderen Seite die rohe, mechanische Kraft – die perkussive Fingerstyle-Gitarre, das Ächzen und Stöhnen des Ölturminstruments wie ein alter Koloss. Und zwischen diesen Polen entsteht die Spannung, die die Geschichte trägt.

Bei welcher Szene der Serie sollte ich die Augen zumachen, damit ich mich voll auf Ihre Musik konzentrieren kann?

Am besten, man schaut schon die ganze Zeit hin und macht die Augen zu, wenn man den Soundtrack hört! Wenn man die Augen zumacht, hört man immer wieder das Leitmotiv, das ich mit Aleksey als Ausgangspunkt gefunden habe. Das B–La–C–G-Motiv (basierend auf dem Wortspiel „BLACK Gold“) ist wie ein Signal: „Jetzt beginnt das Maschinenzeitalter.“ Aber es ist nicht nur triumphal – es trägt auch eine gewisse Zwiespältigkeit in sich. Diese Epoche war voller Chancen, aber auch voller Ausbeutung. Wir wollen, dass die Musik beides zeigt – die Faszination und die Unruhe.

Wenn man musikalische Motive für Superstars wie DiCaprio, Johnny Depp oder Dustin Hoffman komponiert – geht es dann nur um die Figur? Oder färben die Stars die Musik wie eine Muse mit ein?

Für mich steht immer die Figur im Mittelpunkt, nicht der Star. Ich versuche, die Geschichte und die inneren Konflikte eines Charakters in Musik zu übersetzen. Natürlich bringt ein DiCaprio oder Depp eine bestimmte Energie mit, die man spürt – aber ich schreibe nicht „für Leo“, sondern für die Figur, die er verkörpert.

Diesmal heißen Ihre Stars Harriet Herbig-Matten, Aaron Hilmer, Tom Wlaschiha, Jessica Schwarz und Henny Reents. Wer davon hat ein Leitmotiv bekommen? Und was zeichnet es aus?

Es gibt natürlich ein musikalisches Thema für Johanna, die von Harriet gespielt wird. Aleksey und ich wollten ihrer Figur eine Mischung aus Reinheit und innerer Stärke geben, und Ekaterina Shelehovas Stimme macht diese Musik zutiefst menschlich. Für Richard, gespielt von Aaron, gibt es sein eigenes Motiv, Richard's Guilt (auf Deutsch: Richard's Schuld, Anm. d. Red.). Und Wilhelm Pape, der Bösewicht, den Tom verkörpert, hat sogar ein eigenes Lied: Pride Before Fall (Hochmut kommt vor dem Fall, Anm. d. Red.), gesungen von einem weiteren wichtigen Hauptdarsteller, Marton Csokas.

Gibt es eine Melodie, die über allem liegt?

Am Ende läuft vieles auf unser B–La–C–G-Thema hinaus. Es ist täuschend einfach, aber unglaublich wandelbar. Man hört es als Volkslied, als Liebeslied, als bedrohlichen Industriepuls. Es ist unsere „German Western“-Signatur. Und wir haben es mit Gegenmotiven erweitert – dem Es–D und dem Fis–G – kleine musikalische Verschiebungen, die einen immer ein wenig aus dem Gleichgewicht bringen.

Die Themen tragen einen klaren Aufbruch in sich – den Schritt in eine neue Zeit, in die entstehende Industriegesellschaft, in die Moderne. Sie erinnern daran, dass diese Welt im Wandel ist und niemand unberührt bleibt. Von Anfang an war unser Ziel, diese beiden Welten so zu verweben, dass man nicht mehr sagen kann: Ist das 1899 oder ist das heute?

Wir haben den „Maple Leaf Rag“, das populärste Stück jenes Jahres, genommen und beschlossen: Wir verlangsamen es, verdunkeln es und lassen es nach Öl atmen. Uns ging es nicht darum, historische Authentizität um jeden Preis zu rekonstruieren – sondern etwas zu erschaffen, das sich wahr anfühlt. Wir nehmen den Geist der Zeit und lassen ihn durch eine moderne, fast filmische Linse leuchten.

Ob Hollywood-Blockbuster oder kleine Produktion – mein Job ist derselbe: Ich muss wissen, warum es an einer Stelle überhaupt Musik geben soll.
Hans Zimmer

Unterscheidet sich die Musik für einen US-Blockbuster von der für eine deutsche Serie?

Ob Hollywood-Blockbuster oder kleine Produktion – mein Job ist derselbe: Ich muss wissen, warum es an einer Stelle überhaupt Musik geben soll. Die Größe des Budgets oder die Sprache spielen keine Rolle. Entscheidend ist die Geschichte und die Frage: Hilft die Musik, sie besser zu erzählen?

Wie entsteht Ihre Filmmusik? Komponieren Sie auf die fertigen Bilder? Schreiben Sie schon vorher Musik, die das Team am Set einspielen könnte? Ist es etwas dazwischen?

Ich warte nicht brav, bis mir jemand den fertigen Film bringt. Ich fange so früh wie möglich an – manchmal mit einem Brief, manchmal nur mit einer Stimmung oder ein paar Seiten Drehbuch. Bei „Interstellar“ hat mir Christopher Nolan nur eine Seite über einen Vater und sein Kind gegeben – keine Raumschiffe, keine Physik. Daraus entstand ein kleines Stück, das später die Seele des Films wurde. Später passe ich die Musik natürlich an die Bilder an, aber der emotionale Kern entsteht häufig vorher.

Und wie beeinflusst das Drehbuch die Partitur?

Ein Drehbuch ist für mich erst mal kein technisches Dokument, sondern eine Einladung in eine Welt. Ich lese es und frage: Welche Regeln hat diese Welt? Wie klingt ihr Licht, ihre Dunkelheit, ihre Zeit? Daraus baue ich mir ein Klang-Alphabet – bestimmte Instrumente, Texturen, vielleicht sogar nur vier Akkorde.

Für „König der Löwen“ und „Dune“ haben Sie einen Oscar bekommen. Waren das wirklich Ihre beiden besten Arbeiten?

Ich denke nie in Kategorien wie „das sind meine zwei besten Arbeiten“. „Der König der Löwen“ war extrem persönlich für mich, „Dune“ genauso – aber das gilt auch für viele andere Filme. Preise sind wunderbar, aber sie sagen nichts darüber aus, welcher Score mir am meisten bedeutet.

Sie gehen auch auf Tour. Wie verändert sich Filmmusik, wenn man sie konzertant hört, statt im Kino?

Im Kino ist die Musik Diener der Bilder. Im Konzert darf sie endlich für sich selbst stehen. Eine Live-Aufführung ist eine Unterhaltung zwischen Musikern und Publikum – etwas, das auf einer Filmaufnahme immer nur zur Hälfte existiert. Deswegen habe ich „Hans Zimmer Live“ so gebaut, dass es keinen Dirigenten, keine Notenständer und keine Filmszenen gibt. Die Stücke müssen ohne Bilder atmen, und genau das verändert, wie man sie hört und wie wir sie spielen.

Ein letzter Satz zu Ennio Morricone, bitte – den Filmkomponisten, den Sie erklärtermaßen bewundern. Warum ist gerade er so wichtig?

Ennio Morricone ist der Grund, warum ich Filmkomponist geworden bin. Die erste Note, die ich von ihm hörte, hat mich gepackt und nie wieder losgelassen. Er hat mir beigebracht, dass die einfachste, ehrlichste Melodie die schwerste ist – und dass wir unsere Arbeit mit größter Ernsthaftigkeit und Demut tun müssen.