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Wallraf-Richartz-Museum KölnWie Sehbehinderte die Bilder trotzdem „sehen“

Lesezeit 4 Minuten
Kunst für Sehbehinderte 3

Im Wallraf-Richartz-Museum werden Führungen für Menschen mit Sehbehinderung angeboten. 

Köln – Dieses Licht scheint nicht von dieser Welt zu sein. Es strahlt so kräftig und blendet doch nicht. Es müsste doch eigentlich Hitze von ihm ausgehen, aber es scheint nur wohlig zu wärmen. Auch Siegfried Saerberg ist von diesem wunderbaren Licht offensichtlich beeindruckt. Es zaubert ihm ein Lächeln aufs Gesicht. Dabei kann er das Strahlen gar nicht sehen. Siegfried Saerberg ist blind. Sein Auge ist für die kommenden anderthalb Stunden die Kölner Museumsführerin Julia Greipl.

Sprachgewaltig zeichnet sie das Bild „Anbetung der Hirten“ von 1622 des niederländischen Meisters Gerrit van Honthorst im Wallraf-Richartz-Museum für Saerberg und für weitere neun Teilnehmer ihrer Führung für Sehbehinderte Menschen nach.

Mit Worten Bilder malen

„Es ist wie eine Lichtquelle“, sagt Greipl über das Meisterwerk und macht dabei große Bewegungen mit ihren Armen. Nötig wäre das bei dieser besonderen Führung natürlich nicht. Aber ihre Begeisterung für das Werk, die sie mit ihren Bewegungen unterstreicht, schlägt sich so noch mehr in ihrer Stimme nieder. „Die Haut der jungen Maria ist so fein, sie wirkt, als sei sie aus Porzellan“, arbeitet sie sich weiter durch das Bild. Doch es ist kein Monolog, den die Kunsthistorikerin führt. Es wird interagiert.

Kunst für Sehbehinderte 2

Julia Greipl beschreibt wortgewaltig die Kunstwerke.

Sie und ihre Besucher werfen sich die Bälle zu. „Können Sie die Augenfarbe der Maria erkennen“, fragt eine Teilnehmerin. „Welche Tiere sind auf dem Bild dargestellt?“, kommt sogleich die nächste Frage auf. „Warum ein Stier, nicht ein Esel oder eine Kuh“, wird nachgehakt. Und dann noch eine ganz typische Frage für diese besondere Museumsführung: „Welche Maße hat das Bild?“

Kunst für Sehbehinderte 4

Georg Cloerkes kann weder sehen noch hören. Er kommuniziert über taktile Gebärdensprache.

„Das ist für mich Inklusion“, sagt Greipl. „Dass wir Barrieren vergessen und auf einem Level reden“, erklärt sie ihr Konzept. Wenn die Museumsführerin eine Frage beantwortet, verlässt sie ihren Standort neben dem Bild und vor der Gruppe. Sie stellt sich dem oder der Fragenden zur Seite. So funktioniert die direkte Ansprache ohne den üblichen Blickkontakt.

Aber es sind nicht nur diese besonderen Bedingungen, die Greipl an den Führungen mit sehbehinderten Menschen so liebt. „Viele der Teilnehmer sind unglaublich gebildet. Immer wieder kommen Fragen auf, die mich überraschen.“ So wird schnell klar, warum bei der „Anbetung der Hirten“ der für die Krippenszene unübliche Stier dabei ist: Als Symbol für den Evangelisten Lukas, der die Weihnachtsgeschichte niedergeschrieben hat.

Führungen

Über Worte zu Bildern, unter diesem Titel stehen die Führungen für sehbehinderte Menschen im Veranstaltungskalender des Museumsdienstes der Stadt Köln.

Am ersten Dienstag im Monat findet die Führung im Museum Ludwig statt, am zweiten Dienstag im Monat im Wallraf-Richartz-Museum. Bereits seit rund vier Jahren gibt es das Angebot im Museum Ludwig, seit Anfang 2022 im Wallraf-Richartz. Angeboten werden auch Online-Führungen für Menschen mit Sehbehinderungen.

Ausgedehnt wird das Angebot voraussichtlich im kommenden Herbst auf das Römisch-Germanische Museum und auf das NS- Dokumentationszentrum. Dort sollen auch haptische Erfahrungen in die Führungen mit eingebunden werden.

www.museenkoeln.de

Drei bis fünf Bilder sucht Greipl pro Führung aus. Mehr würde bei den intensiven Beschreibungen und bei dem regen Austausch den Rahmen sprengen. Eine alltägliche Führung geht rund eine Stunde, für die besonderen Führungen für Menschen mit Sehbehinderung werden 90 Minuten eingeplant.

Teilnehmerin Faßbender: Hier entstehen Bilder im Kopf

Karla Faßbender ist eine „Wiederholungstäterin“. Mehrfach schon hat sie an den Führungen für sehbehinderte Menschen teilgenommen. „Ich nehme von diesen Führungen immer etwas Neues mit. Es sind immer andere Fragen, die aufkommen“, sagt sie. Im Alter von 25 Jahren hat die heutige Rentnerin ihr Augenlicht verloren. Was kann sie von den Bildern noch wahrnehmen? „Bestenfalls einen Kontrast. Aber durch die Beschreibungen wird das Motiv für mich total präsent. Es entsteht ein richtiges Bild in meinem Kopf.“

Anders ist das bei Sigfried Saeberg. „Ich kann gar nichts mehr sehen, und ich denke auch nicht visuell.“ Es ginge mehr in den Bereich von Gedanken, über die er sich dem Bild nähere.

Ganz anders ist die Ausgangslage bei Georg Cloerkes. Er ist sowohl blind als auch gehörlos. An seiner Seite steht eine Begleitung, die ihm über die Handflächen, mit sogenannter taktiler Gebärdensprache die Inhalte der Führung vermittelt.

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Ein Blick durch eine Brille, die eine Seheinschränkung simuliert.

Als er noch habe sehen können, sei er oft in Museen gegangen, auch ins Wallraf-Richartz. Nun nehme er erstmals an der Führung für sehbehinderte Menschen teil. „Das war neu für mich, aber ich habe mich gut dabei gefühlt, teilt er über seine „Dolmetscherin“ mit. „Klar ist das anders als früher. Ich arbeite nun mit Erinnerungen. Durch die Beschreibungen werden die klarer für mich.“

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Julia Greipl hat in der Führung der Gruppe ihr Auge geliehen. Nun bekommt sie ein Lächeln zurück. Nicht das, welches sie auf den Gesichtern der Teilnehmer durch ihre Beschreibungen hervorgerufen hat. Sondern das, welches nun auf ihrem eigenen Gesicht aufleuchtet: „Ja, das bewegt“, sagt sie, als sie von der Resonanz auf ihre Führung hört.