Interview mit Manuel Andrack„Die Menschen brauchen dringend eine Auszeit“

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Manuel Andrack

Der Kölner Autor Manuel Andrack

  • Nach einem Jahr im Narrenkostüm spricht der Kölner Autor über die Vielfalt, die Hoffnung und das Verstörende von Karneval.
  • Lothar Schröder führte das Gespräch.

Maskenpflicht für alle! Die Karnevalisten scheinen endlich ans Ziel ihrer Träume gekommen zu sein. Andrack Nur haben die sich das ein bisschen anders vorgestellt.

Also keine Narren-Verschwörung?

Andrack Auf keinen Fall! Früher war es manchmal so, dass die Obrigkeit Masken verboten hat – wie in Venedig. Aber dass wir jetzt Masken tragen müssen, ist keine jecke Verschwörung. Haben Sie Ihr Jahr als Narr unbeschadet überstanden? Andrack Da müssen Sie am besten meine Frau fragen, die möglicherweise befürchtet, dass ich jetzt ein Roter Funk werde.

Ist sie gerade zu sprechen?

Andrack Leider nicht. (lacht)

Dann eben psychologisch: Was hat denn das Jahr als Narr mit Ihnen gemacht?

Andrack Ich muss schon sagen, dass ich vom Narren-Reporter wieder zum Narren-Fan geworden bin.

Können Sie in überschaubarer Länge sagen, was Karneval nun ist, ungeachtet der gefühlt 97 Varianten, die es in Deutschland gibt?

Andrack Es ist natürlich der Ausbruch aus dem Alltag, der jetzt so bitter fehlt. Und wenn man in die kleineren Einheiten des Karnevals schaut, erlebt man wirklich eine gute, nicht ranzige Heimatverbundenheit.

Auch als Botschafter des Bieres geehrt

Der Autor Manuel Andrack, 1965 in Köln geboren, abreitete 13 Jahre lang mit Harald Schmidt zusammen. 2002 wurde er vom Deutschen Brauer-Bund zum Botschafter des Bieres ernannt, weil er in jeder Schmidt-Show ein Bier trank und vorstellte.

Sein Buch Mein Jahr als Narr. Dem Geheimnis von Karneval, Fasching, Fastnacht auf der Spur. DTV Premium, 336 Seiten, 18 Euro

Und es stellen sich oft – so auch meine Erfahrung – eigene Kindheitserinnerungen ein.

Andrack Das hat mich lebenslang begleitet. Erst hat man das Indianerkostüm getragen, in der Studentenzeit dann als ironische Verbeugung vor den 70er-Jahren den lilafarbenen Hosenanzug der Mutter. Meine erste Freundin hat mir dann gesagt, ich sei hässlich. Aber darum geht es überhaupt nicht. Alle, die mich gesehen haben, waren guter Laune. Und so soll Karneval doch sein. Aber schön, dass Sie sich auch an Ihre Kindheit erinnert haben, wie man Indianer oder Cowboy war. Wobei: Cowboy war ich nie, obwohl ich immer gerne rumgeballert habe.

Ich war auch immer nur Indianer, allerdings der einzige auf unserer Straße unter vielen Cowboys…

Andrack Ich fand Indianer aber immer attraktiver, weil man sich ordentlich was ins Gesicht kleistern konnte. Cowboys hatten bestenfalls einen dünnen Schnurrbart.

Der Erfolg Ihrer ersten Büttenrede war ja durchwachsen. Da musste ich an Thomas Bernhard denken und seine Aussage: Der Spaßmacher hat nichts zu lachen!

Andrack Das wird jetzt aber hochliterarisch, wenn sogar Thomas Bernhard herhalten muss.

Ich wollte nur das Niveau in die Höhe schrauben.

Andrack Aber es stimmt schon, ich habe mit meiner Rolle als Büttenredner schon etwas gefremdelt. Dabei bin ich es ja schon gewohnt, Texte von mir vorzulesen. Die Erwartungshaltung ist dann eine umgekehrte. Mancher denkt, okay, ich geh’ jetzt zu einer Lesung, könnte ein bisschen anstrengender werden, und dann sind sie überrascht, wenn es doch lustig wird. Bei der Büttenrede war es genau umgekehrt. Da erwarteten die Leute drei Zoten in der Sekunde – und dann mussten die Leute meinen Reimen zuhören. Ich schaute also in mehr oder weniger fassungslose Gesichter.

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Frustrierend ist ja, wenn man bei Ihnen liest, was nach Erkenntnissen von Forschern eine gute Büttenrede ausmachen soll: nämlich zu 55 Prozent die Körpersprache, zu 38 Prozent die Stimmlage und nur zu sieben Prozent der Inhalt.

Andrack Als großer Inhaltsfan war ich überrascht über diese Erkenntnis. Bei der „Harald-Schmidt-Show“ haben wir immer gesagt: Inhalt geht über alles. Das hat mich dann doch entsetzt, dass Inhalt so wenig Bedeutung haben soll.

Erstaunlich, dass Sie Ihr Herz an das Hoppeditz-Erwachen in Düsseldorf verloren haben.

Andrack Absolut. Und typisch Kölner: Ich hatte immer die Scheuklappen auf und habe allenfalls rheinauf nach Bonn geschaut. Dann habe ich mir den Hoppeditz angeschaut und fand das großartig. Das war ursprünglicher Karneval, wenn der Narr dem Oberbürgermeister die Leviten liest – im Gegensatz zum traditionellen Mega-Saufen in Köln.

Cooler ist aber Mönchengladbach gewesen, die den 11.11. vorverlegten, wie Sie nicht ohne Häme schreiben. Spielte da auch der Fußball-Neid eine Rolle, so als Kölner?

Andrack Ja klar. Sich als Kölner über den Mönchengladbacher Karneval und den komischen Spruch „Halt Pohl“ lustig zu machen, war eine sichere Vorlage. Da musste ich praktisch nur noch den Fuß hinhalten.

Ist Ihre Murmeltier-Weisheit – die Narrenzeit endet nie – Ermunterung oder Bedrohung?

Andrack Ermunterung! Gerade jetzt. Wir müssen noch ein bisschen die Zähne zusammenbeißen, aber der Mensch braucht dringend wieder eine Auszeit. Und die närrische Zeit ist dafür ein gutes Ventil.

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