„Der Bücherspazierer“ stand mehr als zwei Jahre auf der Bestsellerliste. Nun erscheint Carsten Henns neuer Roman „Sonnenaufgang Nr. 5“.
Lesebalsam für die SeeleIm neuen Buch von Carsten Henn trifft Geisterschreiber auf Zetteldiva

Die Bücher von Carsten Henn sind Bestseller-Erfolge.
Copyright: Marion Koell
Käme Carsten Henn nicht aus Köln, wo er am 29. Oktober 1973 geboren wurde, sondern aus Japan oder aus Südkorea, würde man sagen, dass er „Healing Fiction“ schreibt. So nennt man Romane von Autoren aus den oben genannten Ländern, die kraft Lektüre (seelische) Heilung und therapeutische Wirkung versprechen. Weil sie Mut machen, trösten und die Gewissheit schenken, dass am Ende doch alles gut werden kann. Oder wenigstens besser.
Auch Henns Protagonisten und Protagonistinnen leiden an oder unter etwas. Das kann Einsamkeit sein, ein Bruch in der Biografie oder das Gefühl, nichts erreicht zu haben. Ein traumatisches Erlebnis, eine Erkrankung oder das Alter.
Zwei Personen geben sich Halt und dem Leben neuen Sinn
Immer taucht eine zweite Person auf, die auch nicht unversehrt ist. Beide lernen von aneinander, geben einander Halt und ihrem Leben neuen Sinn. Wobei sie sich erst tüchtig aneinander reiben. Weil sie, auf den ersten Blick, gar nicht zueinander passen wollen. So wie „Der Buchspazierer“ Carl und die neunjährige Schaschka, die sich an seine Fersen heftet.
Oder „Der Geschichtenbäcker“ Giacomo, dem die launenhafte Ex-Tänzerin Sofie in den Laden schneit. Oder Kati, die „Die Butterbriefe“ schreibt und dem obdachlosen Severin, den sie beim Gratis-Haareschneiden kennen lernt, anfangs mit Vorurteilen begegnet. Alle drei Romane waren Bestseller.
Im neuen Roman trifft Geisterschreiber auf Zetteldiva
Auch Henns neuer Roman „Sonnenaufgang Nr. 5“, der jetzt erscheint, wird wieder einer werden. Wobei der eigentlich „Der Geisterschreiber“ oder „Die Zetteldiva“ heißen müsste. Ersterer ist der 19-jährige Ex-Germanistikstudent Jonas Engelbaum, der sein Studium geschmissen hat (und trotz seiner Jugend schon Schlimmes erlebt hat) und sich nun als Ghostwriter anbietet. Letzteres für Ex-Schauspielerin Stella Dor, die früher tatsächlich ein Stern war, einer am Filmhimmel.
Das ist so lange her, dass sie während ihrer UFA-Zeit von Marlene bekocht wurde. Stella engagiert Jonas und offeriert ihm, auf unzählige Zettel geschrieben, ihre Erinnerungen.
Gegen die schnoddrige Diva, die in einem Strandpavillon lebt, viel von edler Garderobe, filterlosen Zigaretten und der pünktlichen Zufuhr von Cocktails hält, hat der brave Jonas als Figur keine Chance. Klar, Stella entspricht einem gewissen Klischee, aber man liest es sehr gerne.
Doch war ihr Leben wirklich so glamourös, wie sie es erinnert? Dass auch sie einen Fleck auf der Seele haben muss, ist bei Henn vorhersehbar. Ebenso wie, dass sich Jonas in die schlagfertige Nessa verliebt, die nicht nur Currywürste verkauft und Fahrräder verleiht, sondern auch als Wal-Innenarchitektin Talent beweist.
Und kann es sein, dass vielleicht auch Nessa in der Vergangenheit Leid widerfuhr? Oder Stellas Verehrer Paul, der davon träumt, mit ihr zu tanzen und Geraldo, dem Maler, der nur Sonnenuntergänge malt? Bis dann die Sonne, bei Version Nr. 5, plötzlich aufgeht. Nicht nur auf der Leinwand, auch für alle Beteiligten. „Healing Fiction“? Ja.
Sonnenaufgang Nr. 5 von Carsten Henn. Piper, 288 S., 18 Euro.
