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„Immanuel Kant und die offenen Fragen“Bundeskunsthalle feiert Philosophen zum 300. Geburtstag

Lesezeit 4 Minuten
Besucher gehen in der Ausstellung an einem gedeckten Tisch vorbei.

So könnte die „Gesellschaft der Freunde Kants“ getafelt haben. Der Finder zweier silberne Bohnen war zur nächsten Hauptrede eingeladen.

Die Ausstellung wirft aufklärerischen Blicke auf Leben und Werk des großen Philosophen — und seine problematischen Seiten.

War Immanuel Kant ein Provinzler, weil er Zeit seines Lebens nie aus Königsberg herauskam? Ein penibler Spießer, nach dessen Spaziergängen man die Uhr stellen konnte? Und vor allem: War er aus heutiger Sicht ein Rassist, Sexist und Antisemit?

Das mit der Provinz geht fehl, weil Königsberg keine Provinz war, sondern ein international bedeutender Handels- und Verkehrsknotenpunkt. Der Pünktlichkeitsfanatiker war nicht Kant, sondern sein Freund Joseph Green. Und das mit dem Rassis-, Sexis- und Antisemitismus – tja, manchmal stimmt das leider, manchmal aber auch nicht.

Solche aufklärerischen Blicke auf Leben und Werk des großen Philosophen — und seine problematischen Seiten — wirft jetzt die sehenswerte Ausstellung „Immanuel Kant und die offenen Fragen“ in der Bundeskunsthalle. „Für mich war es ein großes Geschenk, mich mit Kant zu beschäftigen“, sagt Intendantin Eva Kraus. „Mit ihm können wir denken lernen – und wir erleben Diskussionen, die aktueller nicht sein könnten.“

Mitmachstationen und Schriften

„Die Ausstellung ist als Denkprozess gedacht“, sagt Kuratorin Agnieszka Lulinska. „Es geht nicht darum, Kant auf ein Podest zu heben, sondern sich ihm zu nähern.“ Nicht Ehrfurcht vor dem Alleszermalmer ist gefragt, sondern der Mut des Besuchers, sich des eigenen Verstandes zu bedienen. Dabei helfen zum Beispiel Mitmachstationen: Eine Kugelbahn verdeutlicht die Formen von Freiheit und Unfreiheit, Texttäfelchen sortieren Sätze in „analytische“ und „synthetische“, und zwar „a priori“ und „a posteriori“.

Natürlich fehlen auch nicht diverse Kant-Devotionalien. Erstausgaben seiner Schriften etwa. Eine Original-Locke des Meisters, edel gerahmt. Seine durchaus unheimlich anmutende Totenmaske. Oder zwei silberne Bohnen aus dem Bestand der „Gesellschaft der Freunde Kants“: Wer sie beim Bankett im Kuchen fand, durfte beim nächsten Jahrestreffen die Hauptrede halten.

Auch Kants Zuckerdose ist zu sehen. Und da haben wir ein Problem: Der Philosoph hatte Aktien am fremde Länder ausbeutenden Zuckerhandel, die ihn reich machten. Von einem „schwierigen Erbe“ spricht denn auch Professorin Andrea Marlen Esser von der Universität Jena. „Die Werke Kants und der Aufklärung sind teilweise von rassistischen, sexistischen und antijüdischen Ideologien geprägt. Mitunter sind solche Ideologien noch heute in unserer Kultur und in unserem Denken wirksam.“ Essers Team hat daher zur Schau „kritische Interventionen“ beigesteuert, die auf solche Aspekte hinweisen — etwa die Klage des Philosophen, ein Porträtist habe ihn „mit jüdischer Nase“ dargestellt.

Philosophie gibt dem Leben Würze, ist aber nur in kleinen Dosen genießbar

Eine weitere Säule der Ausstellung sind Kunstwerke, die sich entweder auf Kant als Person beziehen oder auf seine Ideen und Denkthemen. Anselm Kiefer etwa ist mit dem Gemälde „Der bestirnte Himmel über mir und das moralische Gesetz in mir“ vertreten, Joseph Beuys mit dem Readymade „Ich kenne kein Weekend“. Es besteht aus einem Kant-Reclamheft und einer Flasche Maggi. Mögliche Message: Philosophie gibt dem Leben Würze, ist aber nur in kleinen Dosen genießbar.

Die Ausstellungsmacher sind sich des Problems bewusst. Papier an den Wänden, Papier auf den Tischen: Schon optisch zeigt die Schau ihr Konzept, das Lulinska formuliert als „Es wird anstrengend; es darf gelesen werden“. Und Lulinskas Mitkurator Thomas Ebers erinnert an Arthur Schopenhauer — der in seinem Buch „Die Welt als Wille und Vorstellung“ empfahl, es nach Abschluss der Lektüre direkt ein weiteres Mal zu lesen — und rät: „Gehen Sie zwei Mal durch die Ausstellung.“

Ein nachvollziehbarer Rat. Nicht nur ob des denkerisch schweren, aber überaus lohnenden Inhalts, sondern auch ob seiner überaus fantasievollen und bunten Darbietung. Prägend wirkt, wie liebevoll die Illustratorin Antje Herzog die Wände der Ausstellungsräume zur Kant-Biografie im Graphic-Novel-Stil gestaltet hat, die zu lesen Spaß macht.

Virtual-Reality-Stationen verbinden philosophische Grundprobleme mit 3D-Panorama-Ansichten von Königsberg an einem sonnigen Vormittag. Ostpreußen-Nostalgiker bitte aufpassen, dabei nicht in Tränen auszubrechen: Die Stadt am Pregel erscheint realistisch bis zum letzten Dachziegel.

Bis 17. März, Di bis So 10–19, Mi 10–21 Uhr, Helmut-Kohl-Allee 4, Bonn.


Film- und Buchbeiträge zu Kant

Im 30-Minuten-Film „Der Lauf der Dinge“, wird versucht, Kants (Portait) Konzept der Kausalität zu verbildlichen: Er zeigt, wie Wasser, Feuer und Schwerkraft allerlei Reaktionen auslösen, Gegenstände rollen, platzen und umkippen, Zuckerwürfelpfeiler sich in Schaum auflösen und mehr: „Wir wollen Menschen animieren und inspirieren, die sich zuvor nicht mit Philosophie befasst haben“, sagt Kunsthallen-Intendantin Eva Kraus. Buch zur Ausstellung: Antje Herzog (Ill.), Thomas Ebers: Immanuel Kant und die offenen Fragen – Eine Bilderreise. Wienand, 176 S., 25 Euro. (piw)

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