Von Günther Krämer bis Rafael Sanchez: Birgit Walter war 35 Jahre lang Ensemblemitglied am Schauspiel Köln
Birgit Walter vom Schauspiel Köln nimmt Abschied„Ich habe in manchen sauren Apfel gebissen“

Birgit Walter blickt auf ihre Zeit in Köln zurück.
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Das war lang: Zum Ende der Spielzeit verlässt Birgit Walter Köln, nachdem sie 35 Jahre lang zum Ensemble des Schaupielhauses gehört hat. Mit Axel Hill blickt sie auf eine Zeit mit Höhen und Tiefen zurück und ein wenig in die Zukunft.
Gibt es einen Satz, der Ihnen zum Abschied von Köln einfällt?
Schön ist es nicht, aber es war schön, hier zu leben. (lacht)
Sie sind 1990 mit Intendant Günther Krämer aus Bremen ans Schauspiel Köln gekommen.
Ich habe erst einmal die Übernahmen von Bremen gespielt, denn ich hatte einen neun Monate alten Sohn – ich wusste gar nicht, wie ich das alles hinbekommen sollte. Ich musste erst einmal lernen, was es heißt, ein Kind zu haben.
Das geht doch allen Eltern so.
Aber als Schauspieler hat man nicht unbedingt die Eltern vor Ort, die mal schnell einspringen können. Es ist auch schwierig, Babysitter zu finden, die so flexibel sind und kommen können, wenn man morgens erfährt, dass man abends Probe hat.
In der Zeit in Köln haben sie unter fünf verschiedenen Intendanzen gearbeitet: Nach Krämer (1990-2002) bei Mark Günther (ab 2002/03), Karin Beier (ab 2007/08), Stefan Bachmann (ab 2013/14) und jetzt Rafael Sanchez (2024/25). War es eine bewusste Entscheidung oder Zufall?
Ich wurde in den 1990er Jahren krank, bei mir wurde Multiple Sklerose diagnostiziert. Und ich musste ein Kind ernähren. Da habe ich sicher in manchen sauren Apfel gebissen, was ich wahrscheinlich nicht gemacht hätte, wenn ich allein gewesen wäre.
Welcher saure Apfel war das zum Beispiel?
Die Zeit bei Marc Günther. Ich war 42, und er begrüßte mich mit „Sie sind zehn Jahre zu jung oder zehn Jahre zu alt, Sie brauchen wir hier nicht in Ihrem Alter.“ Eine Unverschämtheit. Eigentlich hätte ich da gehen müssen.
Aber Sie sind geblieben ...
Und dann kam Karin Beier. Das war schon toll, allein die Leute, die sie mitgebracht hat. Zum Beispiel die Regisseurin Katie Mitchell. Deren Arbeitsweise war natürlich irrsinnig, weil einem, während man probte, nicht klar war, was das Endresultat sein würde: Man musste Texte sprechen, Kameras bedienen, für die Kamera spielen ... Oder der Regisseur Antonio Latella, der Goldonis „Sommerfrische“ inszeniert hat.
Die Hälfte des Ensembles war italienisch, es wurde deutsch und italienisch gesprochen ...
... und wir wurden mit der Inszenierung eine Woche lang nach Neapel eingeladen. Es ist schon spannend, wen und was man alles kennenlernt. Aber es ist auch riskant: Man kann sich nie auf etwas ausruhen, denn jeder Regisseur hat seine eigene Handschrift. Es ist der schönste Beruf, aber er kann auch sehr grausam sein.
Weil man sich bei jeder neuen Intendanz „neu bewerben“ muss? Und wenn man nicht zu den Lieblingen gehört, kann es ganz schön eng werden, oder?
Genau. Und wenn man sich als Mensch nicht so wichtigmachen möchte, muss man gucken, dass jemand auf einen aufmerksam wird. Deshalb war mir auch klar, dass ich jetzt, da ich im Alter bin, in dem ich in Rente gehe, nicht noch einmal das Rad neu erfinden möchte. Außerdem wollte ich nach zwölf Jahren Fernbeziehung mit meinem Mann Yorck Dippe zu ihm nach Hamburg ziehen.
Er wechselte mit Karin Beier ans Deutsche Schauspielhaus und ist seitdem Teil des Ensembles.
Dieser Beruf ist nicht familienfreundlich. Zuerst ist mein Sohn ausgezogen, dann mein Mann. Und ich hatte zu Hause leere Bügel hängen.
Nun bleibt es doch eine Fernbeziehung, denn Sie ziehen doch nicht nach Hamburg, sondern nach Zürich.
Ja, zu meinem Sohn und meinem Enkel.
Und werden bei Pınar Karabulut und Rafael Sanchez am Schauspielhaus Zürich spielen. Also endlich wieder in einem „richtigen“ Theater, nach den langen Jahren im Interim.
Als Stefan Bachmann uns Schauspieler zum ersten Mal in diese leere Fabrikhalle geladen hat und sagte, hier solle ein Theater entstehen, haben wir gedacht: Der spinnt doch.
Das haben wir alle gedacht.
Das Schlimmste war die Akustik, weil es immer hieß: zu leise, zu leise, zu leise. Ich kann nicht so brüllen. Und da geht ja alles flöten. Aber wir haben alle diese Spielstätte sehr zu lieben gelernt.
Weil man als Schauspieler ganz auf sich zurückgeworfen wird auf sein Handwerkszeug?
Nein, es geht um die Interaktion miteinander. Es ist alles nicht perfekt, also muss man mehr improvisieren, mehr Rücksicht aufeinander nehmen. Dadurch wächst man als Team mehr zusammen, auch mit der Technik, den Bühnenarbeitern, den Masken- und Kostümleuten. Es ist alles viel durchlässiger hinter der Bühne.
Wie war es, wenn man von einem Gastspiel wieder zurück ins Depot kam?
Ich war zum Beispiel mit einer Co-Produktion mit Wim Vandekeybus in ganz Europa unterwegs, in Venedig, Rom, London, Paris, Bukarest, Budapest, Sarajevo und habe viele Theater kennengelernt und alle sind hinten gleich muffig.
Hätte Sie eine Rückkehr an den Offenbachplatz gereizt, ins frisch renovierte Haus?
Nein, mir war klar: Ich muss da nicht hin zurück. Es ist was anderes als früher. Da hat man sicher das Gefühl, man muss erst mit einem Schlüssel an den Wänden langgehen, damit es irgendwie so eine Patina bekommt ... (lacht)