Interview mit Gerhard Richter„Wir wissen ja nichts, deshalb glauben wir“

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Der Künstler Gerhard Richter bei einem Pressetermin.

  • Der in Köln lebende, weltbekannte Künstler Gerhard Richter hat für die Abteikirche in Tholey drei Chorfenster entworfen.
  • Wir sprachen mit Richter über seine Fenster, die Mitte nächsten Jahres eingeweiht werden sollen.
  • Und Richter erklärt, wie sein Verhältnis zur Religion aussieht.

Tholey – Der in Köln lebende, weltbekannte Künstler Gerhard Richter (87) hat für die Abteikirche in Tholey drei Chorfenster entworfen. Die 12.000 Einwohner zählende Gemeinde Tholey befindet sich im saarländischen Landkreis St. Wendel, die Kirche gehört zum ältesten Kloster auf deutschem Boden.

Als Mentor des ungewöhnlichen Projekts abseits der Metropolen gilt Bernhard Leonardy, Chef der Musikfestspiele Saar und Kantor an der Saarbrücker Basilika St. Johann. Er hält seit 2009 Kontakt zu Richter, nachdem er einen Photo-Painting-Zyklus des Künstlers vertont hatte. Ausschlaggebend war die Idee, fürs Saarland eine ähnliche Attraktion zu schaffen, wie es der Stadt Metz jenseits der französischen Grenze mit den Kirchenfenstern gelang, die seinerzeit Marc Chagall für die dortige Kathedrale entworfen hatte.

Gerhard Richter – von Dresden ins Rheinland

1932 in Dresden geboren

1961 Flucht über West-Berlin nach Westdeutschland

1961-1964 Fortsetzung des in der DDR begonnenen Kunststudiums an der Kunstakademie in Düsseldorf

1971-1993 Professor für Malerei in Düsseldorf

Richter lebt mit seiner dritten Ehefrau, der Malerin Sabine Moritz, in Köln. Das Paar hat drei gemeinsame Kinder.

Gerhard Richter hat seine Entwürfe dem Tholeyer Kloster unentgeltlich zur Verfügung gestellt, wie er auch vor zwölf Jahren für die Gestaltung des Südfensters im Kölner Dom kein Honorar genommen hatte. Wir sprachen mit Richter über seine Fenster, die Mitte nächsten Jahres eingeweiht werden sollen, über deren Beziehung zur Kirche und über Richters Verhältnis zur Religion.

Wie kam es zum Entwurf der drei Fenster?

Als mich aus dem Saarland die Anfrage erreichte, ob ich für das Kloster Tholey drei Kirchenfenster entwerfen könne, war ich damit beschäftigt, ein Buch zu machen: „Patterns“ (Muster), 2012 erschienen. Ich sagte: „Ich bin gerade dabei“ und wählte für Tholey die Motive, die ich vor mir hatte. Was ich allerdings nicht berücksichtigt hatte, war, dass ich von der Umsetzung von Grafik in Glasmalerei nichts verstehe. Da ich nicht wusste, was dabei herauskommen würde, habe ich gesagt: „Das macht Ihr auf Eure eigene Verantwortung.“

Die St. Wendeler Land Nachrichten haben unter der Überschrift „Sehen so die neuen Richter-Fenster aus?“ Ihre Entwürfe für die drei Fenster des Hauptchors abgebildet: stark farbige, ungegenständliche rhythmische Linien. Ist das der aktuelle Stand, oder haben Sie die Motive inzwischen überarbeitet?

Nur das mittlere ist nicht mehr aktuell, ich habe das später gewechselt. Das neue ist aber dem alten ähnlich.

Was hat Sie daran gereizt, ausgerechnet für die Tholeyer Abteikirche Entwürfe bereitzustellen?

Ich habe das Kloster gar nicht gesehen - bis heute nicht. Ich kenne es nur von Fotos und von Beschreibungen, weiß, dass es das älteste Kloster auf deutschem Boden ist und dass es für viel Geld renoviert wird. Und dann habe ich das gemacht.

Die eben zitierte Zeitung berichtete im März dieses Jahres, Ihre Fenster stellten visualisierte Musik-Harmonien dar, die mit dem estnischen Komponisten Arvo Pärt zusammenhingen. Und angesichts der Tatsache, dass Gott als letztes Mysterium für die Menschen visuell verschlossen sei, sollten die Fenster ausdrücken, „dass Gott höchste Harmonie bedeutet“.

Aha. Das wusste ich nicht. Ich habe zwar mal mit Pärt zusammengearbeitet, das hat aber nichts mit den Fenstern zu tun. Man macht offenbar viel Wind, damit das Projekt berühmt wird.

Wenn die Fenster mit Pärt nichts zu tun haben - womit dann?

Das weiß ich nicht.

Aber mit Musik haben sie doch wohl zu tun?

Ja, aber nicht mehr als alle anderen Bilder von mir.

Die stark farbigen rhythmischen Linien der Entwürfe sind etwas Neues in Ihrem Schaffen.

Die sind durch das Buch entstanden, haben sich ergeben, von allein. Sie haben natürlich schon mit Gott zu tun, mit dem Wunsch, im Leben einen Sinn zu erkennen, eine Kirche zu bauen.

Kann man sagen, Sie haben Ihre Fenster zum Ruhme Gottes entworfen – oder ist das zu pathetisch?

Zum Ruhme Gottes nicht, aber zum Trost der Betrachter.

Zu Ihrem Fenster im Kölner Dom sagten Sie mir seinerzeit, es zeige den Zufall als überwältigende Macht, nicht etwa göttliche Vorsehung. Hat sich Ihre Haltung geändert?

Das ist schön gesagt. Dazu stehe ich.

Stehen Sie dazu auch im Zusammenhang mit den Fenstern in Tholey?

Ja, doch.

Trost klingt nach Glaube, Zufall klingt eher nach Agnostizismus, also nach der Lehre, welche die Existenz des Göttlichen oder Übersinnlichen weder bejaht noch verneint. Wie bringen Sie beides zusammen?

Tja.

Vielleicht muss es ja gar nicht zusammenpassen, vielleicht sind es nur zwei Seiten ein und desselben Menschen, vielleicht des Menschen überhaupt?

Ja, das kann man so sagen.

Sie sind als junger Mann aus der evangelischen Kirche ausgetreten. Wie müsste sich die Kirche ändern, damit Sie wieder eintreten?

Ich glaube, das geht gar nicht. Man wird sicherlich etwas anderes finden, um etwas zu glauben. Wir wissen ja nichts, deshalb glauben wir.

Finden Sie Kirche wichtig als moralische Grundlage der Gesellschaft?

Ja, noch ist sie der bedeutendste Spender von Heil und Trost.

Vorlage der Kirchenfenster

Die Chorfenster für Tholey sind aus einem Künstlerbuch Gerhard Richters erwachsen: „Patterns“ von 2012. Es dokumentiert Richters Experiment der Zerlegung einer Reproduktion eines seiner „Abstrakten Bilder“ in senkrechte Streifen: erst zwei, dann vier, am Ende 4096 Streifen. Eine unendl iche Zerlegung erscheint möglich, jedoch wären die Streifen dann nur noch in der Vergrößerung sichtbar.

Ihre Kirchenfenster in Tholey werden wohl im Juni 2020 eingeweiht. Am 4. September sollen einen Tag lang Provisorien zu sehen sein.

Die kenne ich nur per Foto. Aber so ungefähr kann ich mir das vorstellen. Der Umgang mit Glas ist kompliziert. Da halte ich mich raus.

Ein Kunstwerk für eine Kirche zu entwerfen ist oft mit der Vorstellung verbunden, etwas für die Ewigkeit zu erschaffen. War das auch bei Ihnen so?

Auf keinen Fall. Aber etwas Längerfristiges: sehr gern. In den heutigen Museen gibt es ja das Gefühl von Ewigkeit nicht mehr. Das ist alles bunt und munter und so weiter. Da ist eine Kirche ganz gut. Da macht es Freude, dass man etwas schafft, das ein wenig länger hält.

Ihre Kunst wird in Tholey auf Werke einer Künstlerin treffen, deren Fenster sich in den Seitenschiffen befinden. Ihre Fenster sind ungegenständlich, die Fenster der in München lebenden Afghanin Mahbuba Elham Maqsoodi dagegen poppig-figürlich, unmittelbar an Szenen aus der Bibel angelehnt und dabei fast kitschig. Stört Sie dieses Zusammentreffen unter einem Dach?

Ich kenne diese Bilder nicht. Davon ist mir gar nichts gesagt worden.

Was wünschen Sie sich von den künftigen Besuchern der Abteikirche – wie sollen sie Ihre Glasfenster finden?

Schön.

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