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Zangenangriff auf die FreiheitFrancis Fukuyama verteidigt den Liberalismus

Lesezeit 3 Minuten

Autor Francis Fukuyama.

Köln – Russlands oberster Angriffskrieger hat dem westlichen Staatsverständnis den Totenschein ausgestellt, doch Francis Fukuyama widerspricht heftig: „Der Liberalismus ist keineswegs, wie Wladimir Putin behauptet, eine, obsolete' Doktrin.“ Der 69-Jährige muss das wohl sagen, hatte er doch 1989 im Fallen des Eisernen Vorhangs „Das Ende der Geschichte“ gesehen. Totalitäre Systeme seien fortan erledigt, das amerikanisch-europäische Demokratiemodell weltweit alternativlos.

Das war lange vor 9/11, vor der Finanzkrise 2008, dem Afghanistan-Desaster und dem Kapitol-Sturm fanatisierter Trump-Anhänger. Fukuyama will dennoch nicht so einfach kapitulieren und untersucht den politischen Patienten in seinem neuen Buch „Der Liberalismus und seine Feinde“. Erster Befund: „Historisch sind liberale Gesellschaften Motoren des Wirtschaftswachstums, Erzeuger neuer Technologien und Schöpfer lebenssprühender Kultur.“

Auslöser für Fukuyama ist der Neoliberalismus

Dennoch erlebe die auf individueller Autonomie und universeller Menschenwürde fußende Politik gegenwärtig einen Zangenangriff. Konservative sehen in der Betonung persönlicher Freiheit den Anreiz zu sexueller Libertinage, zur Schwächung von religiöser Bindung und Nationalbewusstsein. Die Linke beklagt hingegen eine Versklavung an den Raubtierkapitalismus und übergroße Skepsis gegenüber dem Wohlfahrtsstaat.

Auslöser dieser Kritik ist für Fukuyama der Neoliberalismus. Wobei der Denker nichts gegen ein freies Spiel der Märkte hat, wohl aber gegen jene Deregulierung im Finanzsektor, die in die Pleite der Investmentbank Lehman Brothers und die weltweite Krise führte.

Der Autor schätzt den Individualismus als Quelle liberalen Handelns, missbilligt aber einen „Amok laufenden Glauben an die Selbstverantwortung“. Etwa wenn Ultraliberale jede Staatshilfe für Opfer einer Hungersnot ablehnten. Und so richtig es sei, Menschen abgesehen von Rasse, sexueller Orientierung und sozialer Schicht als gleichberechtigt zu sehen – so nötig sei eben auch der Blick auf die reale Ungleichheit der Chancen.

Schwächen des eigenen Gesellschaftsmodells

In seinem schmalen Buch wagt Fukuyama einen Parforceritt durch die Geistesgeschichte, macht Hegel, Nietzsche und Kant zu Anwälten seiner Sache. Er zitiert aber auch Gegner wie Michel Foucault und Herbert Marcuse, der liberale Gesellschaften tatsächlich von kapitalistischen Eliten beherrscht sah.

So flamboyant und radikal wie im „Ende der Geschichte“ geht es hier nicht zu, da der Verteidiger oft auch die Schwächen seines Gesellschaftsmodells einräumen muss. Ist also, in Anlehnung an ein Churchill-Zitat, „der Liberalismus die schlechteste aller Staatsformen – ausgenommen alle anderen?“

Ganz so schwarz sieht der in Stanford lehrende Amerikaner die Lage denn doch nicht, obwohl ihn gerade Entwicklungen im eigenen Land beunruhigen. Etwa jene unversöhnliche Identitätspolitik, die alle nicht-schwarzen Bürger zu Rassisten erklärt und mit dem Verbot bestimmter Wörter einen Grundpfeiler des Liberalismus attackiert: die Redefreiheit. Dies betreffe auch den Versuch von Randgruppen, die Geschlechterdebatte mit Tabus zu regulieren. Denn gerade eine diverse Gesellschaft „darf ihre Bürger nicht zur Uniformität ihrer Gedanken verpflichten“.

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Und worin sieht Fukuyama trotz des eher widrigen Zeitgeists Hoffnung für den Liberalismus? Nein, nicht in wehrhaftem Trotz, sondern vor allem in Mäßigung. Also im Verzicht auf schrankenlose wirtschaftliche Gier und egozentrische Freiheitsansprüche. Das klingt zwar vernünftig – aber auch überraschend kleinlaut.

Francis Fukuyama: Der Liberalismus und seine Feinde. Aus dem Englischen von Karlheinz Dürr. Hoffmann und Campe, 224 S., 25 Euro.Lit.Cologne-Lesung: Do, 6.10., 20.30 Uhr, WDR-Funkhaus.